Entstehungsgeschichte und Funktionalität der Visualisation

  • Ich skizziere mal grob die im Buch ("Das weise Herz der Buddhas: Eine Einführung in die buddhistische Bilderwelt." von Vessantara und Theo Kierdorf) beschriebene Entstehungsgeschichte und Funktionalität der Visualisation:


    Die ersten Schüler des Buddha scheinen Visualisierungen in zwei Formen geübt zu haben:


    - kasina-Meditation: Gegenstände als Hilfsmittel zur Konzentration (farbige Scheiben, Blumenkreise..)
    --> In den Pali-Suttas findet sich eine Liste von 10 kasinas, welche im Buddhaghosa-Kommentar ausführlich erläutert werden.
    - "Buddhabetrachtung": Eigenschaften des Buddha vergegenwärtigen, manchmal auch mit Rezitationen in Verbindung
    --> In Pali Texten beschrieben


    --> Diese beiden ursprünglichen Formen sind die Grundelemente der heute gebräuchlichen Visualisationen von Buddhas.


    In den Avadanas, einer alten Textsammlung, werden Geschichten von den engsten Schülern des Buddha beschrieben, die nach dessen Verscheiden visionäre Erfahrungen machen die sehr an die sadhanas erinnern.


    Aus der ursprünglichen Visualisation des Buddha Shakyamuni entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte die zahlreichen weiteren heute bekannten Buddhafiguren aus den Visionen erfahrener Yogis.


    Zur Funktionalität:


    Man unterscheidet in drei kayas (Körper)
    - nirmana-kaya: Geistige Bilder der einstmaligen tatsächlichen Erscheinung des Buddha in der physischen Welt
    - sambogha-kaya: archetypische, feinstoffliche, strahlende Form. Erleuchtete Qualitäten werden direkt erfahrbar. Erfahrung einer Grenze zwischen Meditierendem und Objekt wird aufgehoben.
    - dharma-kaya: Wahrheitskörper des Buddha. Direkte Erfahrung des Dharma. Grenze hat sich völligst aufgelöst.

  • Danke für den Tipp. Zum Thema der Visualisierung kann man auch den Wurzel-Text
    des Guru Padmasambhava empehlen -


    "Die Geheimlehre Tibets" mit Kommentar und Übungsanweisungen von Karl Scherer, Vorwort von Michael von Brück und Nachwort von Chhimed Rigdzin Rinpoche
    1998 Kösel-Verlag

    Zitat

    "Die Menschen lesen wenig Wertvolles, zerstreuen sich, meditieren weder regelmäßig, noch gehen sie die neun Stufen des Weges. Daher können sie auch nicht das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden."


    (Padmasambhava)


    Diese Texte sind wertvoll.


    Zitat

    "Über die Kluft der Jahrhunderte hinweg zeigt der Text nicht nur alle Stufen und Stadien des spirituellen Weges, sondern auch alle Hindernisse und Schlaglöcher, denen jeder auf dem spirituellen Weg begegnet, zusammen mit den jeweils passenden Lösungen, die mir praktisch, verständlich und einsichtig erchienen..."


    Karl Scherer


    Yofi

  • Yofi: Danke auch für den Tipp! Ist gleich auf meiner Wunschliste gelandet ;)


    Im genannten Werk von Vessantara wird auch über die Entstehungsgeschichte des Buddha Akshobhya spekuliert:


    Die Geste der Erdberührung (Bhumisparsha Mudra) weise auf die gleiche Geste des Buddha Shakyamuni bei seiner Begegnung mit Mara unter dem Bodhi-Baum kurz vor dessen Erleuchtung hin - dem "Anrufen der Erdgöttin als Zeugin".
    Akshobya sei vermutlich aus zwei Quellen meditativer Erfahrung hervorgegangen:
    1. Meditation über den historischen Buddha
    2. Meditation über Leerheit
    Die Erdgöttin steht für Unvergessenheit sämtlicher Taten, Erfahrungen und bezeugt die spirituelle Vollkommenheit des Buddha Shakyamuni vor Mara. Somit wird durch diese Handhaltung diese Vollkommenheit unter Beweis gestellt die schließlich kurz nach der Begegnung mit Mara zur Erleuchtung des Buddha in der Meditation führt.


    Die Symbolik passt daher zu Akshobya der als der Inbegriff der Weisheit gilt und bei der Mediation über sunyata erfahrbar ist.

  • Akshobya spielt in meiner Praxis auch eine Rolle, daher werde ich mir das von dir empfohlene Buch mit Sicherheit kaufen. Vielen herzlichen Dank noch einmal. Die Identifikation mit Yidams bedeutet den archtypischen Merkmalen der Geistesnatur gegenüber zu stehen. Der Geist erkennt sich dabei selbst, und so ist auch die letzte schwierige Phase vor der Erleuchtung, wenn der Verstand einen bislang noch nicht erlebten Widerstand leistet, zu sehen. Dieser Prozess kann mit der Versuchung des Mara gleich gesetzt werden, und ebenso sind auch alle andere Erscheinungen die Boten der Auflösung ins Licht.

