S.22.59. Die Merkmale des Nicht-Ich - 7. Anattalakkhaṇa Sutta
(Diese Rede ist das berühmte Anattā-Lakkhana-Sutta, die 'Lehrrede von den Merkmalen des Nicht-Ich', d.i. von den Kennzeichen, welche die Abwesenheit jeder beharrenden Ich-Substanz deutlich machen. Diese Lehrrede wurde an dieselbe 'Gruppe der fünf' früheren Asketengefährten des Buddha gerichtet, welche durch die erste Lehrverkündung, die 'Predigt von Benāres' (Dhammacakka-Pavattana-Sutta) die Stufe des Stromeintritts erreicht hatten. Für die Wichtigkeit der Nicht-Ich-Lehre (anattā) ist es bezeichnend, daß erst nach Hören und Verstehen der davon handelnden zweiten Lehrrede des Buddha jenen fünf ersten Jüngern der Durchbruch zur Heiligkeit gelang. Diese Rede findet sich auch in Vinaya, Mahāvagga I 6, wo es noch zum Abschluß heißt: "Zu dieser Zeit nun gab es sechs Heilige in der Welt" - d.i. mit Einschluß des Buddha selber.)
1. So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene bei Benares, zu Isipatana, im Wildpark.
2. Dort nun wandte sich der Erhabene an die Gruppe der fünf Mönche: "Ihr Mönche!" - "Ja, o Herr", antworteten jene Mönche dem Erhabenen. Der Erhabene sprach also:
3. "Die Körperlichkeit, ihr Mönche, ist Nicht-Ich. Denn wäre, ihr Mönche, diese Körperlichkeit das Ich, nicht würde da diese Körperlichkeit der Krankheit anheimfallen. Erlangen könnte man es dann bei der Körperlichkeit: 'So möge meine Körperlichkeit sein, so möge meine Körperlichkeit nicht sein!'
4. Weil aber, ihr Mönche, die Körperlichkeit Nicht-Ich ist, deshalb fällt die Körperlichkeit der Krankheit anheim, und nicht erlangt man es bei der Körperlichkeit: 'So möge meine Körperlichkeit sein, so möge meine Körperlichkeit nicht sein!'
5. Das Gefühl, ihr Mönche, ist Nicht-Ich. Denn wäre, ihr Mönche, dieses Gefühl das Ich, nicht würde da dieses Gefühl der Krankheit anheimfallen. Erlangen könnte man es dann beim Gefühl: 'So möge mein Gefühl sein, so möge mein Gefühl nicht sein!'
6. Weil aber, ihr Mönche, das Gefühl Nich-Ich ist, deshalb fällt das Gefühl der Krankheit anheim, und nicht erlangt man es beim Gefühl: 'So möge mein Gefühl sein, so möge mein Gefühl nicht sein!'
7. Die Wahrnehmung, ihr Mönche, ist Nicht-Ich. Denn wäre, ihr Mönche, diese Wahrnehmung das Ich, nicht würde da diese Wahrnehmung der Krankheit anheimfallen. Erlangen könnte man es dann bei der Wahrnehmung: 'So möge meine Wahrnehmung sein, so möge meine Wahrnehmung nicht sein!'
8. Weil aber, ihr Mönche, die Wahrnehmung Nicht-Ich ist, deshalb fällt die Wahrnehmung der Krankheit anheim, und nicht erlangt man es bei der Wahrnehmung: 'So möge meine Wahrnehmung sein, so möge meine Wahrnehmung nicht sein!'
9. Die Gestaltungen, ihr Mönche, sind Nicht-Ich. Denn wären, ihr Mönche, die Gestaltungen das Ich, nicht würden da diese Gestaltungen der Krankheit anheim fallen. Erlangen könnte man es dann bei den Gestaltungen: 'So mögen meine Gestaltungen sein, so mögen meine Gestaltungen nicht sein!'
10. Weil aber, ihr Mönche, die Gestaltungen Nicht-Ich sind, deshalb fallen die Gestaltungen der Krankheit anheim, und nicht erlangt man es bei den Gestaltungen: 'So mögen meine Gestaltungen sein, so mögen meine Gestaltungen nicht sein!'
11. Das Bewußtsein, ihr Mönche, ist Nicht-Ich. Denn wäre, ihr Mönche, das Bewußtsein das Ich, nicht würde da dieses Bewußtsein der Krankheit anheimfallen. Erlangen könnte man es dann beim Bewußtsein: 'So möge mein Bewußtsein sein, so möge mein Bewußtsein nicht sein!'
12. Weil aber, ihr Mönche, das Bewußtsein Nicht-Ich ist, deshalb fällt das Bewußtsein der Krankheit anheim, und nicht erlangt man es beim Bewußtsein: 'So möge mein Bewußtsein sein, so möge mein Bewußtsein nicht sein!'
13. Was meint ihr, o Mönche, ist die Körperlichkeit unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr." - "Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?" - "Leidig, o Herr." - "Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen: 'Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst'?" - "Gewiß nicht, o Herr."
14.-17. "Sind Gefühl - Wahrnehmung - Gestaltungen - Bewußtsein unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr." - "Was aber vergänglich ist, ist das leidig oder freudig?" - "Leidig, o Herr." - "Was nun vergänglich, leidig, wandelbar ist, kann man dies mit Recht so ansehen: 'Dies ist mein, das bin ich, das ist mein Selbst'?" - "Gewiß nicht, o Herr."
18.-22. "Daher, o Mönche: was es irgend an Körperlichkeit gibt - an Gefühl - an Wahrnehmung - an Gestaltungen - an Bewußtsein gibt, sei es vergangen, künftig oder gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe - von jeder Körperlichkeit - jedem Gefühl - jeder Wahrnehmung - allen Gestaltungen - jedem Bewußtsein gilt: 'Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst!' So hat man dies der Wirklichkeit gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.
23. So erkennend, o Mönche, wendet sich der erfahrene, edle Jünger von der Körperlichkeit ab, er wendet sich ab vom Gefühl, er wendet sich ab von der Wahrnehmung, er wendet sich ab von den Gestaltungen, er wendet sich ab vom Bewußtsein. Abgewandt wird er entsüchtet. Durch die Entsüchtung wird er befreit. Im Befreiten ist die Erkenntnis: 'Befreit bin ich. Versiegt ist die Geburt, vollendet der Heilige Wandel, getan das Werk, nichts Weiteres nach diesem hier' - so erkennt er."
24. Dies sprach der Erhabene. Beglückt freute sich die Gruppe der fünf Mönche über das Wort des Erhabenen. Während aber diese Erklärung gesprochen wurde, löste sich bei der Gruppe der fünf Mönche das Herz ohne Anhaften von den Trieben.