Verzeihung im Buddhismus

  • Hallo und guten Tag!


    Ich möchte eine Frage an die Gemeinschaft richten, die ich im Forum nicht beantwortet fand.


    Es geht mir dabei um das Thema: Verzeihung.


    Man wird im Leben sicherlich oft schlecht behandelt, belogen und betrogen - das ist Teil des Leids auf dieser Erde (denke ich). Da fällt das Verzeihen in vielen Situationen schwer - besonders wenn es um Dinge geht, die mit Gewalt, Missbrauch oder ähnlichem in Berührung stehen. Oft ist es dann einfach so, dass man der Person aus dem Weg geht und versucht ein sinnhaftes, gutes Leben zu führen. So beispielsweise bei Freunden, Bekannten, Kollegen, etc.


    Was aber, wenn diese Person viel enger an uns gebunden ist - eine Schwester, ein Bruder, ein Elternteil oder Familie im Allgemeinen? Was wenn wir um Verzeihung gebeten werden für Dinge, die uns einfach unverzeihbar erscheinen?


    Gibt uns der Buddha oder weise Buddhisten der Geschichte dazu einen Rat?



    Ich danke für Antworten,
    Liebe Grüße,


    Diapsalmata

  • Wenn man in der umfassenden Liebe bleiben möchte, muss man verzeihen können. Buddha lehrte die vier Unermesslichen Eigenschaften Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut. Insofern lehrte er den Weg der umfassenden Liebe. Wer erleuchtet ist lebt in einem Einheitsbewusstsein. Alles ist Teil des eigenen Selbst oder Nichtselbst (wenn man es so sehen möchte). Man verzeiht also letztlich sich selbst oder auch Buddha. Siehe dein Gegenüber als Buddha und erkenne die Verletzung als Lehre. Wie musst du damit umgehen, damit sie dich zur Erleuchtung bringt?


    Meditation der Vergebung http://www.tibet.de/fileadmin/…2005-16-op-meditation.pdf

    • Offizieller Beitrag

    Verzeihung hat zwei Seiten:


    Die eine Seite ist eine soziale Sache. Hier kann Verzeihung bedeuten, dass man jemand von seiner Schuld freispricht. Damit beschäftigt sich der Buddhismus nur am Rand, also wenn z.B ein Mönch seine Verfehlungen gegenüber seinen Mitmönchen zugibt. Auch die Idee von Karma geht in die Richtung, dass es zwar möglich ist sein Verhalten zu Ändern, aber es nicht möglich ist etwas ungeschehen zu machen.


    Die zweite Sache ist eine geistige Sache. Nicht zu verzeihen kann ja bedeuten, dass man gegen andere einen Groll hegt und ihnen in inneren Dialogen Vorhaltungen macht. Verzeihen kann dann bedeuten, Geduld zu entwicklen und auf Wut zu verzichten. Zu diesem Thema gibt es im Buddhismus viele Belehrungen.


    Allerdings muss diese Art des Verzeihen überhaupt nicht bedeuten, dass der andere ich wirklich schuld ist. Es bedeutet nicht, dass "alles wieder gut ist" und auch nicht, dass er nicht falsch gehandelt hat. Es bedeutet nur, dass ich damit meinen Frieden gefunden habe und nicht mehr wütend (oder voller Hass) bin.

  • Hallo Dieselmantra,

    Diapsalmata:

    Was aber, wenn diese Person viel enger an uns gebunden ist - eine Schwester, ein Bruder, ein Elternteil oder Familie im Allgemeinen? Was wenn wir um Verzeihung gebeten werden für Dinge, die uns einfach unverzeihbar erscheinen?


    Gibt uns der Buddha ... dazu einen Rat?


    ja, zum Beispiel im Gleichnis von der Säge - Kakacūpama Sutta

  • Diapsalmata:


    Oft ist es dann einfach so, dass man der Person aus dem Weg geht.......
    Gibt uns der Buddha oder weise Buddhisten der Geschichte dazu einen Rat?


