Neulich ist mir auf dem Arbeitsweg mit Bahn und Faltrad wieder einmal klar geworden, wie deutlich der Unterschied zur Fahrt mit dem Auto ist. Ich konnte die buddhistische Sichtweise von Verbundenheit mit anderen Menschen und der Veränderlichkeit aller Dinge live erleben.
Ich kenne beides, denn ich bin jahrelang mit dem Dienstwagen gefahren, dann aber auf den Zug und mein Faltrad umgestiegen.
Anfangs habe ich nur gespürt, dass irgendetwas anders ist. Mittlerweile weiß ich, was das ist.
Bitte jetzt nicht die üblichen Spöttereien! Ich will auch das teilweise Chaos der Bahn nicht schönreden. Ich möchte nur meine Beobachtungen darstellen. Und natürlich gibt es für jede der folgenden Aussagen auch Gegenbeispiele. Aber manchmal lohnt sich ein Perspektivwechsel.
Mit dem Auto fahre ich los, wann ich will. Ich habe mein eigenes Reich, meine Musik und Temperatur. Regen macht mir nichts aus. Soweit so gut.
Die Bahn fährt nur zu bestimmten Zeiten und ich muss mit dem Rad erst mal hinkommen. Dann warten, manchmal länger. Manchmal im Regen. Mit fremden Menschen zusammen. Der Zug kommt, einsteigen und Platz suchen. Jetzt oft zu zweit im Fahrrad-Abteil. Vor Corona wurde die Räder oft "gestapelt". Dann die Fahrt, bei der man nichts tun muss - nur an der richtigen Haltestelle aussteigen.
Dann das Faltrad entfalten und die letzten Kilometer zur Firma radeln. Manchmal im Regen, oft ist das aber nicht. Soweit so anders.
Während Corona habe ich monatelang wieder das Auto genommen und mich wirklich auf die Bahnfahrt gefreut.
Aber warum?
Nun, beim Autofahren bin ich getrennt von meinen Mitmenschen. Ich erlebe sie quasi nur als anderes Auto. Kommuniziert wird über Licht und Blinker und die "Körpersprache" Fahrstil. Habt ihr schon mal ein Lächeln von einem anderen Fahrer bekommen? Oder jemanden angelächelt?
Darüber hinaus meint man alles kontrollieren zu können. Schließlich kann man ja fahren wann und wie man will (in gewissen Grenzen, die einem leider andere setzen - Wie ärgerlich! )
Meine vergleichsweise unkomfortable Bahnfahrt (15 min) lässt mich mit anderen gemeinsam auf den Zug warten. Infos über Verspätungen werden ausgetauscht.
Und jedem ist klar, dass er hier überhaupt nichts unter Kontrolle hat ("Der Zug fällt aus. Wir bitten dies zu entschuldigen."). Es bleibt einem gar nichts anderes übrig als sich mit den Gegebenheiten im aktuellen Augenblick abzufinden.
Auch bei der Platzsuche muss man zwangsläufig kommunizieren, sich arrangieren. Augenkontakt und Anlächeln (zumindest von Kindern) ist einfach möglich und führt zur Verbundenheit. Man sitzt ja gemeinsam in einem "Boot".
Auch kann man sich die Mitfahrenden nicht aussuchen und kommt dadurch mit Menschen zusammen, die man als Autofahrer nie treffen würde. Dadurch erlebt man so manches Wunder. Der schmuddelig aussehende Fahrgast, den man gleich als Penner einsortiert hat, erweist sich als hilfsbereit und zuvorkommend. Die elegante Frau, die einem spontan sympathisch erschien, stellt sich als egoistische Zicke heraus. (Geschlechterrollen in diesen Beispielen könnten auch anders sein!). Das erlebt man als Teil der Zweckgemeinschaft automatisch. Und wahrscheinlich halten mich auch nicht wenige für merkwürdig.
Auf die vergleichsweise aufwändige, umständliche und einschränkende Fahrt schaue ich mittlerweile so:
- Offen für andere Sichtweisen sein und überrascht werden.
- Erkennen, dass man das Leben nicht unter Kontrolle hat. Ständige Veränderung erleben ("Gestern war er doch pünktlich")
- Sich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen.
- Während der Fahrt eine Kurzmeditation machen zu können.
- Statt Langeweile beim Warten, die Verspätung zur Gehmeditation nutzen.
- Den Kontakt zur Natur zu spüren, den Wind, die Temperatur und ja, auch den Regen.
Darauf habe ich mich gefreut.
Könnt ihr das nachvollziehen?