Verschieden gleich sein

  • In einem anderen Thread ging es auch um Gehen und Stehen bleiben im Kontext des Zen.
    Holzklotz stellte damals die Frage, ob nicht das Schreiben im BL mich davon abhält, den Weg zu gehen. "Richtig, doch es macht Spass" war meine Antwort.
    Dies brachte Gedanken in mir zum aufwallen. Wieso schreiben wir hier? Wieso, da es doch so gegensätzlich zu unserer (Versenkungs-)Übung ist, die ja im Zen Worte nicht unbedingt als wichtig ansieht.
    Tozan schon verglich Worte mit dem Feuer, wichtig und unverzichtbar, aber auch gefährlich.
    Gut, wir reden (meist) über die Lehre. Und schon Buddha hat das in dem Sutra über das Streben gesagt:

    Zitat

    Gespräche über die Lehre oder edles Schweigen


    Dann kam mir ein Ausspruch von suzuki shunryu in einer seiner Tonbandmitschnitte in den Sinn. Etwas abgewandelt :


    >Wir schreiben hier, weil wir gleich sind. Doch wenn wir nicht verschieden wären, machte es keinen Sinn, hier zu schreiben.<


    Dies brachte meine Gedanken zu dem Gegensatzpaar "Gleich<=>Verschieden"


    Zitat

    Gleich sein ist schlecht
    Verschieden sein ist gut.


    Unser heutiger Zeitgeist befördert imho, das Jeder sein "Ich", das Ego, sein Selbst und dessen Selbstwertgefühl als gut anzusehen hat, um immer und überall "zu funktionieren".


    Regeln,feste Rituale ==> schlecht, da sie Alle gleich machen.


    "Ich will anders sein als alle Anderen."
    Dazu werden wir erzogen. Die Kinder werden angehalten/konditioniert, Individualisten zu sein (oder gute "teamplayer", was meist fälschlicherweise als Unterwerfung unter das Kollektiv gesehen wird.)
    Auch in Diskussionen zeigt sich dies: Immer gegeneinander. Wenn man diskutiert, steht jeder auf seinem eigenen "Drehpunkt". Und das ist immer der "Richtige".


    Ich empfinde aus meiner Übung heraus Verschiedenheit und Gleichheit nicht als konträr, sondern als jeweils wichtige Einheit.
    Nicht nur nirvana/samsara - Leere/Welt - hell/dunkel, alle sogenannten Gegensatzpaare werden für mich erst durch die Überschreitung des Trennenden wirklich erfahrbar.


    Zitat

    In der Helligkeit da ist tiefste Dunkelheit, hafte nicht an der Dunkelheit. In der Dunkelheit da ist Helligkeit, aber suche nicht nach der Helligkeit. Dunkelheit und Helligkeit wechseln einander ab wie beim Gehen der vordere und hintere Fuß.

    (aus dem Sandokai)


    Wenn ich auch(natürlich) auf der Grundlage meiner Zen-Übung schreibe, ist dies imho eine Frage für/an Alle.


    Was sind Eure Erfahrungen in dieser Sache?
    Was sagen die alten Schriften dazu im Zusammenhang zu unserem heutigen Leben?



    _()_

    Wenn im dürren Baum der Drache Dir singt
    siehst wahrhaft Du den WEG.
    Wenn im Totenkopf keine Sinne mehr sind
    wird erst das Auge klar.


    jianwang 健忘 = sich [selbst] vergessend

  • Interessante Frage!
    Ich sehe es so, dass wenn wir unser Selbst auf dem Weg besser kenen lernen und dabei merken, dass das, was unsere Ichstruktur so produziert eigentlich immer den selben Mustern folgt erkennen wir ja gleichzeitig, dass das bei anderen Leuten auch so ist. Sie haben zwar andere Lieblingsmuster, aber das Prinzip ist das Selbe.
    Wenn wir die Stille erfahren erkennen wir gleichzeitig, dass jeder Mensch Stille erfahren kann. In dieser Stille sind die Unterschiede aufgehoben.
    Also schlummert in Jedem die Gleichheit oder sogar Einheit und unsere Unterschiede sind als Salz in der "Einheitssuppe" erfahrbar. Was sich dadurch aber grundsätzlich ändert ist, dass man auf sein Salz nicht mehr stolz sein kann, weil es irgendwo willkürlich ist.


    Wenn sich alle Menschen auf die Leerheit versteifen würden, dann hätten wir nur einen Pott voll destilliertes Wasser, aber mit der richtigen Gewürzmischung fängt es ja erst an, eine echte Suppe zu werden.


    Gerade wenn jetzt zwei Menschen schon so ihre Erfahrungen mit der Stille gesammelt haben und wissen, dass sie sich eigentlich nicht grundlegend unterscheiden, können sie sich auf ein offenes Staunen über die gelebte Interpretation durch den jeweils Anderen einlassen.


    Wenn man es wenigstens zeitweise schafft, einfach und offen über seine Dialogpartner zu staunen, anstatt darauf zu beharren, dass die eigene Gewürzmischung der Anderen überlegen ist, dann finde ich, dass solche Gespräche absolut fruchtbar sind. Im anderen Fall führen sie eher dazu, dass sich die eigenen Meinungen noch weiter verhärten.
    Es kann also beides sein: Segen und Fluch.