    »Das Leiden gibt es, doch kein Leidender ist da.
    Die Taten gibt es, doch kein Täter findet sich.
    Erlösung gibt es, doch nicht den erlösten Mann.
    Den Pfad gibt es, doch keinen Wandrer sieht man da.«


    http://www.palikanon.com/wtb/anatta.html


    Es gibt im Buddhismus keine Personen und keine Seele (auch niemand der erleuchtet ist oder erwachen könnte da keine Person da ist)
    Wer sollte also wem verzeihen ? ;)
    Betrug, Lüge - kann schlimm sein im ersten Moment, Schritt zurücktreten, es könnte sein, dass sich etwas schönes erst viele Jahre später aus dieser einen Lüge ergibt, zumindest die Möglichkeit besteht. Ebenso wie aus einer anfänglichen schönen Wahrheit in 10 Jahren etwas böses entstehen kann. Nimm beides so hin wie es ist, die Lüge und die Wahrheit... "kann sein, mag sein" bleib bei "kann sein" und belass es dabei :)


    https://www.youtube.com/watch?v=Ay5KX1C26AE :)

  • Verzeihen kommt auch verschlüsselt vor:
    - nämlich im Annehmen und Akzeptieren von eigenem Leid (um es nicht noch durch Hadern zu vergrößern zB) und
    - im Aufgeben von Hass und Ablehnung, weil sie zu nichts Hilfreichem führen.


    Verzeihen ist also etwas, was einen weiterbringt, weil es Hinderliches aufgibt.
    Das Wort kommt nur nicht so im buddhistischen Vokabular vor.
    Vielleicht, weil es viel mit getrennt-sein zu tun hat: ICH verzeihe DIR - das ist dualistisch und von dieser Denke entfernt sich der Buddhist ja allmählich so gut es geht.


    Wenn man bedenkt, dass im Laufe der unendlichen Vorzeit jedes Wesen wahrscheinlich einmal die eigene Mutter gewesen ist, die sich aufopferungsvoll um einen gekümmert hat, und wenn man bedenkt, dass man im Laufe der vielen Leben aus unendlicher Vorzeit selber schon etliches an Mist und schlimmen Taten angestellt hat - dann ist Verzeihen auch nicht mehr so ein großes abwegiges Ding, sondern eher selbstverständlich.

    :rainbow: Gute Wünsche für jede und jeden. :tee:


  • Diapsalmata:


    Was aber, wenn diese Person viel enger an uns gebunden ist - eine Schwester, ein Bruder, ein Elternteil oder Familie im Allgemeinen? Was wenn wir um Verzeihung gebeten werden für Dinge, die uns einfach unverzeihbar erscheinen?


    Hi D.


    Verzeihen, Vergeben (können) usw. ist sicher eine wichtige Sache für ein friedliches Miteinander


    im Buddhismus ist Verzeihen nicht weiter relevant


    Verzeihen setzt die Vorstellung von Schuld voraus, wie void andeutete


    besser ist: Dinge (dhammas) nicht nachtragen


    das schließt Gefühle, Gedanken & Zustände mit ein


    in Wirklichkeit kannst du nicht „anderen“ verzeihen, sondern jede Person sich selbst, dass sie sich erlaubt hat, unachtsam zu sein & ein unzuträgliches Gefühl, Gedanken oder Zustand (im Geist) nachzutragen


    das scheint umso wichtiger je näher man sich steht, wie z.B. bei Familienmitgliedern, Kollegen usw.


    in der Lehre des Buddha ist Verzeihen etwas das auf dem Edlen Achtfachen Pfad überwunden wird


    (ebenso wie die Opferrolle in der Psychologie überwunden wird)


    Liebe Grüße


    n.

    Trage nicht das Weltgetöse in die stille Einsamkeit
    Such den Wald, daß er Dich löse von der Krankheit unsrer Zeit.

  • Diapslamata:

    Zitat

    Was aber, wenn diese Person viel enger an uns gebunden ist - eine Schwester, ein Bruder, ein Elternteil oder Familie im Allgemeinen? Was wenn wir um Verzeihung gebeten werden für Dinge, die uns einfach unverzeihbar erscheinen?


