Skopus des Shin

  • Liebe Freunde!


    Bewege ich mich eigentlich noch auf shinbuddhistischem Terrain, wenn ich als Skopus (zentrale Aussage) des Shin den Satz ansehen:


    "Es geht - unabhängig von ihrem Verhalten - für alle fühlenden Wesen nicht schlecht aus."


    Wäre das eine Überinterpretation dessen, was sich in Amidas Gelübden findet? Geht Amidas Mitgefühl doch nicht so weit? Ist es an Bedingungen geknüpft oder kann es das gar nicht bewirken?


    lg caber

    • Offizieller Beitrag
    caber:

    Liebe Freunde!


    Bewege ich mich eigentlich noch auf shinbuddhistischem Terrain, wenn ich als Skopus (zentrale Aussage) des Shin den Satz ansehen:


    "Es geht - unabhängig von ihrem Verhalten - für alle fühlenden Wesen nicht schlecht aus."


    Ein Wesen, das so mies darauf ist, dass es niemals Befreiung erlangen wird - für das es also schlecht ausgeht - wird ja mit dem Begriff "Icchantika" bezeichnet. Deine Aussage könnte man also als ein "Es gibt keine Icchantika" umformulieren.


    Seltsamerweise sagt Shinran das Gegenteil, also dass wir alle "Icchantika" sind - hoffnungslos verblendetete, die auf sich gestellt, nichts auf die Reihe bringen. Deswegen wird ein Anvertrauen an Amida Buddha und sein Gelübte gelehrt. Sähe es für alle fühlenden Wesen nicht wahrhaft schlecht aus, wäre das Gelübte hinfällig.


    Das klingt furchtbar paradox. Mich erinnert das an den Fall von jemand hoffnungslos überschuldeten, der dadurch, dass er Privatinsolvenz anmeldet, also seine Zahlungsunfähigkeit bekennt, langfristig wieder zahlungsfähig werden kann. Jemand, der eine Insolvenz verschelppt, der zahlugnsunfähig ist, aber seine Zahlungsunfähigkeit nicht bekennt, der hat diese Tür für sich verschlossen. Auch wenn gesetzlich dazu alle Möglichkeiten dazu offen stehen. Die Chance ist da, wird aber nicht wahrngenommen.


    Thomas Moser - Icchantika
    http://shinbuddhismus.wordpress.com/2010/07/27/767/#more-767

  • Lieber void, liebe Mitleser,


    ja, es sähe in der Tat für alle fühlenden Wesen schlecht aus, wenn da nicht Amidas grenzenloses Mitgefühl wäre. Nach meinem Verständnis hat es sich Amida allerdings zur Aufgabe gemacht, unser (aller?) Leid zu beenden. In diesem Sinn wären wir dann eben nicht mehr Icchantika.


    Was aber passiert mit denen, die nichts von Amida (in deinem Beispiel: von der Möglichkeit einer Privatinsolvenz) wissen? Haben die einfach Pech gehabt? Ist im Shin das Bekennen der eigenen Unfähigkeit wirklich die conditio sine qua non? Fordert Amida dieses Bekenntnis irgendwo ein oder geht diese Forderung auf seine Interpreten (Shinran) zurück? Mit anderern Worten: Ist die Lehre von Tariki/Jiriki tatsächlich ein zentrales und unverzichtbares Shin-Element? Oder noch schärfer formuliert: Ist Amidas Erlösungswirken bedingungslos zu haben oder doch an eine Form von Anvertrauen (und damit Eigenleistung) gebunden?


    lg caber

    • Offizieller Beitrag
    caber:

    Lieber void, liebe Mitleser,


    ja, es sähe in der Tat für alle fühlenden Wesen schlecht aus, wenn da nicht Amidas grenzenloses Mitgefühl wäre. Nach meinem Verständnis hat es sich Amida allerdings zur Aufgabe gemacht, unser (aller?) Leid zu beenden. In diesem Sinn wären wir dann eben nicht mehr Icchantika.


