Ānāpānasati – Geistesgegenwart beim Atmen

  • Die Form von ānāpānasati, die wir brauchen


    Es gibt viele verschiedene Systeme und Techniken der Geistesentwicklung oder citta-bhāvanā, um den Geist zu schulen. Aber von allen, die uns bekannt sind, ist die beste ānāpānāsati-bhāvanā die Entwicklung der Geistesgegenwart während des Ein- und Ausatmens. Das ist die Übung, die wir hier eingehend besprechen wollen.
    Die richtige und vollständige Übung von ānāpānasati-bhāvanā besteht darin, eine Wahrheit oder Wirklichkeit der Natur aufzugreifen und diese dann im Geist, bei jeder Einatmung und jeder Ausatmung zu beobachten und genauestens zu untersuchen. Geistesgegenwart beim Atmen ermöglicht uns so, jede wichtige Wahrheit der Natur zu kontemplieren während wir ein- und ausatmen.


    Ein solches Studium ist sehr wichtig und von großem Wert. Wenn wir bestrebt sind, die Wahrheit von etwas zu verstehen, müssen wir dieses Ding (dhamma) in unserem gegenwärtigen Erleben aufgreifen. Wir müssen es beobachten, kontemplieren, untersuchen und mit ganzem Herzen erforschen, bei jedem Atemzug. Das Objekt muss stetig im Geist bearbeitet werden. „Stetig“ bedeutet hier: Bei jeder Ein- und Ausatmung. Atme ein und sei dir des Objekts bewusst. Atme aus und sei dir des Objekts bewusst. Atme ein und verstehe dieses dhamma. Atme aus und verstehe dieses dhamma. (…)


    Eigentlich ist die Bedeutung von ānāpānasati ziemlich breit gefächert und allgemein. Es bedeutet: Sich mit Hilfe von sati während des Ein- und Ausatmens etwas in den Geist zu rufen, sich irgendetwas zu vergegenwärtigen. Stellt Euch vor, dass Ihr während Ihr ein- und ausatmet, über Euer Zuhause oder die Arbeit nachdenkt oder über Familie und Freunde. Auch das könnte man ānāpānāsati nennen. Aber das ist es nicht, was wir hier tun wollen. Wir wollen uns Dhamma in den Geist rufen, uns also auf die Wahrheit der Natur besinnen, die den Geist von dukkha befreien werden. Wenn wir diese Wahrheit ausreichend in unserem Geist bearbeiten, werden wir alle unsere Probleme loswerden und dukkha auslöschen. Mit anderen Worten, erarbeitet Euch die vier Dhamma-Werkzeuge, sati (rückbezügliche Achtsamkeit oder Geistesgegenwart), sampajañña (Weisheit-in-Anwendung oder klarbewusste Verständnisbereitschaft), paññā (Weisheit oder spirituelles Wissen) und samādhi (geistige Sammlung und Stabilität). (…)


    Vier Dinge, die wir kontemplieren sollten


    Was sind die angemessenen, richtigen und notwendigen Dinge, die bei jeder Ein- und Ausatmung als Kontemplationsobjekte verwendet werden sollten? (…)


    die Geheimnisse des kāya (Körper)
    die Geheimnisse der vedanā (Empfindungen, Gefühle)
    die Geheimnisse des citta (Geist)
    und die Geheimnisse des Dhamma


    (…) Diese sind unsere vier wichtigsten Aufgabengebiete. Wir müssen uns dieser Dinge weitaus häufiger bedienen, um den Geist zu trainieren, als aller anderen Arten von Meditationsobjekten. Denn sie sind bereits in uns vorhanden und der Ursprung aller Probleme in unserem Leben. Weil wir sie nicht verstehen und nicht regulieren können, werden sie zu Dingen, die zu Leid führen. Deshalb ist es unbedingt notwendig, diese vier Dinge – Körper, Gefühl, Geist und Dhamma – klar zu unterscheiden und zu verstehen.


