Wie lernt man nachgeben?

  • Es gibt sie häufig, die Situation:


    In einer Diskussion weiß man zu 100 %, dass man Recht hat, man spürt es.
    Der Gesprächspartner sieht das leider nicht so, und versucht seine Meinung mit aller Gewalt "durchzuboxen", ohne sich seiner Scheuklappen bewusst zu sein.


    Meist ist hier natürlich das Beste, nachzugeben, wenn es nicht um etwas sehr Wichtiges geht. Meist sind die "Seitenschäden" größer als der eigentlich Gewinn, wenn man weiter diskutiert.


    Nur wie lernt man, nachzugeben? Wie lernt man, zu akzeptieren, dass der Gesprächspartner in seinem Unrecht glaubt, im Recht zu sein?


    Mantra? Atemtechnik? Mund mit Paketband zukleben? Habt ihr eine spezielle Technik für diese Fälle?

  • Hanzze:

    Um was gehts? Was hat das mit dir zu tun?


    Was es mit mir zu tun hat? Gute Frage - solange man sich nicht damit identifiziert, hat selbst die eigene Nasenspitze nichts mit einem zu tun.
    Danke - deine Frage hat mir tatsächlich weitergeholfen.

  • Hi Dalai,
    indem man den Mut aufbringt, einfach nachzugeben. Indem man sich vergegenwärtigt, wer hier was wissen will, wer hier recht haben will usw. Durch das Ausprobieren kommst Du vielleicht zu dem Ergebnis, dass Nachgeben unglaublich entspannend und befreiend sein kann. So geht es jedenfalls mir. Durch Anschauen meines rechthabenwollenden Egos konnte ich irgendwann loslassen und habe dadurch Vertrauen entwickelt. Es passiert ja nichts. Für wen ist es wichtig, ob ich recht habe oder der/die andere? Ich bin mir der Relativität des Rechthabenwollens bewusst geworden - und tschüß! :lol:
    _()_ Monika


  • Hallo Dalai,



    ich kenne die von Dir beschriebene Situation sehr gut aus eigener Erfahrung. Viele Jahre war ich rechthaberisch, habe meine Ansichten verteidigt und durchgeboxt und habe letztlich darunter gelitten. Noch bis vor kurzem habe ich mich z.B. auch hier im Forum immer wieder an an solch kämpferisch-rechthaberischen Auseinandersetzungen teilgenommen. 'Nebenbei' habe ich aber natürlich viele Jahre damit verbracht, und tue dies immer noch, zu lernen, wie ich dieses mein Leid loswerden könnte.


    Erwarte bitte nicht, das Du hier eine Antwort liest oder sonst ein Patentrezept, das Dich von heute auf morgen von einem unangenehmen Verhalten welcher Art auch immer befreit. So etwas gibt es nicht, dahinter steckt immer viel Geduld, Offenheit, Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber, Achtsamkeit und Meditation.


    Es hat sich gelohnt. Inzwischen gerate ich kaum noch in solche Situationen und wenn doch, gelingt es mir zu, was weiß ich, 90% damit wieder aufzuhören, bevor es überhaupt richtig angefangen hat.


    Wie habe ich das lernen dürfen? Hmm, darüber habe so noch gar nicht resümiert, ich probiere es mal.


    Übung: Meditation. Ich übe seit zwei Jahren ausschließlich Metta (Wohlwollen, Freundlichkeit) im Alltag wie auch in der stillen Meditation.


    Ansicht & Einsicht: Respekt. Ich durfte lernen, es so zu verstehen: weder ich noch der andere haben Recht. Woher nehme ich das Recht, zu glaube ich hätte recht? Der andere könnte genauso gut recht haben, weil ich ja eben noch nicht alles weiß. Bin ich ein Buddha?


    Kann ich meine Erfahrung nehmen und sie dem anderen einpflanzen? Nein, geht nicht. Der andere wird es auch dann nicht in seinen Erfahrungsschatz aufnehmen, wenn ich versuche es ihm überzustülpen. Er kann es nur selbst erfahren und sich das Wissen nur durch eigenes Erleben aneignen. Falls ich dabei mit meinem Verhalten ein Vorbild sein sollte, wäre ist dies die einzige Weise, ihn zu beeinflussen. Aber das ist seine Entscheidung und geht mich nichts an.