  • Holzklotz:

    Gerade wenn jetzt zwei Menschen schon so ihre Erfahrungen mit der Stille gesammelt haben und wissen, dass sie sich eigentlich nicht grundlegend unterscheiden, können sie sich auf ein offenes Staunen über die gelebte Interpretation durch den jeweils Anderen einlassen.


    :like: Dies ist imho ein wichtiger Punkt.
    Auch und besonders zwischen verschiedenen Traditionen.
    Wobei ich Stille durch Gegenwärtigkeit ersetzen würde.


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  • mkha':
    Zitat

    Holzklotz schrieb: In dieser Stille sind die Unterschiede aufgehoben.

    ... und aus eben dieser Stille heraus, die den So-Praktizierenden auf seinem Weg begleitet, ist das Denken, Reden und Handeln zum Wohle aller möglich.


    ja, ich finde auch. Es ergibt sich einfach, weil einem im klaren Zustand das Gelingen der Suppe wichtiger ist, als möglichst viel vom eigenen Gewürz rein zu schütten.
    Oft wird das aber mMn mit Harmoniestreben verwechselt und manch Spiritueller meint, alles und jeden verstehen und lieben zu müssen. Die Suppe im Blick zu haben kann ja auch manchmal heißen, jemand den Salzstreuer aus der Hand zu hauen.


    Diese - ich möchte fast schon sagen "Harmoniesucht", die manchmal zu beobachten ist dient mMn eigentlich auch nur wieder dem eigenen Ego, weil man sich die Welt eben harmonisch und kuschelig wünscht und jedem gegenüber, der dagegen handelt kann man sich aufgrund der Weisheitslehre ja getrost überlegen fühlen.


    Mein Lehrer sagt z.B. immer "Gehe mit den Mitmenschen so um, wie gerade mit ihnen umgegangen werden will", wobei der angesprochene Wille eben auch dieses "Wohl aller" meint.
    Ich glaube die Unterschiede werden immer auch für Zündstoff sorgen, aber den brauchen wir wohl auch ein Stück weit, um aneinander zu wachsen.

  • "Wieso schreiben wir hier"


    Das ist die selbe Frage wie "warum ist etwas und nicht nichts" (:


    Die Furcht vor dem Nichtsein/Klappe halten ist umgekehrt propotional zum fleischlichen Aktivitätsniveu (Woody Allen) Formel: Arsch=1/Angst. :angel:

  • mkha':
    Zitat

    „Die Suppe im Blick zu haben kann ja auch manchmal heißen, jemand den Salzstreuer aus der Hand zu hauen.“

    Klarer Geist, unaufgeregtes Handeln, auch wenn striktes Vorgehen erforderlich sein sollte, … Wenn Du zu fest zuschlägst, wird sich der Deckel des Salzstreuers lösen, und der komplette Inhalt in der Suppe landen. Bon Appétit ... ;)


    ja, da kann ich nur mit einem Zitat von Augustinus antworten:

    Zitat

    liebe und tu was Du willst


    sobald man drüber nachdenkt was zu tun sein könnte hält man sich lieber zurück.

  • @mkha'
    aha, dann ist der freie Weg also das Ergebnis von viel hin und her überlegen

  • @mkha'
    kein Problem. Ich hab nur gestutzt und nachgefragt.

  • jianwang:

    Auch in Diskussionen zeigt sich dies: Immer gegeneinander. Wenn man diskutiert, steht jeder auf seinem eigenen "Drehpunkt". Und das ist immer der "Richtige".


    Ich glaube da geht es oft um "SelbstBestätigung". Da macht es mMn auch keinen grundlegenden Unterschied, ob es um die Bundesliga oder Buddhismus geht. Man will sein Weltbild, das ja gleichzeitig auch das Selbstbild ist vor dem Untergang bewahren, indem man es gegen konkurrierende Weltbilder abgrenzt und verteidigt. Das kann mehr oder weniger agressiv geschehen.
    (Ich will damit aber nicht sagen, dass das die Triebfeder für alle Buddhalanduser ist)

  • Ich denke wir sind weder verschieden noch gleich, weder eins noch zwei. Für mich wird das durch das Beispiel von Welle und Meer ganz gut ausgedrückt. Weder ist die Welle das Meer, noch ist sie verschieden davon.

    Ohne eine lange Zeit grimmiger Kälte,
    die Dir in die Knochen fährt –

    wie könnten die Pflaumenblüten

    dich erfüllen mit ihrem durchdringenden Duft?
    (Obaku)

    Einmal editiert, zuletzt von Festus ()

  • Ja, weder verschieden noch gleich ... und doch gibt es immer (im Geist) verbindende und/oder trennende Aspekte, die es manchmal (nicht in der Übung) zu erkennen gilt.


    Die Allegorie von Welle und Meer hätte ich persönlich nun nicht mit Gegensatzpaaren in Verbindung gebracht ... Eher mit Ich/Nicht-Ich und sunyata/buddhakaya


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    siehst wahrhaft Du den WEG.
    Wenn im Totenkopf keine Sinne mehr sind
    wird erst das Auge klar.


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  • Danke, kannte ich noch nicht, diese Auslegung des Herz-Sutra.


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