    Ich finde es wichtig, sich nicht zu zwingen, aus keinem Grund. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich letztlich, manchmal nach einigem, auch jahrelangem Hin und Her, immer losgesagt habe von Leuten, die mir schweres Leid zugefügt haben. Das ist kein "heilsamer Umgang".
    Man benötigt Distanz, kann dann abwägen und klarer sehen.
    Jemandem innerlich zu vergeben ist das eine, das ist ganz notwendig. Jemandem zu verzeihen aber was anderes. Zum Verzeihen können gehört die Reue des Schädigers. Und da kann man nur seiner Intuition vertrauen: Ist das aufrichtig oder gibt es womöglich ein anderes Motiv, dass mich jemand um Verzeihung bittet ?
    Eine gute Prüfung ist, demjenigen zu berichten, wie es einem in und nach der Schädigung ergangen ist. Jemand der aufrichtig bereut, hört einfach nur zu, selbst wenn er sich missverstanden oder überzogen bezichtigt fühlt. Er redet vor allem kein : "aber"...oder "wenn doch, dann..."
    Das zeigt, er setzt sich aus, nimmt dich ernst und respektiert dich.


    Buddha hat Devadatto nicht verziehen.
    Devadatto war erst willens um Verzeihung zu bitten als er vollkommen ausgeschlossen war, obwohl er viele Chancen hatte umzukehren. Selbst wenn Buddha ihm verziehen hätte, es hätte dennoch nichts an seinem Karma geändert. So hat er der Sangha gezeigt, dass nur der reuige Wahrheitsliebende von seinen Vergehen befreit sein kann.
    Damit will ich sagen, dass es nicht förderlich und auch nicht abträglich ist, jemandem nicht zu verzeihen, der aus falschen, oberflächlichen & egoistischen Motiven darum bittet.



    Grüße
    Blue_

  • Diapsalmata:


    Was aber, wenn diese Person viel enger an uns gebunden ist - eine Schwester, ein Bruder, ein Elternteil oder Familie im Allgemeinen? Was wenn wir um Verzeihung gebeten werden für Dinge, die uns einfach unverzeihbar erscheinen?


    Hallo und herzlich Willkommen, Diapsalmata,
    ich hatte 20 Jahre keinen Kontakt zu meinen Brüdern. Aber gerade die Erkenntnis aus der Lehre des Buddhismus hat mich dann zur Umkehr "gezwungen". Ich kam einfach immer mehr zu der Überzeugung, dass es egal ist, was sie getan haben. Damit müssen sie selbst fertig werden, aber ich wollte mein Herz befreien. Und dazu gehörte, dass ich weich wurde. Zunächst hatte ich Angst vor der Begegnung mit ihnen. Da ich zu der Zeit aber viel gute Träume hatte, träumte ich Vergebungsträume, dass wir uns in die Arme nehmen und dergl. Ich sah im Traum, dass auch sie unter der Trennung litten.
    Dann habe ich meinen ältesten Bruder angerufen, aber der war inzwischen an Parkinson erkrankt und wollte mich nicht sehen. Als er ins Pflegeheim kam, habe ich mich mit seinem Sohn in Verbindung gesetzt und wir haben uns für einen Besuch verabredet. Der Schock über meinen pflegebedürftigen Bruder war so groß, dass ich mich nicht auf den Beinen halten konnte, so sehr musste ich weinen. Da gab es gar kein Bedürfnis mehr, verzeihen zu sollen. Ich habe um Verzeihung gebeten.


    Danach habe ich meinen 2. Bruder angerufen, der auch keinen Kontakt mehr zu dem 1. hatte und ihm von dem Leiden erzählt. Auch er hat ihn dann besucht und wir haben uns in die Arme geschlossen.
    Mein 1. Bruder starb und mit dem 2. Bruder habe ich ein lockeres, liebevolles Verhältnis. Ich konnte mehrmals erkennen, dass er mich immer geliebt hat, aber aus Gründen, die mit unserem unterschiedlichen Aufwachsen zusammenhängen - z.B. Eifersucht - mich immer auch kontrollieren und "in Schach halten" wollte und herrisch und ungerecht behandelt hat. Die Gründe für die Trennung waren allerdings schwerwiegender, aber auch ich war da nicht frei von falschem Handeln.