  • Mich wundert das nicht alle fünf Dhyani-Buddhas eine gleichwertige Gewichtung in Form von Kulten, Ritualen, Meditationen.. in asiatischen Landen erhalten.
    Ratnasambhava und Amoghasiddhi finden dort verhältnismäßig wenig Gewichtung.
    Vessantara schreibt das sich diese Gewichtung in westlichen Ländern ändern kann und viele seiner Schüler sich besonders diesen beiden Buddha-Aspekten zugewandt haben.


    Bislang habe ich das Mandala der Fünf Buddhas so verstanden, dass es den eigenen Geist und die verschiedenen Qualitäten von Weisheit versinnbildlicht.
    Ich denke daher das es doch erstrebenswert sein sollte alle Seiten gleichermaßen zur Entfaltung zu bringen sprich sämtlichen Buddhas große Wichtigkeit zukommen zu lassen, oder?

  • Ich finde auch alle Aspekte gleich wichtig, aber es gibt ein paar Faktoren die zu dieser unterschiedlichen Gewichtung geführt haben könnten. Amithaba hat das Versprechen abgegeben, dass man sein Reines Land besonders leicht erreichen kann, auch wenn man keine besondere Praxis macht. (Dazu kommt, dass der Menschenbereich als besonderer Begierdebereich gilt.) Der zentrale Aspekt bekommt Gewichtung eben wegen seiner zentralen Funktion. Zorn ist ein besonders zerstörerisches Störgefühl, das spricht für Akshobya. Ich denke, wenn die anderen zwei im Westen mehr Gewichtung bekommen würden, wäre das schon sichtbar. Sieht aber nicht wirklich so aus.


    kilaya


    P.S. Ich versuche ein wenig, die Themen aufzutrennen, die aufkommen, um endlose Bandwurmthreads zu vermeiden, die viele eigentlich interessante Unterthemen untergehen lassen. Ich würde mich freuen, wenn ihr da in zweierlei Hinsicht mitarbeitet: einmal bei bereits eigenständigen Themen (wie hier "Visualisierung") möglichst nah am Thema zu bleiben; zum anderen Sachen, die man umfassend diskutieren kann, gleich als neues Thema zu starten. Natürlich kann man auch mal abweichen, Themen überschneiden sich ja auch und man kommt auch auf interessante Punkte, die nicht gleich ein eigenes Thema wert sind, es wäre nur gut das generell ein bischen im Auge zu behalten.

  • kilaya:

    P.S. Ich versuche ein wenig, die Themen aufzutrennen, die aufkommen, um endlose Bandwurmthreads zu vermeiden, die viele eigentlich interessante Unterthemen untergehen lassen. Ich würde mich freuen, wenn ihr da in zweierlei Hinsicht mitarbeitet: einmal bei bereits eigenständigen Themen (wie hier "Visualisierung") möglichst nah am Thema zu bleiben; zum anderen Sachen, die man umfassend diskutieren kann, gleich als neues Thema zu starten. Natürlich kann man auch mal abweichen, Themen überschneiden sich ja auch und man kommt auch auf interessante Punkte, die nicht gleich ein eigenes Thema wert sind, es wäre nur gut das generell ein bischen im Auge zu behalten.


    Klar!


    Hier nochmal meine im Nebenthread gepostete Info zur Entwicklungsgeschichte:


    Während in der traditionellen Nyingma-Linie der Buddha Vairocana im Zentrum des Mandalas steht wurde die Position in den neueren Schulen mit Aksobhya vertauscht (zumindest im Anuttarayoga Tantra.. keine Ahnung ob es in den anderen Tantra-Klassen noch traditionell ist)


    Der Buddha Amithaba personifizierte im indischen Buddhismus auch den im tibetischen Buddhismus später von diesem abgespalteten Buddha Amitayus.

  • Ich lese gerade Band 2 "Zum Wohle aller Wesen - Eine Einführung in die Welt der Bodhisattvas" von Vessantara und habe weitere Zitate im Zusammenhang gefunden:


    Vessantara - Seite 8:

    Generationen von Buddhisten haben [.] in tiefer Meditation den Buddha, sein Leben und seine Eigenschaften kontempliert. Dabei fanden im Lauf der Zeit bestimmte Aspekte der Erleuchtungserfahrung gewissermaßen neuen Ausdruck: Fortgeschrittenen Übenden erschienen in tiefer Meditation andere Buddha-Formen, eine jede von ihnen mit ihrer eigenen, besonderen Botschaft. Manche Figuren etwa verkörpern vor allem den alle Schleier durchtrennenden, klaren Aspekt von Weisheit, andere bringen eher das überwältigende Mitgefühl und aktive Wirken zum Wohl aller Wesen zum Ausdruck. Wieder andere sind Form gewordene reine, ungebändigte Energie und Kraft. So entstanden über die Jahrhunderte viele unterschiedliche Buddha- und Bodhisattva-Figuren, die für die verschiedenen schillernden Facetten von Erleuchtung stehen.


