Hallo Forum.
Ich habe versucht im Titel möglichst genau zu schreiben worum es mir geht. Aber die Frage ist zu komplex, um es in einem Satz ausdrücken zu können. Ich möchte gerne ergründen inwiefern es mit der buddhistischen Lehre vereinbar ist, dass ein Mensch mit entsprechender Veranlagung dazu kreativ schöpferisch tätig ist (Künstler, Wissenschaftler, Mathematiker, Schriftsteller etc.). Denn wenn diese Person Buddhist ist, so ist seine Tätigkeit ja etwas in das er nicht stark investiert sein "darf". Denn die ganze meditative, achtsame Praxis ist doch gerade darauf ausgelegt alle Gedanken loszulassen und gehen zu lassen. Der zweite Widerspruch, der sich auftut ist, dass bei vielen kreativen Tätigkeiten eine gewisse Methodologie zugrundeliegt, die auch der buddhistischen Praxis direkt widerspricht. So ist ein Mathematiker drauf bedacht stets Objekte zu definieren und zu untersuchen, die wohldefiniert und wohlunterscheidbar sind. D.h. es werden, wie auch allgemein in der Physik, klare Definitionen getroffen, die oft in gewisser Hinsicht die Realität approximieren sollten. D.h. real existierende Objekte werden abstrahiert in den mathematischen Formalismus und man operiert unter der Grundannahme, dass die beste Erklärung der Welt sich begründet im scharfen Abgrenzen von Objekten, was schon sich aus den Grundgesetzen des logischen Schließens ergibt (Gesetze des Denkens). Dies ist nur ein denkerisches Hilfsmittel, was mit der Realität nicht eins zu eins übereinstimmen kann. Denn die Möglichkeit des scharfen Abgrenzens ist in der Realität nicht gegeben. Die gegenteilige Vorstellung, dass eben auf fundamentaler Ebene "alles eins" ist, ist ja eigentlich auch eine buddhistisch geprägte (und realistische) Vorstellung. Objekte der Wirklichkeit sind so geartet, dass bei tieferer Betrachtung immer Ähnlichkeiten gefunden werden können. Selbst zwischen zwei scheinbar völlig verschiedenen Dingen. Die Gesetze der klassischen, aristotelischen Logik (auf denen die Mathematik und damit fast alle Wissenschaft beruhen) sind: 1. Ein Objekt X hat eine eindeutige Identität, d.h. X = X. 2. Ein Objekt kann existieren und nicht existieren. 3. Tertium non datur: Ein Objekt existiert oder es existiert nicht, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Dem direkt im Widerspruch steht ein berühmter Ausspruch Buddha's (Tetralemma): 1. Alles ist wirklich. 2. und unwirklich. 3. sowohl wirklich, als auch unwirklich. 4. weder wirklich noch unwirklich. Man kann diesen (klugen) Spruch verallgemeinern: 1. Ein Objekt existiert, 2. und existiert nicht, 3. sowohl existiert und nicht existiert, 4. weder existiert noch nicht existiert. Wer hat Recht? Die meisten (westlichen) Denker würden schlicht sagen Buddha's Aussage ist ein perfektes Beispiel für religiösen Schwachsinn. Aber tatsächlich hat Buddha recht: Stellen wir uns vor wir geben ein ganz klein wenig Zucker in den Kaffee, sodass man es kaum schmeckt. Dann kann man mit fug und recht sagen, dass der Kaffee 1. süß ist, 2. nicht süß ist, 3. sowohl süß, als auch nicht süß ist und 4. weder süß noch nicht süß ist. D.h. Buddha hatte die große Weisheit zu erkennen was die westliche Wissenschaft nicht verstanden hat, dass das Leben nicht nur schwarz und weiß ist, sondern es viele Nuancen und Zwischentöne gibt. Da ich Mathematiker bin, muss ich aber der Mathematik noch die Ehre retten: Man kann Buddha's Tetralemma mit mehrwertiger Logik (einem mathematischen Objekt, dass sich Topos nennt) auch mathematisch formulieren.
Dennoch sind dies meines Erachtens Widersprüche von buddhistischer Praxis und jedweder Tätigkeit, die einerseits kreativ schöpferisch und andererseits wissenschaftlich / denkend ist. Was ist eure Ansicht dazu? Ist ein Mensch, der einen brennenden Drang in sich verspürt kreativ in seinem Gebiet tätig zu sein und alle seine Zeit durch unbändige Schaffenskraft aufbringt, per se ungeeignet ein Buddhist zu sein bzw. zur Erleuchtung zu gelangen? Gibt es die Möglichkeit Erleuchtung _durch_ kreative Tätigkeit zu erlangen? Ist diese Art der "Erleuchtung" aus Sicht des Buddhismus überhaupt erstrebenswert? Ist es vergleichbar mit der Erleuchtung durch die man durch meditative Praxis und Achtsamkeit gelangt?