Tibet: Wie eine Jahrtausende alte Kultur zerstört wird

  • Mit drei Ausstellungen richtet das Hamburger Völkerkundemuseum den Fokus auf die Nomaden in Tibet. "Nomaden in Not" zeigt die Gefährdung des Wandervolkes in Fotografien und künstlerisch herausragenden Objekten.


    Hamburg. Der Gott Yama und seine Schwester Yami scheinen zu tanzen, dabei bereiten sie Verstorbene auf ihre Wiedergeburt vor. Man muss die kleine, wahrscheinlich im 16. oder 17. Jahrhundert entstandene Bronzestatue der im tibetischen Buddhismus so wichtigen göttlichen Wesen in ihrer Glasvitrine genau betrachten, um die Schäden zu entdecken. Yamis Hinterkopf fehlt, und Yama, der den Arm um seine Schwester legt, ist die Hand eingedrückt.


    "Am Anfang konnten wir uns die Beschädigung nicht erklären, erst ein tibetischer Kunsthistoriker hat uns die Augen geöffnet. Es ist eine typische Folge der chinesischen Kulturrevolution", sagt Susanne Knödel, die Asien-Kuratorin des Museums für Völkerkunde, die die Ursache so erklärt: Die Götterfigur befand sich wahrscheinlich auf einem Hausaltar, wurde bei einer Razzia beschlagnahmt und mit weiteren religiösen Kunstwerken auf einen Haufen geworfen, auf den dann Mitglieder der Roten Garden mit Vorschlaghämmern eingeschlagen haben. Ein Tibeter wird das Kunstwerk dann unerkannt entwendet und nach seiner Flucht in Nordindien verkauft haben. Dort warteten damals bereits amerikanische und westeuropäische Kunsthändler, die gute Geschäfte machten.


    Die Kulturrevolution liegt inzwischen Jahrzehnte zurück und die größten Zerstörungen der tibetischen Kultur hatten sich bereits lange vor den Exzessen von Maos "Roten Garden", nämlich schon bald nach der Besetzung durch chinesische Truppen ereignet. Dass die jahrtausendealte tibetische Kultur aber gerade jetzt in der Gefahr steht, ihre eigentliche Grundlage zu verlieren, ist das Thema von gleich drei Ausstellungen, die das Museum für Völkerkunde im Vorfeld des Festivals "China Time 2014" zeigt.
    Vor der Fassade des Museums flattern Bänder mit den bunten tibetischen Gebetsfahnen und stimmen die Besucher auf die Ausstellungen ein, die das Museum in Kooperation mit der Gesellschaft für bedrohte Völker und der Tibet-Initiative Deutschland konzipiert und gestaltet hat. Am Anfang steht eine Open-Air-Schau mit großformatigen Fotografien, die Frédéric Lemalet während seines insgesamt fast vierjährigen Aufenthalts in Tibet von der Lebensweise der Nomaden aufgenommen hat.


    Bis Jahresende sollen die Tibeter ihre traditionelle Lebensweise endgültig aufgeben


    Auch in der Hauptausstellung "Nomaden in Not" geht es zunächst um den Alltag der Menschen, die seit Jahrtausenden mit ihren Herden die tibetische Hochebene durchstreifen. "Die Nomaden sind Viehzüchter. Yaks, Schafe und Ziegen spielen für ihr Leben eine enorme Rolle, denn fast alles, was sie brauchen, liefern die Herden", sagt Ausstellungsmacherin Gesa Grimme. Fotos zeigen die Weite der kargen Landschaft, in der die Nomaden seit jeher ein hartes Leben führen. Aber nach dem Willen der chinesischen Zentralregierung wird es damit bald vorbei sein, denn bis Ende des Jahres sollen die Tibeter ihre traditionelle Lebensweise endgültig aufgegeben haben. Bereits seit 2006 wurden etwa zwei Millionen tibetische Nomaden in "Neue sozialistische Dörfer" zwangsweise angesiedelt, bei denen es sich um trostlose Siedlungen handelt, in denen es oft kaum soziale Einrichtungen und Arbeitsmöglichkeiten gibt.


    Nomaden sind Diktaturen schon deshalb suspekt, weil sie sich nur schwer kontrollieren lassen, der Hauptgrund für das brachiale Ansiedlungsprogramm sind jedoch die enormen Bodenschätze, die unter der chinesischen Hochebene lagern. Es geht um Kupfer, Gold, Silber, aber auch um die für die Elektronik so wichtigen Seltenen Erden, deren ungestörter und ökologisch gedankenloser Förderung die tibetischen Nomaden im Moment noch im Wege stehen.


    Für die tibetischen Nonnen, die der französische Fotograf Olivier Adam 2008 in ihrem nordindischen Exil fotografiert hat, ist die Heimat schon heute verloren. "Widerstand und Mitgefühl" heißt der Untertitel der Ausstellung, in der man die Porträts jener Nonnen sieht, die vor der Unterdrückung durch die chinesische Zentralregierung geflohen sind. Manchem Gesicht sind die traumatischen Erfahrungen von Verfolgung und Flucht anzumerken, andererseits begegnen uns hier starke Frauen, die sich nicht gebeugt haben, sondern bereit waren, für die Verteidigung ihres religiös und spirituell bestimmten Lebens einen hohen Preis zu zahlen.
    Nicht nur für die Nonnen, sondern für die meisten Tibeter spielt der Buddhismus eine besondere Rolle. Dabei haben Sie ihre Religion stets den Gegebenheiten des harten Nomadenlebens angepasst. "Sie spüren den Widerspruch zwischen der buddhistischen Forderung nicht zu töten und der Notwendigkeit, es aus Gründen des eigenen Überlebens doch tun zu müssen. Daher bedanken sie sich in ritueller Form für das Opfer, das Tiere für das Überleben der Menschen erbringen müssen", sagt Gesa Grimme. Zu den künstlerisch herausragenden Objekten der Sammlung zählt ein weit mehr als 100 Jahre altes tibetisches Rollbild, das aus konservatorischen Gründen nur in einem abgedunkelten Raum gezeigt werden darf. Dargestellt ist die "Schützerin mit dem Weißen Schirm", Tsungtor Dukar, die den weiblichen Buddhas zugerechnet wird. Sie ist ein Spitzenstück der Hamburger Sammlung, die nach Aussage von Museumsdirektor Wulf Köpke zu den europaweit bedeutendsten zählt.
    Eröffnet wird die Hauptausstellung am kommenden Sonntag, an dem die "Tibetische Woche" ihren Abschluss findet. Das Veranstaltungsprogramm beginnt um 11 Uhr und endet gegen 17.30 Uhr mit der zeremoniellen Auflösung des Sandmandalas, das vier tibetische Mönche seit Montag im Treppenhaus des Museums geschaffen haben. Als Sinnbild der Vergänglichkeit werden sie den Sand anschließend in die Alster streuen, was die Umweltbehörde am Donnerstag zunächst erneut verboten hatte, um dann doch noch eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen."


    zitiert aus dem Hamburger Abendblatt vom 15.08.


    Tibet. Nomaden in Not. 17.8.–23.11, Tibetische Nonnen. Widerstand und Mitgefühl, 15.8.–23.11., Tibetische Nomanden – Fotos von Frédéric Lemalet bis 15.9., Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, Di–So 10.00–18.00, Do bis 21.00, Info: http://www.voelkerkundemuseum.com