Namaste!
Die japanische Tendai Shû, welche sich als "Mutter-Schule" aller wichtigen Kamakura-Schulen (Sôtô Shû, Rinzai Shû, Jôdo Shû, Jôdo Shinshû und Nichiren-Schulen) ansieht, ist nicht nur der nach Japan überlieferte Zweig der chinesischen Tiantai-zong, sondern sie hat sich seit ihrer Gründung durch Dengyô Daishi Saichô zur absolut-synkretistischen Mahayana-Schule entwickelt.
So war es bereits Saichô's Bestreben, möglichst alle Mahayana-Lehren in seine Schule mit einfließen zu lassen, also nicht nur die von Tiantai-Zhiyi überlieferten Doktrin und Meditationstechniken, sowie die damals vorherrschenden Mahayana-Philosophien und -Gelübde, sondern auch andere Praktiken wie etwa Zen und Mantrayana. Saicho's Nachfolger Jikaku Daishi Ennin brachte dann gar die Lehren des Nenbutsu nach Japan und integrierte auch diese in die Tendai Shû.
Nichiren Shonin seinerseits war Mönch der Tendai Shû, und sein Bestreben war es, in dieser Schule eine Rückbesinnung auf die Lehren von Zhiyi und Saichô, sowie auf das Lotos-Sutra herbeizuführen, und nicht - wie man vielleicht heute suggeriert bekommt - eine neue buddhistische Richtung, also den Nichiren Buddhismus - zu gründen.
So verwundert es mich dann immer wieder, wenn Doktrin wie "Die Zehn Welten" (1), "Die Zehn Daseinsfaktoren" (2) oder "Ichinen Sanzen" (3) als Philosophie der Sôka Gakkai angesehen werden oder zumindest allgemein dem Nichiren-Buddhismus zugerechnet werden.
Klar gestellt werden soll in diesem Zusammenhang, dass Nichiren in seinen Schriften die Prinzipien zwar aufgreift und teilweise auch sehr treffend kommentiert, aber es sind eben keine allein ihm übermittelten Doktrin, sondern einfach nur Lehren, welche er als Tendai-Mönch gelehrt bekommen hat.
Da dann allerdings diese Lehren aus der Tendai Shû stammen, gehören sie auch genau zu dem Gedankengut, welches auch Eisai Zenji, Dôgen Zenji, Hônen Shonin und Shinran Shonin übermittelt wurde.
Und gerade deshalb sollte man nach meiner Empfindung diese Lehren als Zennie oder Anhänger des Jôdomon nicht einfach als "Lehren des Nichiren-Buddhismus" - also der eigenen Schule fremd - abtun, sondern sie als das ansehen, was sie sind, nämlich Lehren, welche über die japanischen "Gründerväter" irgendwie doch ihren Einfluss auf die heute vorliegenden Traditionen gehabt haben.
Andererseits sollten natürlich auch die Anhänger des Nichiren-Buddhismus und insbesondere der SGI nicht dem Trugschluss erliegen, dass die Lehren die ihnen da übermittelt werden, absolut einzigartig für ihre Tradition sind, denn genau das sind sie eben nicht!
Hier dann ein Link zu einer SGI-Seite, wo das Prinzip von "Ichinen Sanzen" aus deren Sicht verdeutlicht wird.
Einen weiterer Link zu einem persönlichen Referat findet man hier.
Die Urheberschaft dieser Doktrin von Tiantai-Zhiyi wird zwar herausgestrichen, aber es findet sich nirgends wieder, dass dieser chinesische Patriarch einer ganz anderen Tradition zuzurechnen ist.
Beachtlich ist allerdings, dass die ursprünglichen Tendai-Prinzipien in den Nichiren Schulen, besonders in der SGI, später aus ihrem Kontext genommen wurden, und - bezogen auf die Praxis - allein auf das Daimoku verstanden wissen werden sollen.
Mich würde nun interessieren, wie andere (Nichiren-)Buddhisten diese Doktrin übermittelt bekommen haben, wie diese Doktrin von SGI-lern hier im Forum gesehen werden, und vielleicht auch, ob Zennies oder Reines-Land-Buddhisten Aspekte davon in ihren Philosophien und/oder in ihrer Praxis wiederfinden.
< gasshô >
Benkei
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zu (1): Hier nicht gleichbedeutend mit den "Zehn Richtungen", sondern die "Sechs Daseinsbereiche" zzgl. Sravakaschaft, Pratyekabuddhaschaft, Bodhisattvaschaft und Buddhaschaft.
zu (2): Im Versteil des Lotos-Sutra zu finden, Kapitel 2 "Hôben" ["Geschickte Mittel"]
zu (3): Wörtlich etwa "Ein Moment umfasst dreitausend Lebensumstände", welchem die folgende Berechnung zu Grunde liegt: Zehn Welten x Zehn Welten x Zehn Daseinsfaktoren x Drei Unterteilungen. [Vgl. hier unter "Dreitausend Welten"].