    Was aber passiert mit denen, die nichts von Amida (in deinem Beispiel: von der Möglichkeit einer Privatinsolvenz) wissen? Haben die einfach Pech gehabt? Ist im Shin das Bekennen der eigenen Unfähigkeit wirklich die conditio sine qua non? Fordert Amida dieses Bekenntnis irgendwo ein oder geht diese Forderung auf seine Interpreten (Shinran) zurück? Mit anderern Worten: Ist die Lehre von Tariki/Jiriki tatsächlich ein zentrales und unverzichtbares Shin-Element? Oder noch schärfer formuliert: Ist Amidas Erlösungswirken bedingungslos zu haben oder doch an eine Form von Anvertrauen (und damit Eigenleistung) gebunden?


    Ich denke, Shin ist vor allem eine Form der buddhitischen Praxis, und die Konzepte machen im Bezug auf dieses Praxis Sinn. Dass sie unabhängig von dieser Praxis (also zur Welterklärung ) Sinn ergeben, muss ja nicht unbedingt sein. Da kann man sehr leicht in Widersprüche reinlaufen. Man kann sich z.B überlegen, dass Amida ein Bodhisattva ist, der gelobt hat erst dann zum Buddha zu werden, wenn alle Wesen befreit sind. Und dann ist man verwirrt, wer wan wieso befreit oder nicht befreit ist.


    Aber es ist ja die Praxis zentral: Und das ist Shin ein Praxis, in der das Anvertrauen eine zentrale Rolle spielt. Und die Idee des "Anvertrauen" impliziert ja schon etwas Äußeres (Tariki). Weil radikal versucht wird, das Heilsame nicht als eigenes zu reklamieren ist sogar das Anvertrauen keine Eigenleistung sondern ein Wirken Amidas.


    Ich habe sehr viel Respekt vor diesem Ansatz habe sie aber nicht für mich gewählt, da ich mir schwer tue nichts zu tun und mich anzuvertrauen. Natürlich kann man auch Meditatation als ein "nichts tun" sehen und jedes Loslassen von Ego ist in gewisser Weise ein Anvertrauen und Öffnen hin zur Wirklichkeit. Aber das Formale daran ist mir eine Stütze.

  • Zitat

    Und die Idee des "Anvertrauen" impliziert ja schon etwas Äußeres (Tariki). Weil radikal versucht wird, das Heilsame nicht als eigenes zu reklamieren ist sogar das Anvertrauen keine Eigenleistung sondern ein Wirken Amidas.


    Und genau da beginnt mein Problem: Wenn Amidas Ruf an mich in mir Vertrauen in sein Erlösungswirken quasi automatisch generiert, ist tatsächlich nur Tariki im Spiel. (Dies scheint im Übrigen ja die offizielle shinbuddhistische Haltung zu sein!)


    Dann sind aber alle jene arm dran, an die Amidas Ruf nicht ergeht, z. B. jene, die sterben, ohne je von Amida gehört zu haben. In ihnen wird infolge des fehlenden Anrufs auch kein Anvertrauen erweckt. Fallen die dann durch den Rost? Rasche Erlösung also doch nicht für alle?


    Finde ich irgendwie unbefriedigend und mit Amidas Grundkonzept auch nicht wirklich vereinbar...


    lg caber

    • Offizieller Beitrag
    caber:


    Dann sind aber alle jene arm dran, an die Amidas Ruf nicht ergeht, z. B. jene, die sterben, ohne je von Amida gehört zu haben. In ihnen wird infolge des fehlenden Anrufs auch kein Anvertrauen erweckt. Fallen die dann durch den Rost? Rasche Erlösung also doch nicht für alle?


    Ist der Hintergrund nicht ein unendlich lange existierende Welt, in der die Wesen eine unendliche Anzahl von Wiedergeburten durchlaufen? Wenn man einen Rost uendnlich oft durchfällt, ist die Wahrscheinlichkeit daran hängenzubleiben doch recht hoch, oder?


    Aber das sind ja nur so müssige "kosmologische" Spekulationen, in denen man sich leicht verliert.