    Erste Tetrade: Fleischkörper und Atemkörper


    Nun lasst uns diese vier einzeln betrachten. Fangen wir mit kāya an. Das Paliwort „kāya“ heißt wörtlich „Gruppe“ und kann für jede Ansammlung von Teilen verwendet werden. In diesem Fall kennzeichnet kāya jene Gruppe von Elementen, die zu einem Fleisch- und Blutkörper zusammengesetzt sind.
    Seht selbst, woraus diese Körper gemacht sind. Welche Arten von Bestandteilen gibt es? Wie viele Organe gibt es? Welche Teile und Komponenten bilden zusammen einen Körper? Es sollte uns auffallen, dass es ein sehr wichtiges Element gibt, das den Körper unterhält, nämlich den Atem. Auch der Atem wird kāya genannt, da er eine Gruppe von verschiedenen Elementen darstellt. Wir werden untersuchen, wie der Fleischkörper aufgebaut ist und in welcher Beziehung er zum Atemkörper steht.
    Der Atemkörper ist sehr wichtig, da er das Leben im Körper aufrecht erhält. Und hier haben wir die entscheidende Beziehung, die wir studieren müssen. Dieser Fleischkörper ist etwas, das nicht direkt kontrolliert werden kann. Das liegt nicht im Rahmen unserer Möglichkeiten. Jedoch gibt es einen Weg, ihn indirekt zu regulieren und zu meistern*, wenn wir den Atem benutzen. Wenn wir den Atemkörper auf eine bestimmte Weise behandeln, wird das eine spezifische Auswirkung auf den Fleischkörper haben. Deshalb verwenden wir den Atem als Übungsobjekt. Den Atem zu überwachen, in welchem Ausmaß auch immer, ist gleichbedeutend mit der entsprechenden Kontrolle des Fleischkörpers. Diese Tatsache wird besonders deutlich werden, wenn Ihr die entsprechenden Stufe von ānāpānasati übt.
    In den ersten Schritten der Übung studieren wir den Atem auf eine besondere Weise. Wir bemerken jede Art von Atem, die vorkommt und untersuchen ihre Eigenart. Lange Atemzüge, kurze Atemzüge, ruhige Atemzüge, grobe Atemzüge, schnelle und langsame Atemzüge; wir müssen sie alle kennen lernen. Wir untersuchen die Natur, die Eigenschaften und die Funktion jedes einzelnen Atemzuges, der auftritt.
    Beobachtet, welchen Einfluss die verschiedenen Atemarten auf den Fleischkörper haben. Der Einfluss des Atems auf den physischen Körper ist groß und dieser Einfluss muss klar gesehen werden. Beobachtet beide Seiten dieser Beziehung, bis es offensichtlich wird, dass sie untrennbar miteinander verbunden sind. Seht, dass der Atemkörper den Fleischkörper gestaltet und „zusammenbraut“**. Das ist der erste Schritt. Wir untersuchen den Atem und lernen die Eigenheiten all seiner verschiedenen Formen kennen.(…)
    * Das Thai Wort „kuab-kum“ wird durchgängig verwendet. Man kann es mit „regulieren, kontrollieren, beschränken, meistern, überwachen oder beaufsichtigen“ übersetzen. alle Bedeutungen sind gemeint, wenn eines dieser Wörter auftaucht, In allen Fällen jedoch basiert kuab-kum auf sati und Weisheit und niemals auf Gewalt oder Willenskraft.
    ** Gestalten und Zusammenbrauen bezieht sich auf die Aktivität der sankhāra (engl. concoctions - Gestaltung, bedingt entstandenes Ding, Gebräu, Phänomen: Alles, was auf andere Dinge oder Bedingungen angewiesen ist, um zu existieren.). Es ist sehr schwer, eine passende Übersetzung für sankhāra zu finden. Das Bild von einem verrückten Wissenschaftler, der in seinem Labor etwas Teuflisches zusammenbraut, das Santikaro Bhikkhu und mir Manfred Wiesberger (Übersetzer) bei dem Wort „concoction“ in den Sinn kam, schien uns am Geeignetsten um das zu vermitteln, was geschieht. Der freundliche Leser wird die Wortwahl sicher tolerieren.