    Alles in Allem sehe ich seither keinen Grund mehr, dass Menschen überhaupt verziehen werden muss. Ich selbst allerdings bin gern bereit, mich zu entschuldigen, wenn ich jemanden verletzt habe. Einfach weil es mich selbst befreit, auch wenn die/der andere dann nicht verzeihen kann.


    Zitat

    @"Blue"
    Buddha hat Devadatto nicht verziehen.
    Devadatto war erst willens um Verzeihung zu bitten als er vollkommen ausgeschlossen war, obwohl er viele Chancen hatte umzukehren. Selbst wenn Buddha ihm verziehen hätte, es hätte dennoch nichts an seinem Karma geändert. So hat er der Sangha gezeigt, dass nur der reuige Wahrheitsliebende von seinen Vergehen befreit sein kann.
    Damit will ich sagen, dass es nicht förderlich und auch nicht abträglich ist, jemandem nicht zu verzeihen, der aus falschen, oberflächlichen & egoistischen Motiven darum bittet.


    Ob der Buddha ihm verziehen hat oder nicht, geht daraus ja nicht hervor. Aus meiner Sicht der Dinge ist es aber völlig unsinnig zu glauben, der Buddha hegte irgendwelche Gefühle dieser Art. Das hieße ja, er hafte an Vergangenem an, womöglich mit Groll. Davon war er aber doch frei. Er hat eine Sangha geleitet und das waren eben die Konsequenzen für Devadatto. Der Buddha war auch nicht für die Befreiung aus dem Karma zuständig, er hat lediglich den Weg gezeigt und Regeln aufgestellt. Der Buddha konnte ja nicht mal sich selbst vom Karma befreien, da musste er selbst ja noch einiges in Kauf nehmen - Rückenprobleme, vergiftete Speise, Felsbrocken.


    Ob wir so viel Weisheit und Unterscheidungsvermögen besitzen wie der Buddha, wage ich zu bezweifeln. Wer weiß, wie viel Menschen wir schon in Krisen gestürzt haben, ohne uns dessen bewusst zu sein. Deshalb würde ich mir nicht mehr erlauben, mich als unschuldig und ewig korrekt handelnden Menschen zu betrachten.


    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Hi Moni


    Zitat

    Ob der Buddha ihm verziehen hat oder nicht, geht daraus ja nicht hervor.


    Er hat seine Bitte nicht angenommen. Devadatta hatte aber auch einiges auf dem Kerbholz, unter anderem versuchte er die Sangha zu spalten.
    Das ist also ein extremes Beispiel für die Frage, wie Buddha damit umging. Wenn der Bestand der Sangha und der Lehre nicht in Gefahr war, hat er freilich verziehen.


    Verzeihen ist eine Geste von erneuertem Vertrauen und Versöhnung.
    Anders als die innerliche Vergebung, hat für mich die Geste des Verzeihen s keinen Einfluss auf Karma, weder des "Täters" noch des "Opfers".


    Ich finde eher, wenn man vorzeitig oder überhaupt über die Hemmschwelle tritt, passiert es meist, das man seine Würde verletzt.
    Und das seh ich eben als unheilsam an. Weil es selbst verletzend ist- aversiv sozusagen.


    Es gibt so eine Neigung bei Buddhisten, sich über Grenzen zu zwingen: "Ich muss gut sein". Nein, ich muss nicht gut sein. Aber ich muss ehrlich sein.
    Ehrlich mit sich und anderen heißt in dem Falle ja auch: Ich schaue, ob das was geschehen ist, wirklich so unverzeihlich ist. Dafür braucht man einen gewissen Abstand. Andere Perspektiven.


    Zitat

    Deshalb würde ich mir nicht mehr erlauben, mich als unschuldig und ewig korrekt handelnden Menschen zu betrachten.


    Ja, natürlich !



