Schmuck des Mittleren Weges

  • Gerade fertig gelesen und wie die anderen der philosophischen Schriften, die ich ansammle, wird auch dieses darauf warten, bald wieder aus dem Regal genommen zu werden, um mal wieder dieses oder jenes Kapitel erneut zu studieren oder um in Gänze neu durchgelesen zu werden, angeregt durch Dinge, die ich anderswo gehört oder gelesen habe, um besser zu verstehen, um zu vergleichen oder zu kontrastieren, um "Widersprüche" aufzudecken (mit anderen Denkansätzen), um mich vielleicht dann auch mal wieder in einer Sackgasse wiederzufinden und um deswegen erneut erleichtert erkennen zu dürfen, dass es ja nur Worte sind ;)


    The Adornment of the Middle Way - Shantarakshita's Madhyamakalankara with Commentary by Jamgön Mipham, erschienen bei Shambala.


    Die wenigen Verse (97) Shantarakshitas verdienen in gewisser Weise die Bezeichnung "Schmuck des Mittleren Weges". Aber auch der etwas üppigere Kommentar Miphams ist ein Schmuck oder ein Schatz. In gewisser Weise könnte man dieses Buch als Gesamtes auch als "Buch der Versöhnung" bezeichnen.
    Was wird "versöhnt"?
    Auch wunderbare Weise "versöhnt" Shantarakshita Chittamatra (Sutrensystem, nicht die gleichnamige spekulative Philosophie) mit Madhyamaka. Eigentlich liefert er damit den philosophischen Unterbau nach für das, was wir bereits im Lankavatara Sutra lesen können. Er "versöhnt" damit tatsächlich auch Asanga mit Nagarjuna ohne das eine oder andere Denk-System per Interpretation in das andere "einzufügen" ( also nicht die Vorgehensweise wie wir sie bei anderen philosophischen Schulen des tibetischen Buddhismus erkennen können). Er kann Asanga mit Nagarjuna leicht "versöhnen", weil es ja faktisch gar keine Widersprüche gibt. Er stellt dies nur explizit dar.


    Mipham selbst versöhnt in seinen Kommentierungen Svatantrika (zu dem Shantarakshita gezählt wird) mit Prasangika, indem er jedem Denkansatz seinen Platz auf dem Weg zuweist und jedem seine ureigenste Rechtfertigung zukommen lässt ohne eine dichotome Kategorisierung in "höchstes Denksystem" (Prasangika) und "niedrigeres Denksystem" (Svatantrika) vorzunehmen, welche wiederum von anderen philosophischen Schulen des tibetischen Buddhismus vorgenommen wird ohne dass diese Schulen selbst ihrem Anspruch das "höchstes Denksystem" zu repräsentieren gerecht werden können.
    Damit versöhnt Mipham auch die buddhistische Logik der validen Erkenntnis konventioneller Wahrheit (Dignaga, Dharmakirti) mit Prasangika.
    Mipham ist ein wirklich großer Versöhner. Denn er stellt transparent dar, warum Svantantrika und Prasangika notwendig sind und warum - obgleich Svatantrika gerechtfertigt und sogar notwendig ist - man auf gar keinen Fall bei Svantantrika stehen bleiben darf. Denn die Dichotomie zwischen konventioneller Wahrheit auf der einen Seite und letztendlicher Wahrheit auf der anderen Seite, die unabänderlich und unausweichlich von Svatantrika erzeugt wird, muss aufgelöst werden, sonst bleibt der Schüler hilflos in einer Sackgasse zurück aus der es kein Entrinnen gibt. Nie und nimmer wird er sonst erahnen können, um was es bei der letztendlichen Wahrheit der Phänomene wirklich geht.
    Andere philosophischen Schulen des tibetischen Buddhismus, die vorgeben Prasangika zu sein, tatsächlich aber Svatantrika lehren, können ihre Schüler in eine echte Sackgasse führen, indem sie mit ihren Lehrdogmen diese Dichotomie zwischen konventioneller und letztendlicher Wahrheit nicht auflösen, sondern verfestigen. Das ist sehr traurig. Ein Auflösung kann dann erst auf dem tantrischen Pfad erfolgen, aber bis dahin ist meist ein längerer Sutrenweg zu beschreiten, der mit dieser künstlichen Dichotomie der beiden Wahrheit nur weitere Irrtümer und damit Leiden verursacht.
    In diesem Sinne versöhnen Shantarakshita und Mipham auch buddhistische Philosophie und tantrischen Weg, d.h. die Philosophie beschreibt bereits (wie ein Finger, der genau in Richtung des Mondes zeigt, der sich im Wasser spiegelt), was es jenseits des Sutrenweges, jenseits von Worten und Konzepten zu erfahren gibt: Der Mond existiert nicht, obgleich er erscheint! Das heißt die Untrennbarkeit und gegenseitige Bedingtheit von Leerheit und Erscheinung ist zu erfahren. Diese Erfahrung ist natürlich nicht durch philosophische Konzepte ersetzbar und auch das Verstehen der philosophischen Konzepte kann nicht die Erfahrung ersetzen. Jedoch können die "richtigen" Konzepte ("richtig" im Sinne von "für das reflektierende Individuum geeignet") ein hilfreicher Wegweiser sein und - dies ist ganz wichtig! - samsarische Verhaltensweisen auf dem Sutrenweg vermeiden helfen. Denn der Sutrenweg ist übervoll mit Instruktionen, die geeignet sind den Kreislauf des Leidens in Rotation zu halten und die auch geeignet sind zu verhindern, dass die Übenden den Wesen wirkliche Hilfe sein können - so gut ihre Absichten auch sein mögen.