    Zweite Tetrade: Die Gefühle – unsere Beherrscher


    Sobald wir die Geheimnisse des kāya verstanden haben, wenden wir uns den Geheimnissen der Gefühle, der vedanā zu. Die vedanā haben den größten Einfluss und die größte Macht über die Menschen und alle anderen fühlenden Wesen. Das mag Euch überraschen, aber nichtsdestotrotz hängt die ganze Welt – Tiere, Menschen, alles was lebt – von den vedanā ab. Sie alle befinden sich in der Gewalt der Gefühle. Das hört sich komisch und unglaublich an, aber überprüft es für Euch selbst. Unsere gesamte Spezies wird von den vedanā gezwungen, zu tun was sie uns gebieten. Wenn angenehme Empfindungen (sukkha-vedanā) auftreten, versuchen wir, mehr davon zu bekommen. Die angenehmen Gefühle ziehen den Geist immer in eine bestimmte Richtung und bedingen bestimmte Arten von Aktivität. Unangenehme Empfindungen (dukkha-vedanā) beeinflussen den Geist und beeinträchtigen das Leben in die entgegen gesetzte Richtung. Auch hierbei kommt es zu einem Aufbau gewohnheitsmäßiger Reaktionen. Der Geist ringt mit diesen Gefühlen und verdreht sie zu Problemen, die dann dukkha verursachen. (…) Während Begehren (taņha) beispielsweise den Geist kontrollieren kann, ist das Begehren selbst erst durch das Gefühl zusammengebraut worden. (…) In manchen Palitexten werden die vedanā als „Geistgestalter“ (citta-sankhāra) bezeichnet. Mit „Geist“ sind hier unsere Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse gemeint. Wir können dem Einfluss der vedanā nicht widerstehen. Wir sind in uns selbst nicht frei. Wir denken und agieren aufgrund der Macht der vedanā. Die Empfindungen gestalten den Geist und zwingen uns zu handeln. (…)
    Sobald wir die höchsten und angenehmsten vedanā gemeistert haben, können wir auch die niederen und gröberen vedanā meistern. Sobald wir gelernt haben, die stärksten und schwierigsten Empfindungen zu kontrollieren, können wir auch die schwächeren, einfachen, kindischen kontrollieren. Aus diesem Grund sollten wir danach streben, den höchsten Grad der vedanā, nämlich jene, die aufgrund von samādhi entstehen, zu erlangen.


    Es mag manchem seltsam erscheinen, dass wir nach den höchsten Glücksgefühlen streben, nur um sie zu kontrollieren und zu eliminieren, anstatt sie zu genießen und uns darin zu verlieren. Es ist wichtig, diesen Punkt richtig zu verstehen. Durch das Eliminieren dieser angenehmen Empfindungen erhalten wir etwas, das noch besser ist. Wir erhalten eine andere Art von vedanā, ein vedanā höherer Ordnung, eines, das man vielleicht nicht einmal vedanā nennen sollte. Wir erhalten etwas, das eher Nibbāna, der Befreiung entspricht. So gesehen ist es gar nicht so merkwürdig, dass wir versuchen die besten vedanā zu erlangen, nur um sie abstellen zu können.


    Es sind vor allem drei Dinge, die bei den vedanā verstanden werden müssen. Erstens müssen wir die vedanā selbst verstehen, also die Dinge, die der Geist fühlt. Zweitens müssen wir wissen, wie die vedanā den citta, gestalten. Sie bringen Gedanken, Erinnerungen, Worte und Handlungen hervor. Lernt dieses Zusammenbrauen des Geistes kennen. Drittens müssen wir entdecken, dass wir den Geist über die vedanā kontrollieren können, auf die gleiche Weise wie den Fleischkörper, durch die Regulierung des Atems. Wir meistern den Geist, indem wir die Empfindungen, die ihn gestalten, auf die richtige Weise kontrollieren. Dann werden sie den Geist nur noch in angemessener Weise gestalten.


    Da die erste und die zweite Tetrade der Übung beide dem gleichen Prinzip folgen, ist es hilfreich, beide zu vergleichen. In der Tetrade, die sich mit dem Körper befasst, finden wir heraus, was den Fleischkörper gestaltet und untersuchen es. Wir studieren den „Körpergestalter“, bis wir ihn sehr genau kennen. Dadurch, dass wir ihn regulieren, können wir den Körper kontrollieren. Auf diese Weise machen wir den Körper ruhiger und friedvoller. Was den Geist anbelangt, so sind seine Gestalter die vedanā. Indem wir die vedanā so regulieren, dass sie den Geist nicht gestalten oder aufwühlen oder ihn zumindest in einer erwünschten Weise gestalten, können wir den Geist beruhigen. So folgen die erste und die zweite Tetrade dem selben Grundprinzip und gleichen sich in der Methodik.