    Vessantara - Seiten 22-23:

    Den Sinn und Zweck von Visualisations-sadhanas erfasste Lama Jesche sehr treffend, als er sagte: "Ihr habt von vielen Gottheiten gehört, über die ihr meditieren könnt, viele Gottheiten, in die man eingeweiht wird - Dschenresi und all die anderen. Wozu dienen sie? Ich sage es euch: um bodhicitta zu entwickeln. In Wahrheit dienen alle tantrischen Meditationen nur der Entwicklung von starkem bodhicitta." Alle erleuchteten Wesen, die in buddhistischen Meditationen visualisiert werden, sind eine vollkommene Verkörperung von bodhicitta. Wem es gelingt, sich mit ihnen auf der Grundlage vorbereitender Übungen in der Meditation zu verbinden oder sogar zu identifizieren, schafft die bestmöglichen Bedingungen für das Entstehen von bodhicitta.

  • Thomas23:
    Vessantara - Seiten 22-23:

    Den Sinn und Zweck von Visualisations-sadhanas erfasste Lama Jesche sehr treffend, als er sagte: "Ihr habt von vielen Gottheiten gehört, über die ihr meditieren könnt, viele Gottheiten, in die man eingeweiht wird - Dschenresi und all die anderen. Wozu dienen sie? Ich sage es euch: um bodhicitta zu entwickeln. In Wahrheit dienen alle tantrischen Meditationen nur der Entwicklung von starkem bodhicitta." Alle erleuchteten Wesen, die in buddhistischen Meditationen visualisiert werden, sind eine vollkommene Verkörperung von bodhicitta. Wem es gelingt, sich mit ihnen auf der Grundlage vorbereitender Übungen in der Meditation zu verbinden oder sogar zu identifizieren, schafft die bestmöglichen Bedingungen für das Entstehen von bodhicitta.


    Da bodhicitta kein Objekt, sondern ein Aspekt (= ebenso unzureichende Bezeichnung) ist, lösen sie sich in der Leerheit auf.
    Das ist der zweite Sinn.


    "Die Initiation ist die erste der allgemeinen tantrischen Vorbereitungen."


    - sagt Lama Thubten Yeshe.


    Liebe Grüße


    Yofi

  • Yofi:

    Da bodhicitta kein Objekt, sondern ein Aspekt (= ebenso unzureichende Bezeichnung) ist, lösen sie sich in der Leerheit auf.
    Das ist der zweite Sinn.


    Zur Auflösung der Gottheiten in Leerheit steht im o.a. Buch das man die Gottheiten sowohl als vom Praktizierten getrennt als auch ihm/ihr innewohnend betrachten kann.
    Letztlich sei es egal, da sich bei Erkenntnis der Leerheit die Trennung Innen-Außen ohnehin auflöse und klar sei das auch die Gottheiten leer von Eigenexistenz sind.


    Yofi:

    "Die Initiation ist die erste der allgemeinen tantrischen Vorbereitungen."


    - sagt Lama Thubten Yeshe.


    Sind hier mit Initiation Zufluchtnahme und bodhicitta-Gelöbnis gemeint?

  • Thomas23:

    Zur Auflösung der Gottheiten in Leerheit steht im o.a. Buch das man die Gottheiten sowohl als vom Praktizierten getrennt als auch ihm/ihr innewohnend betrachten kann.
    Letztlich sei es egal, da sich bei Erkenntnis der Leerheit die Trennung Innen-Außen ohnehin auflöse und klar sei das auch die Gottheiten leer von Eigenexistenz sind.


    Genau, das ist die klassische Umschreibung.


    Es gibt für jede Gottheit eine eigenständige Initiation, außer - meines Wissens - für Drei Zornvolle, die zusammen gefasst sind. Der Initiation hat Lama Yeshe ein ganzes Kapitel im 'Inneren Feuer' gewidmet, da stammt auch mein Zitat her. Initiationen werden in mehr oder weniger regelmäßigen Zeitabständen in den Zentren angeboten, wobei die mündliche Übertragung als Anleitung zur Praxis und die Initiation selbst gesondert erteilt werden können. Manche Lehrer erlauben, dass Initiationen zum späteren Zeitpunkt, nach den Praxisanleitungen, nachgeholt werden. Eine Regel, die man befolgen sollte ist die, über die Praxis außerhalb des Kreises der Praktizierenden nicht zu sprechen. Das ist zum Schutz aller Beteiligten gedacht.


    "Was ist eine Initiation? Sie steht am Anfang der Erfahrung von Meditation und Konzentration, am Anfang der Einsicht in die Natur der Wirklichkeit aller Phänomene. Die Initiation führt uns in das Mandala einer Gottheit und in die Totalität der Erfahrung dieser Gottheit. Sie ist ein Gegenmittel für den unzufriedenen, samsarischen, fanatischen, dualistischen Geist."


    Lama Thubten Yeshe - "Inneres Feuer", Diamant Verlag München 2007