    Grüße
    Blue_

    Einmal editiert, zuletzt von Anonymous ()

  • blue_aprico:

    Es gibt so eine Neigung bei Buddhisten, sich über Grenzen zu zwingen: "Ich muss gut sein". Nein, ich muss nicht gut sein. Aber ich muss ehrlich sein.


    na dann fang mal an


    :lol:

    Trage nicht das Weltgetöse in die stille Einsamkeit
    Such den Wald, daß er Dich löse von der Krankheit unsrer Zeit.

  • Inwiefern hast du mir da was vorzuwerfen ? - putti


    Ich vergeb dir vorsorglich schon mal diese Anmaßung, bin ja großherzig :)8)

    2 Mal editiert, zuletzt von Anonymous ()

  • Ich danke euch allein für die vielen Betrachtungen, Links und Tipps!


    Mir wurde damit nun einiges verständlich gemacht, was ich davor nicht erkannt habe.



    Grüße euch,


    Diapsalmata

  • Ich unterscheide zwischen zwei Formen von Verzeihen.


    Da ist zum einen das Verzeihen als Ritual, als Interaktion. Das ist ein Vorgang zwischen Individuen, in der man um Verzeihung bittet und/oder Verzeihung gewährt.
    Zum anderen das innere Verzeihen, also sich selbst oder dem anderen zu verzeihen, ohne dass ein "Antrag gestellt wurde", als Reifungs- und Heilungsprozess.


    Beides scheint mir wichtig.
    Das Ritual ist heilsam für beide Seiten.
    Das innere Verzeihen ist wichtig für einen selbst, und letztlich ändert es auch das Verhalten seiner Umwelt gegenüber.
    Nicht verziehen zu haben, beeinträchtigt immer.


    Verzeihen als Ritual kann auch lange vor der innerlichen Befreiung hilfreich sein. Es markiert eine Wende in der inneren Haltung, den Punkt eines neuen Anfangs, es ist der Anfang von Heilung. Es markiert den Entschluss und den Willen den Weg des Verzeihens zu gehen. Wenn ich Heilung möchte, dann bleibt mir sogar nichts anderes übrig, als einseitig und vorzeitig zu verzeihen.


    Mir erscheint es nicht notwendig, dass ich um Verzeihung gebeten werde, obwohl ich weiß und erfahre, dass das eine Wohltat sein kann und förderlich für den Heilungsprozess ist.
    Wichtig ist für mich nur – und zwar als Mensch, der sich dazu entschlossen hat den Weg der Selbsterkenntnis zu gehen – , dass ich verzeihen kann, ob man mich darum gebeten hat oder nicht. Wenn ich Verzeihung an eine Bedingung knüpfe, z.B. dass mich jemand um Verzeihung bittet, dann hat das den Geschmack von Rache, Strafe, Vergeltung: "Du musst erst angekrochen kommen …" Es ist ein Deal. Manchmal geht es nicht anders, wenn man einfach noch nicht wirklich erkannt hat. Aber ich denke, man sollte wissen, dass man damit sein Wohl noch immer vom Verhalten des Anderen abhängig macht, man liefert sich aus. Daher auch das Gefühl der Ohnmacht, und die Beherrschung durch den Wunsch, der Andere möge einem um Verzeihung bitten – das kann einem das ganze Leben vergällen.
    Mit dem Verzeihen, als Ritual und als inneren Prozess, erhält man ein Stück Autonomie und Freiheit zurück. Es ist immer ein Akt der Stärke. (Ich spreche nicht von "Verzeihen" im Beispiel, wenn die prügelnde Frau den Mann jedesmal wieder zerknirscht um Verzeihung bittet und der Mann dann verzeiht, in der Hoffnung, es sei das letzte Mal gewesen. In solchen Fällen handelt es sich eher um Spiele eines Systems der Abhängigkeit.)