    Dritte Tetrade: Der subtile Geist


    Anfangs üben wir, um die Geheimnisse des kāya kennen zu lernen. Dann üben wir, um die Geheimnisse der vedanā kennenzulernen. Schließlich, nachdem wir die erste und zweite Tetrade vollständig beherrschen, üben wir, um die Geheimnisse des citta kennen zu lernen. Der Geist ist der Anführer des Lebens. Der Geist lenkt. Der Körper ist das Werkzeug, das gelenkt wird. Wenn das Leben auf den rechten Weg geführt werden soll, müssen wir den citta richtig verstehen, bis wir ihn kontrollieren können. Das wird ein besonderes Studium erfordern, weil das, was wir „Geist“ nennen, sehr subtil, komplex und tiefgehend ist. Wir können ihn nicht mit unseren Augen sehen – etwas Besonderes ist nötig um ihn zu „sehen“. Mit wohl ausgebildeter sati ist so ein Studium durchaus im Bereich unserer Fähigkeiten, aber es erfordert besondere Anstrengung. (…)
    Es ist unmöglich, denn citta unmittelbar zu erkennen. Wir können ihn nicht berühren oder mit ihm in direkten Kontakt treten. Wenn wir wissen, wie die Gedanken sind, werden wir wissen, wie der Geist ist. Beispielsweise können wir Elektrizität an sich nicht sehen. Stattdessen erkennen wir Elektrizität an ihren Eigenschaften: Spannung, Voltzahl, Kraft etc. Genauso ist es mit dem citta. Wir können ihn nicht unmittelbar erleben, aber wir können viele verscheiden Arten von Gedanken, erfahren. Wie viele verscheiden Arten von Gedanken steigen im Laufe eines Tages auf? Wie viele gedankliche Ebenen kommen zum Vorschein? Wir lernen diese verschiedenen Gedanken zu beobachten. So können wir den citta kennen lernen.


    Wir beginnen unser Studium des Geistes damit, zu beobachten, welche Art Gedanken in ihm aufsteigen. Welche Gedanken sind ungeeignet und welche korrekt? Sind diese Gedanken beschmutzt oder unbeschmutzt? Denkt der citta auf eine richtige oder auf eine falsche Art und Weise, heilsam oder unheilsam? Wir beobachten alle nur möglichen Arten von Gedanken, die er denken kann, bis wir ihn gründlich verstanden haben. So lernen wir allmählich, hier und jetzt, die wahre Natur (dhamma-jāti) des Geistes kennen. (…)
    Lernt alle Arten der Geistesbeschaffenheit kennen. Erlernt die Fähigkeit, den Geist zu erfreuen und zufrieden zu stellen. Dann zwingt den Geist, anzuhalten und still zu sein. Zum Schluss veranlasst den Geist, von seinen Verhaftungen loszulassen. Er lässt die Dinge, an denen er anhaften los und die Dinge, die am citta anhaften, lösen sich auch von ihm. Wir lassen alles los und während wir das üben, werden wir zu Experten in Sachen Geist. Das ist die dritte Lektion von ānāpānasati.


    Vierte Tetrade: Erkenntnis des höchsten Dhamma


    Nachdem wir die Geheimnisse des Körpers, der Gefühle und des Geistes erfahren haben, kommen wir nun zur vierten Tetrade, bei der es um Dhamma geht. Der Begriff „Dhamma“ umfasst alle Aspekte des Wortes „Natur“. Nun machen wir die letztendliche Wahrheit dieser Aspekte zu unserem Studienobjekt. „Dhamma zu studieren“ heißt, die Wahrheit zu suchen und zum bestgehütetsten Geheimnis der Natur vorzudringen. Mit diesem Wissen können wir das Leben auf die bestmögliche Weise leben. Deshalb sollten wir das Geheimnis jener Wahrheit, die das Leben bestimmt, studieren – die Wahrheit von aniccatā, dukkhatā, anattatā, idappaccayatā, suññatā und tathatā.


    - aniccatā (Vergänglichkeit): Alle bedingt entstandenen Dinge sind -vergänglich und befinden sich in ständigem Wandel.
    - dukkhatā (Leidhaftigkeit): Allen zusammengebrauten Dingen ist die Unfähigkeit zu eigen, unser Begehren zu befriedigen.
    - anattatā (Selbstlosigkeit, Nicht-Selbst): Alle Dinge sind Nicht-Selbst und daher unkontrollierbar.
    - idappaccayatā (Bedinge Zusammenentstehung): Alle Dinge entstehen aufgrund von Ursachen und Bedingungen.
    - suññatā (Leerheit): Alles ist leer von einem Selbst, frei von „Ich“ und frei von „Mein“.
    - tathatā (Soheit): Alle Dinge sind „nur so“.