    Und gerade wenn ich davon überzeugt bin, etwas 100% zu wissen, sollte ich vorsichtig sein. Meistens verteidigt etwas in mir eine negative Eigenschaft, die mein anhaftendes Ich nicht loslassen will und erzeugt nur inneren Verhärtungen. Ich erlebe den Impuls, unbedingt recht habe zu wollen und meine oberflächlichen Einsichten weitergeben zu wollen täglich. Danke, das ich dies als Übungsfeld annehmen darf.


    Ansicht & Einsicht: Jeder Mensch, jedes Wesen befindet sich an einer anderen Stelle der Entwicklung zum Nibbana hin. Das kann ich nicht ändern, jedenfalls nicht durch Rechthaberei. Ich kann nur für mein eigenes Handeln die Verantwortung übernehmen und dafür Sorge tragen. Falls dabei herauskommt, das sich jemand von meiner Positivität angezogen fühlt und mich darum bittet, ihm zu erklären, wie ich das gemacht habe, ist das eine gute Nebenwirkung der Arbeit an mir selber.


    Übung: Immer wieder Loslassen und Entspannen. Vor allem, wenn es innerlich drängt und noch so was von Recht hat und raus will: immer wieder loslassen und entspannen. Keine Ansicht ist einen Kampf (s.u.) wert. Loslassen, Entspannen und zum Wohlwollen in die Gegenwart zurück.


    Ansicht & Einsicht: Krieg führt nicht zu Frieden, nur nicht-Krieg führt zu Frieden: keine streithafte Diskussion wird je dazu führen, das jemand zu Einsicht gelangt. Wenn streithaft und kämpferisch gehandelt wird, bauen sich innerlich Mauern auf, der Geist verengt sich, Vertrauen geht verloren. Dann ist weder beim einen noch beim andern ein offener, lernbereites Herz oder Geist (citta) vorhanden. Deshalb, immer wieder loslassen und entspannen. Nur Entspannt und mit Freude lässt sich lernen.


    Übung: Offenheit, Ehrlichkeit, Toleranz. Ich habe das Glück, außerhalb vom Buddhismus noch einer anderen spirituellen Gemeinschaft anzugehören, in welcher ich offen und ehrlich über all meine inneren Vorgänge teilen kann ohne dafür in Wort oder Tat bewertet zu werden. Ich wünsche jedem, das er solche Freunde hat, mit denen er das Üben kann.



    Das sind meine Erfahrungen zu dem Thema. Ich hoffe, es ist eine kleine Hilfe.



    Alles Gute, Mirco :)

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  • Dalai:

    Es gibt sie häufig, die Situation:


    In einer Diskussion weiß man zu 100 %, dass man Recht hat, man spürt es.
    Der Gesprächspartner sieht das leider nicht so, und versucht seine Meinung mit aller Gewalt "durchzuboxen", ohne sich seiner Scheuklappen bewusst zu sein.


    Ja, da gehe ich nun von etwas anderem aus - ich habe Recht, du hast Recht - die Unterschiede liegen allein in den Bedingtheiten und genau da müssen wir suchen, wenn wir uns verständigen wollen. Wir haben also beide Scheuklappen und ich muss also erst einmal meine abnehmen, um besser die Bedingtheiten des anderen und auch meine natürlich zu erkennen.


    Zitat


    Meist ist hier natürlich das Beste, nachzugeben, wenn es nicht um etwas sehr Wichtiges geht. Meist sind die "Seitenschäden" größer als der eigentlich Gewinn, wenn man weiter diskutiert.


    Die frage ist ja, worum geht es MIR in einem Streit? Wenn mir das bewußt wird, kann ich sehen, wie eine Diskussion sinnvoll weiter gehen könnte.

    Zitat


    Nur wie lernt man, nachzugeben? Wie lernt man, zu akzeptieren, dass der Gesprächspartner in seinem Unrecht glaubt, im Recht zu sein?


    Och, wie nett.
    Man lernt nachgeben durch nachgeben - und man lernt respektieren durch respektieren. Einfach ausprobieren und dann merkst du es und wirst darin immer geübter und erfahrener.

    Zitat


    Mantra? Atemtechnik? Mund mit Paketband zukleben? Habt ihr eine spezielle Technik für diese Fälle?


    Ja - Distanz und Abstand. Aus einer gewissen räumlichen und zeitlichen Entfernung sehen die Dinge anders aus und man kann dann einfacher geben. Nachgeben ist ja ein Geben - ich gebe dem anderen Raum z.B. und damit eben Respekt.


