Was kann aus säkular-buddhistischer Sicht unter Befreiung/Erwachen, dem Nirvana verstanden werden?
nibbāna ist ein nicht-bedingter Zustand, in dem Handlungen nicht länger von
Bedingungsgefügen abhängig sind.
Am Anfang steht immer das Gefühl/ die Empfindung, vedana. Jede Handlung, sei sie körperlicher oder sprachlicher Natur, geht letztlich aus einer Empfindung hervor. Diese Empfindung ist immer nur entweder angenehm, unangenehm oder neutral. Die eigentliche Bewegung des Werdens beginnt jedoch erst in der nächsten Phase, im Moment des Ergreifens. Wird die Empfindung ergreifen, entsteht eine komplexe Emotion: Angst, Wut, Gier, Freude etc.
Diese emotionale Aufladung ist das Resultat komplexer, miteinander wechselwirkenden Ursachen: biographische Prägungen, körperliche Zustände, genetische Dispositionen, kulturelle Muster, aktuelle Stimmungen, Hormonlagen und so weiter. Aus ihr heraus entstehen schließlich Handlung und Rede. Jede Handlung prägt dabei den Handelnden selbst sowie sein Gegenüber. Das Denken, das in der westlichen Kultur eine zentrale Rolle einnimmt, spielt in Wirklichkeit eine eher untergeordnete Rolle.
Aus dem Ergreifen entsteht also eine Empfindung, daraus Emotionen, daraus Reaktionen – automatisiert. Weit mehr als 90 Prozent unserer Handlungen entziehen sich unserer direkten Kontrolle. Der erste Schritt hin zur Befreiung im buddhistischen Sinne besteht darin, dies zu erkennen.
Der zweite Schritt ist, den Automatismus zu unterbrechen. In der achtsamen Wahrnehmung der Empfindung liegt die Möglichkeit zur Freiheit. Wird die Empfindung bemerkt, sei sie angenehm, unangenehm oder neutral, aber bewusst nicht ergriffen, entsteht ein Raum: ein Zwischenraum zwischen Reiz und Reaktion. In diesem Raum liegt die Freiheit, die wir suchen.
Diese Freiheit ist Nirvana. Die Freiheit bewusst zu handeln. Die Handlung ist damit nicht mehr bedingt, sie ist »ungeboren«. Nirvana ist kein metaphysischer Ort, sondern gegenwärtige Offenheit und Freiheit.
Das Ungeborene ist gefunden!
Majjhima Nikāya, Alagaddūpama Sutta, M.26.27
Nichts, was immer es auch sei, sollte festgehalten werden.
Majjhima Nikāya, Cūḷataṇhāsaṅkhaya Sutta, M.37.3