    Zusammengenommen ist das die eine Höchste Wahrheit. Wir müssen diese dhammas beobachten, bis wir sie völlig verstanden haben, damit der Geist nie mehr seinen Weg verliert. Wenn der Geist diese jeder Wirklichkeit zugrunde liegende Wahrheit versteht, dann wird er keine Fehler mehr machen und sich selbst auf dem richtigen Pfad halten.
    Es mag seltsam erscheinen, dass alle Wahrheit – aniccatā, dukkhatā, annatatā, idappaccayatā, suññatā – mit tatthatā aufhört. Es mag Euch überraschen, dass die grundlegendste Wahrheit das Universums auf nichts anderes als auf Soheit hinausläuft. Auf Thai wird tathatā mit „gerade so, wie es ist“ übersetzt. Es ist schwieriger, es ins Deutsche zu übersetzen: „Gerade so, nur so, Soheit“. Ist das nicht komisch? Alle Wahrheit läuft auf die gewöhnlichen, täglich gebrauchten Worte „alles ist gerade so, wie es ist“ hinaus. Wenn wir Soheit, das höchste Dhamma, sehen, wird nichts als gut oder schlecht, als falsch oder richtig, als Gewinn oder Verlust, als Niederlage oder Sieg, als Verdienst oder Sünde, Glück oder Leid, Haben oder Bedürfen, positiv oder negativ angesehen. Das höchste Dhamma liegt gerade im „nur so“, denn Soheit steht über und jenseits aller Bedeutungen von positiv und negativ, über allen Bedeutungen von Optimismus uns Pessimismus, jenseits aller Dualitäten. Die Wahrheit, die in der vierten Tetrade erkannt werden muss, ist das Geheimnis der Natur, dass alle Dinge „nur so“ sind – einfach sind, „wie sie sind“.
    Das Dhamma in ausreichendem Maße zu erkennen, ist jedoch nur der erste Schritt. Nun werden wir sehen, wie der Geist anfängt, loszulassen und seine Anhaftungen beginnen sich aufzulösen. Das wird bis zu dem Punkt erfahren, an dem alle Anhaftungen restlos ausgelöscht sind. Wenn alles Anhaften gelöscht ist, gilt es, im letzten Schritt zu erfahren: „Der Geist ist befreit, alles ist befreit“. Die Schriften verwenden dafür das Wort „zurückwerfen“. Der Buddha sagte, dass wir am Ende alles zurückwerfen. Das bedeutet, dass wir unser ganzes Leben lang Diebe waren, da wir die Dinge, die der Natur gehören, uns als „Ich“ und „Mein“ angeeignet haben.
    (…)


    In diesem Kapitel haben wir eine allgemeine Übersicht über das, was auf diesem Übungsweg geschieht, gegeben. Mit diesem Hintergrund sollte es einfach sein, jeden Schritt zu üben, wenn wir dazu kommen.


    Kurze Zusammenfassung der 16-Schritte Methode ānāpānasati


    Erste Tetrade
    (1) Während er lang einatmet, weiß er klarbewusst: Ich atme lang ein. Während er lang ausatmet, weiß er klarbewusst: Ich atme lang aus.


    (2) Während er kurz einatmet, weiß er klarbewusst: Ich atme kurz ein. Währen er kurz ausatmet, weiß er klarbewusst: Ich atme kurz aus.


    (3) Er übt sich: Gründlich alle Körper erspürend, werde ich einatmen. Er übt sich: Gründlich alle Körper erspürend werde ich ausatmen.


    (4) Er übt sich: Den Körpergestalter beruhigend, werde ich einatmen. Er übt sich: Den Körper-Gestalter beruhigend, werde ich ausatmen.


    Zweite Tetrade
    (5) Er übt sich: Gründlich pīti (Zufriedenheit, Befriedigung, Verzückung – angenehmes vedanā) empfindend, werde ich einatmen. Er übt sich: Gründlich pīti empfindend, werde ich ausatmen.


    (6) Er übt sich: Gründlich sukha (Glück, sanfte, angenehme vedanā) empfindend, werde ich einatmen. Er übt sich: Gründlich sukha empfindend, werde ich ausatmen.


    (7) Er übt sich: Gründlich den Geist-Gestalter empfindend, werde ich einatmen. Er übt sich: Gründlich den Geist-Gestalter empfindend, werde ich ausatmen.


