Was ist Erwachen im säkular-buddhistischen Kontext?
Wenn wir verstehen wollen, was buddhistisches Erwachen bedeutet, müssen wir verstehen, was es mit Karma und Wiedergeburt jenseits von metaphysischen und esoterischen Konzepten auf sich hat.
Buddhistische Befreiung (Nirvana, Erwachen, Erleuchtung) ist kein übernatürlicher Zustand oder jenseitiges Ziel, sondern eine psychologische und existenzielle Freiheit im Hier und Jetzt. Sie entsteht, wenn der Mensch den Kreislauf von Empfindung, Emotion, Reaktion und Gewohnheit, also das samsarische Werden, erkennt und bewusst unterbricht.
Alles beginnt mit einer Empfindung (vedana), die aus einem Sinnesreiz entsteht. Sie ist angenehm, unangenehm oder neutral. Wird sie ergriffen, verwandelt sie sich in Emotion, aus der wiederum Handlung, Rede und Denken erwachsen. So bildet sich ein Muster, das Persönlichkeit und Verhalten prägt.
Karma ist hier keine metaphysische Bilanz, sondern die innere Dynamik von Ursache und Wirkung im Bewusstsein. Wiederholte Reaktionen verfestigen sich zu Charakterzügen, die wiederum Handlungen und Beziehungen beeinflussen: individuell, sozial, kulturell. Karma ist also die Selbststrukturierung durch Gewohnheit.
Wiedergeburt bedeutet nicht das Wandern von einer Existenz zur anderen über den körperlichen Tod hinaus, sondern das permanente Neu-Entstehen eines dynamischen Selbst in dieser einen Existenz in jedem Moment, gespeist aus reaktiver Wahrnehmung. Jeder Automatismus, der zu Wut, Angst, Gier, oder Kränkung oder anderen Emotionen führt, ist eine kleine Wiedergeburt eines konditionierten Selbst.
Befreiung geschieht, wenn die Kette erkannt und unterbrochen wird. Achtsamkeit auf Empfindung, ohne sie zu ergreifen, öffnet einen Zwischenraum zwischen Reiz und Reaktion. In diesem Raum liegt Freiheit: das Handeln ohne Anhaften, ohne Konditionierung. Dieses ungeborene Handeln ist Nirvana, nicht als Ort, sondern als Zustand gegenwärtiger Offenheit.
Karma, Wiedergeburt und Nirvana sind keine metaphysischen Doktrinen, sondern Beschreibungen innerer Prozesse. Freiheit bedeutet, die eigene Reaktivität zu durchschauen und in bewusster Gegenwärtigkeit zu handeln, nicht ergriffen, nicht getrieben, sondern wach. Nirvana ist die Erfahrung unbedingter Gegenwart und psychologischer Ungebundenheit.