    Unabhängigkeit ist erst dann erreicht, wenn man bedingungslos verzeiht.
    Aber dem gehen Erkenntnisprozesse voraus. Einer davon ist, dass ein Frosch quakt, wir also immer das tun, was wir gerade tun können, was die Bedingungen hergeben. Bedingtes Entstehen eben.
    Wie Monikamarie schon schrieb, niemand von uns ist ohne Schuld. Die meisten Verletzungen fügen wir unseren Mitmenschen zu im Glauben, was Gutes zu tun, zumindest nichts Böses oder irgendwie Dramatisches. Das sehen wir in Eltern-Kind-Beziehungen oder in Partnerschaften. Wer hier im Forum hat noch nie eine Liebesbeziehung beendet, im Glauben, er tue was Rechtes und das Allerbeste? Wissen wir, welche verheerenden Auswirkungen das auf den Anderen hatte – das muss sich ja nicht offensichtlich äußern? Wissen Eltern immer, was sie bei ihren Kindern anrichten, obwohl sie der Meinung sind, sie seien gut zu ihnen? Wissen wir, was wir unseren Kolleginnen und Kollegen, unseren Nachbarn und Nachbarinnen antun, wenn wir ihnen grob begegnen? Wissen wir, welche Folgen es haben kann, wenn wir jemanden auf der Straße blöd ansehen, weil er uns irgendwie komisch vorkommt? … Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Wir haben nicht die Möglichkeit in das Herz der Menschen zu blicken, ihr Leben komplett zu verfolgen, aber wir können uns vorstellen, was das bei uns anrichten würde. Wir können uns ansehen, welche Botschaften, die uns verfolgen, wir verinnerlicht haben, welche kleinen und großen Dinge uns geprägt haben.


    Wenn ich das erkenne, dann ist das Verzeihen unausweichlich. Es scheint mir gar eine Grundbedingung zu sein, um leben zu können, um miteinander leben zu können.
    Ich denke auch, dass es derart ein Teil der menschlichen Natur ist, dass jeder täglich verzeiht. Nur fällt es uns nicht auf. Wir neigen dazu, Verzeihung mit großen Ereignissen zu verbinden, und vergessen dabei, die täglichen kleinen Verletzungen, die wir anstandslos verzeihen.
    Daher meine ich, dass Verzeihung nichts ist, das von außen auf uns zukommt, das wir das erst lernen müssen, sondern dass es uns innewohnt und zu unserer Natur gehört. Aber wie alle Elemente unserer Natur können wir sie vernachlässigen oder kultivieren.
    Das bedinungslose Verzeihen betrachte ich daher als Teil der Gelübde.

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • Doris:

    Zitat

    Das bedinungslose Verzeihen betrachte ich daher als Teil der Gelübde.


    Das nenn ich Vergeben.


    "Überlegen" sollte man aber, ob und wann es angemessen ist ( wieder ) Vertrauen zu schenken, denn das kommt einer "Einladung ins Haus" gleich.
    Für mich ist das ne Frage des "guten und schlechten Umganges".
    Menschen "verstehen" nicht, wenn man ihnen einfach so verzeiht. Man tut ihnen also nix Gutes.


    Zitat

    Unabhängigkeit ist erst dann erreicht.


    Die kann man nicht erreichen. Aber "Autonomie" ist ein Schlüssel dafür.

  • Ich finde es schwierig zu verzeihen, besonders, wenn mein Vertrauen missbraucht wurde. Dann ist es eigentlich unmöglich.
    Zudem, in den wenigen Malen, in denen ich die aufrichtige Entschuldigung akzeptiert hatte, kam es früher oder später wieder zu einem ähnlichen "Verschulden".


    Ich gräme den Leuten nicht, denn es tut mir selbst nicht gut. Sie haben sich halt aus ihren Gründen heraus ebenso verhalten. Das kann ich manchmal auch gut nachvollziehen, aber was soll´s? Man kann ja für alles eine verständliche Begründung finden!


    Ich kann verzeihen, aber das mache ich nur meiner selbst wegen, um meine Verletzung und/oder meinen Groll gen Null zu richten.
    Diese Menschen jedoch halte ich fortan sorgsam von mir fern. Keine Feindschaft, nur klare Distanz.