    Oder vielleicht ist es auch das kleine eigene Vertrauen in Amida und sein Gelübte, das sich in solchen Sorgen äußert? Wenn Amida überhaupt nicht so toll ist, sondern diejenigen die "durch den Rost fallen" links liegen lässt, dann erscheint ja eine Amida-Praxis dadurch weniger sinnvoll. Wer meldet schon freiwillig Konkurs an, wenn er sich mit seinem Latein noch nicht ganz am Ende sieht? Da findet man doch immer einen sehr guten Grund zur Konkursverschleppung.


    Solche Widerstände treten ja auch an anderer Stelle auf. Man hat z.B keinen Bock das hier und jetzt so anzumehmen wie es ist und fragt sich dann plötzlich ob die Praxis der Geduld nicht ziemlich zweifelhaft ist, da ja jeder Fortschritt auf Ungeduld basiert. Irgendeine Idee kommt auf, so dass der eigene Widerwille auf einmal ganz plausibel und theoretisch fundiert klingt. Man lässt das Meditieren nicht deswegen ausfallen, weil man seinen Arsch nicht runter kriegt sondern im Dienste des Fortschritts. Das kann man vor sich selbst viel besser verkaufen. Zumindest geht es mir so.

  • void:

    Ist der Hintergrund nicht ein unendlich lange existierende Welt, in der die Wesen eine unendliche Anzahl von Wiedergeburten durchlaufen? Wenn man einen Rost uendnlich oft durchfällt, ist die Wahrscheinlichkeit daran hängenzubleiben doch recht hoch, oder?


    Eine immense Anzahl von "Durchgängen" bedeutet natürlich den Verzicht auf jeglichen raschen Erlösungsanspruch. Meiner Meinung nach deckt sich das nicht mehr mit dem shinbuddhistischen Grundkonzept (leichter, rascher Weg).


    Ich muss nachdenken...


    lg caber

  • Namaste!


    Der entscheidende Satz aus dem "Großen Amitabha-Sutra", genauer: aus dem 18. der 48. Gelübde des Bodhisattvas Dharmakara (des "vorbuddhaliche" Amitabha), also das "Grundgelübde", das Hongan, lautet doch:
    "Sollten, wenn ich Buddhaschaft erlangt habe, empfindungsfähige Wesen in den Ländern der Zehn Richtungen, die sich mir aufrichtig und freudvoll anvertrauen, wünschen in meinem Land geboren zu werden, und meinen Namen rufen, und seien es auch nur zehn mal, nicht dort geboren werden, so möge ich nicht vollkommene Erleuchtung erreichen."

    Umkehrschluss: Da Shakyamuni von einem Buddha Amitabha berichtete hat - wir also einen Buddha Amitabha kennen - hat der frühere Bodhisattva Dharmakara bereits die Buddhaschaft verwirklicht, und damit ist sein Gelübde in Erfüllung gegangen: Alle, die Amitabha anrufen, auf ihn vertrauen und die Hingeburt ersehnen werden gerettet, denn sonst wäre er ja nicht von Äonen Buddha geworden.
    [Im Bereich des "Glaubens" lasse ich die historische Authentizität des Großen Amitabha Sutra mal gänzlich außer Acht!]


    Demnach wäre es schon so, dass man von Amida gehört haben und aus dem Gehörten die Konsequenzen ziehen muss, nämlich die Anrufung, das Anvertrauen und das Wünschen.


    < gasshô >


    Benkei


    Namu-Amida-Butsu

    "Allmorgendlich beginne ich meinen Tag damit, den Spiegel zu polieren;
    Täglich türme ich neue Staubschichten auf;
    Allabendlich beende ich meinen Tag damit, weiter zu polieren;
    Und scheinbar wirbelt auch ein Schlafender noch Staub auf."
    HôShin

  • Benkei:

    Demnach wäre es schon so, dass man von Amida gehört haben und aus dem Gehörten die Konsequenzen ziehen muss, nämlich die Anrufung, das Anvertrauen und das Wünschen.