    (8) Er übt sich: Den Geist-Gestalter beruhigend, werde ich einatmen. Er übt sich: Den Geist-Gestalter beruhigend, werde ich ausatmen.


    Dritte Tetrade
    (9) Er übt sich: Gründlich den Geist erfahrend, werde ich einatmen. Er übt sich: Gründlich den Geist erfahren, werde ich ausatmen.


    (10) Er übt sich: Den Geist erfreuend, werde ich einatmen. Er übt sich den Geist erfreuend, werde ich ausatmen.


    (11) Er übt sich: Den Geist konzentrierend, werde ich einatmen. Er übt sich: Den Geist konzentrierend, werde ich ausatmen.


    (12) Er übt sich: Den Geist befreiend, werde ich einatmen. Er übt sich: Den Geist befreiend, werde ich ausatmen.


    Vierte Tetrade:
    (13) Er übt sich: Beständig die Vergänglichkeit kontemplierend, werde ich einatmen. Er übt sich: Beständig die Vergänglichkeit kontemplierend, werde ich ausatmen.


    (14) Er übt sich: Beständig das Verblassen kontemplierend, werde ich einatmen. Er übt sich: Beständig das Verblassen kontemplierend, werde ich ausatmen.


    (15) Er übt sich. Beständig das Erlöschen kontemplierend, werde ich einatmen. Er übt sich: Beständig das Erlöschen kontemplierend, werde ich ausatmen.


    (16) Er übt sich: Beständig das Zurückwerfen kontemplierend, werde ich einatmen. ER übt sich: Beständig das Zurückwerfen kontemplierend, werde ich ausatmen.


    Verkürzte Versionen:


    Die Drei-Schritt-Methode:
    (1) Entwickelt ausreichend samādhi, indem Ihr z.B. die erste Tetrade übt.


    (2) Springt zu Schritt dreizehn und kontempliert die Vergänglichkeit. Entsprechend der Perfektion Eurer Betrachtungen stellt sich dann ein Gefühl des Unzufriedenseins mit dem Unbeständigen ein.


    (3) Wenn diese Unzufriedenheit aufsteigt, wir sie den Geist vorantreiben, ihn ablösen von Anhaftungen, sie verblassen und verlöschen lassen und zu Befreiung von Leid führen.


    Für diejenigen, die sich mit den sechzehn Schritten überfordert fühlen, gab Ajahn Buddhadāsa folgende Ratschläge:


    Wenn manche meinen, dass sechzehn Schritte von ānāpānasati zuviel sind, ist das schon in Ordnung. es ist möglich, die sechzehn Schritte auf zwei zu verdichten.


    Die Zwei-Schritt-Methode
    (1) Übe den citta (Geist) darin, angemessen und richtig gesammelt zu sein.


    (2) Mit diesem samādhi gehe sofort dazu über, aniccam, dukkham, und anattā zu kontemplieren.


    Wenn Euch die vollständige Sechzehn-Schritt-Übung nicht liegt oder sie Euch zu theoretisch oder zu ausführlich erschein, dann nehmt einfach diesen beiden Schritte. konzentriert den citta, indem Ihr den Atem kontempliert. Wenn Ihr das Gefühl habt, dass genügend samādhi vorhanden ist, dann untersucht alles, was Ihr seht und erlebt, um zu erkennen, wie unbeständig, unbefriedigend und leer von jeglicher Form oder Art eines Selbst das alles ist.


    (entnommen aus „Ānāpānasati – Die sanfte Heilung der spirituellen Krankheit“ von Buddhadāsa Bhikkhu mit freundlicher Genehmigung der BGM
    Englischer Originaltitel: „Midnfulness with Breathing, A Manual for Serious Beginners“, erschienen bei Wisdom Publications,
    Übersetzung von Santikaro Bhikkhu, Übersetzung vom Englischen ins Deutsche: Manfred Wiesberger.
    © Wat Suan Mokkh, Thailand, alle Rechte vorbehalten
    Herausgeber: Buddhistische Gesellschaft München e.V.
    Das Dhamma-Dana-Projekt der BGM bemüht sich ausgesuchte Dhamma-Literatur in deutscher Übersetzung für ernsthaft Übende zur Verfügung zu stellen. Wer dieses Projekt unterstützen möchte findet alle weiteren Details unter http://www.buddhismus-muenchen.de)