    Der Horizont existiert nur im Auge des Betrachters, nicht in der Wirklichkeit

  • Am Besten baut sich bei mir der Groll ab wenn ich mir vergegenwärtige dass es kein Böse gibt, sondern nur Verblendung. Wer falsch handelt hat keine klare Erkenntnis darüber, sonst würde er es ja nicht tun - denn falsches bzw. unheilsames Handeln führt ja zu Leid. Mit jemandem der aus Unwissenheit sich selber und anderen Leid zufügt, kann man eigentlich nur Mitgefühl haben. Diese Sicht ermöglicht es mit allen innerlich Frieden zu schließen und jedem alles Gute zu wünschen.


  • Ich habe auch einiges gelernt von den vielen Perspektiven und danke der Veranlasserin für die gute Frage.


    _/\_

  • Hallo Diapsalmata,


    der Meditationslehrer meines Vertrauens hat bei seinen Schülern recht häufig die Erfahrung gemacht, dass sie in der Meditation nicht weiter kamen, weil da besonders schwer zu lösende 'Knoten' aus der Vergangenheit waren, über die sie nicht hinweg kamen. Einige konnten überhaupt nicht oder nur ganz schwierig Gefühle der Freundlichkeit und des Wohlwollens aufbringen (Metta).
    Da hat er sich daran gemacht und erforscht, ob Vergebung als Meditationsobjekt funktioniert. Zwei Jahre lang hat er ausschließlich das Gefühl der Vergebung als Meditationsobjekt verwendet, um sicher zu gehen, das es funktioniert. Schließlich ist er zu dem Ergebnis gekommen, dass es funktioniert. Vergebung ist eine Vorstufe von Freundlichkeit/Wohlwollen(Metta) und als solche schon Teil davon. Seitdem unterrichtet er Vergebung als Meditationsobjekt und bietet sogar ganze Retreats damit/dafür an.


    Talks und Literatur dazu (englisch): http://www.dhammasukha.org/forgiveness-meditation.html



    ganz liebe Grüße

  • Danke Mirco, davon bin ich auch überzeugt! Wenn wir nicht vergeben können - und verzeihen ist für mich auch damit gemeint -, dann verschließen wir unser Herz und damit den Kanal zum Mitgefühl und Wohlwollen. Ein solcher Mensch wird kaum Frieden finden.
    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • @"Blue
    Was du über das Verzeihen geschrieben hast, habe ich auch bei "Eugen Drewermann" gelesen, PT und ehemals einer bedeutendsten Theologen. Eben dass man zwar innerlich verzeihen kann, aber wenn das Gegenüber keine wirkliche Einsicht hat, dass es keine Verzeihung gibt - das ist die psychologisch, christliche Zugangsweise zu dem Thema, wobei ich wirklich glücklich bin über das Forum, weil grad im Anfängerbereich wirklich immer wieder Themen vorkommen, die für mich sehr wertvoll sind und mich sehr interessieren, die Beiträge haben auch mir geholfen, weil das ist auch eines meiner Themen, so gesehen auch ein Danke von mir an alle, die ihre Standpunkte schrieben, ich habe gelernt daraus, LG Son

  • Son:

    Zitat

    aber wenn das Gegenüber keine wirkliche Einsicht hat,


    nein darum geht es nicht. und da solltest du wirklich vorsichtig sein.

  • blue_aprico:
    Son:

    aber wenn das Gegenüber keine wirkliche Einsicht hat,

    nein darum geht es nicht.


    ja, ich möchte das auch noch mal betonen: wie sich Gegenüber verhält, spielt in der Vergebung absolout keine Rolle.


    Herzliche Grüße

  • Son:

    Zitat

    aber wenn das Gegenüber keine wirkliche Einsicht hat, dass es keine Verzeihung gibt


    Vielleicht hast du das nur unglücklich formuliert.
    Ich möchte hinzu fügen, dass, wenn kein Verständnis da ist und keine Entschuldigung kommt,
    dennoch keine Boshaftigkeit, Rachegelüste, Verbitterung und ähnlich unheilsames genährt werden darf,
    was nicht bedeutet, dass diese Gefühle, Gedanken ecpp verleugnet werden sollten.