    Das sehe ich auch so: Allen, die die Hingeburt vertrauensvoll ersehnen, wird sie zuteil. Von Jiriki/Tariki steht explizit nichts im Hongan; dieses Element dürfte vielmehr durch Shinran in den Amidismus eingebracht worden sein. (Vor dem Hintergrund seiner Lebensgeschichte ja durchaus plausibel...)


    Man müsste also von Amida gehört haben, von ihm angerufen worden sein und sich in der Folge Befreiung wünschen und sich Amida anvertrauen. Wen aber ruft Amida an, wen nicht? Welche Auswahlkriterien verfolgt er dabei?


    Entschuldigt bitte meine Penetranz (Advocatus diaboli) aber ich möchte die Sache für mich klären. Und irgendwie stört mich dabei die Vorstellung, Amida wäre hinter seinen prinzipiellen Möglichkeiten (rasche Befreiung aller fühlenden Wesen) zurückgeblieben...


    lg caber

  • Namaste!


    Hallo caber,


    caber:

    Man müsste also von Amida gehört haben, von ihm angerufen worden sein und sich in der Folge Befreiung wünschen und sich Amida anvertrauen. Wen aber ruft Amida an, wen nicht? Welche Auswahlkriterien verfolgt er dabei?


    Mit den "Bedingungen", welche für die Rettung durch Amida überliefert wurden (siehe oben) hatte ich anfangs auch meine Probleme.


    Es verhält sich damit ähnlich, wie mit dem Satz "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich!", Joh 14,6.
    Einerseits heißt es, Jesus sei für die Sünden der Welt gestorben und hätte damit die Menschen erlöst, andererseits muss man an ihn glauben um dieser Erlösung teilhaftig zu werden.
    Damit hatte ich damals auch so meine Probleme.


    Mutet irgendwie beides nach sektiererischen Exklusivitätsdünkeln an...


    Das Ganze relativiert sich allerdings, wenn man erkennt, dass gar nicht jeder auf dieselbe Art gerettet werden muss.
    Zen-Meister Wu-men sagte ja schon: "Der Große Weg ist ohne Tor; zahllose Straßen gibt es!" (Eine persönliche Interpretation dieses Satzes meinerseits.)


    Sehr versöhnlich konnte ich das dann alles sehen, als ich mir den folgenden Satz aus dem Lotos-Sutra (Nyoraijuryohon - 16. Kapitel, Versteil) vergegenwärtigte:
    "Ich kenne die Lebewesen, ob sie auf dem Weg gehen oder nicht.
    Damit ich sie entsprechend ihren Fähigkeiten erlösen kann, lege ich ihnen auf verschiedene Weise das Gesetz dar.
    Ständig richte ich meinen Sinn darauf, wie ich die Lebewesen dazu bringen kann, in die unübertroffene Weisheit einzutreten, damit sie schnell die Buddhaschaft verwirklichen können.
    "


    < gasshô >


    Benkei


    Namu-Amida-Butsu

    "Allmorgendlich beginne ich meinen Tag damit, den Spiegel zu polieren;
    Täglich türme ich neue Staubschichten auf;
    Allabendlich beende ich meinen Tag damit, weiter zu polieren;
    Und scheinbar wirbelt auch ein Schlafender noch Staub auf."
    HôShin

  • Benkei:


    Sehr versöhnlich konnte ich das dann alles sehen, als ich mir den folgenden Satz aus dem Lotos-Sutra (Nyoraijuryohon - 16. Kapitel, Versteil) vergegenwärtigte:
    "Ich kenne die Lebewesen, ob sie auf dem Weg gehen oder nicht.
    Damit ich sie entsprechend ihren Fähigkeiten erlösen kann, lege ich ihnen auf verschiedene Weise das Gesetz dar.
    Ständig richte ich meinen Sinn darauf, wie ich die Lebewesen dazu bringen kann, in die unübertroffene Weisheit einzutreten, damit sie schnell die Buddhaschaft verwirklichen können.


    Danke, Benkei. Du hast mir zum zweiten Mal sehr geholfen...


    lg caber