    _()_

  • Hallo mirco,
    vielen Dank für den schönen Beitrag. Ich kann ihn nur unterstützen. Mir hat irgendwann einmal die Einsicht geholfen, keine festen Vorstellungen mehr zu haben. Diese habe ich dann überprüft und festgestellt, dass sie nur hinderlich sind. Natürlich brauche ich eine Richtlinie und diese vertrete ich auch, aber ich kämpfe nicht mehr um ihren Erhalt oder um Bestätigung dafür.
    Aber noch eimal, Deine Offenheit gefällt mir sehr :D
    Monika


  • Recht oder Unrecht
    interessieren mich überhaupt nicht -
    das ist wie falsch oder richtig. Begriffe,
    die ein jeder Mensch sich bastelt und weit von
    der Wirklichkeit entfernt sind.


    Etwas durchzusetzen liegt mir fern;
    meistens ordne ich mich unter (damals im Berufsleben).
    Im privaten Leben atme ich tief in den Bauch und lasse
    den Atem langsam wieder ausgleiten. Ein tiefes Seufzen tut es auch !
    Mittlerweile bin ich soweit, einen jeden zu lassen !
    Mit mir lebt und stirbt die ganze Welt.
    LG

    Es ist eine wahre Schmach und Schande, daß wir Christen wie blinde Hühner umhergehen und nicht erkennen, was in uns ist und davon gar nichts wissen.
    Johannes Tauler

  • Dalai:

    Es gibt sie häufig, die Situation:


    In einer Diskussion weiß man zu 100 %, dass man Recht hat, man spürt es.


    dieser aussage kann ich nicht zustimmen. ich kenne von früher dieses empfinden sehr wohl aber es ist eine große täuschung.
    diese rechthaben ist ein subiektives gefühl das den gesprächspartner in seiner "gesamtheit" nicht berücksichtigt.

    Zitat

    Der Gesprächspartner sieht das leider nicht so, und versucht seine Meinung mit aller Gewalt "durchzuboxen", ohne sich seiner Scheuklappen bewusst zu sein.


    der geschprächsparner sieht es möglicherweise wie der der meint 100% recht zu haben...ich denke letztendlich ist es sein gutes recht.
    so eine haltung von beiden seiten verhindert kommunikation und dadurch das finden eines gemeinsamen nenners im gespräch.
    das ist dan meiner ansicht nach nur verteidigung von standpunkten.
    hier gibt es ein für mich relevantes beispiel zu dem them:


    http://kodosawaki.blogspot.com…er-tag-ein-guter-tag.html


    wenn ich nicht verteidige muss ich auch nicht nachgeben, ich respektiere die freiheit des anders denkenden, so wie ich respektiert werden will.
    wenn ich überlege was für mich nachgeben heisst, verbinde ich es mit einem gefühl von, "ach... lass den denken oder machen....was solls", dabei ist die "vermeintliche wahrheit" immer noch bei mir und hinzu gesellt sich noch ein gefühl von überlegenheit.


    100% recht haben gibt es nicht, ich bezweifle ernsthaft ob es zo was wie "recht haben" überhaupt gibt.
    es gibt meiner ansicht nach deine meinung, meine meinung und die bereitschaft einen gemeinsammen nenner zu finden, dabei verschieben sich unsere beider wahrheiten mal zu dir mal zu mir.


    LG

  • In einer Diskussion weiß man zu 100 %, dass man Recht hat ...


    Sollte man denn dann nachgeben?
    Es heißt zwar der Klügere gibt nach, aber das würde doch bedeuten den Dümmeren das Handeln etc. zu überlassen.


    Nachgeben kann ich bei Forderungen, die ich stelle, um Kompromisse zu finden; aber bei Wahrheit?


    Sicherlich gibt es Situationen, wo weitere Diskussionen nichts bringen. Dann hört man am besten auf.


    Beispiel:
    Wenn eine Mutter ihren Sohn ständig misshandelt und sdas für richtig hält und ich mit ihr darüber diskutiere, darf ich doch nicht nachgeben, sondern muss versuchen sie zu überzeugen, dass dies gefährlich und grausam ist.


    Gruß
    Sven


  • Hi Sven,
    da hast Du Recht 8) . Bei Deinem Beispiel geht es ja auch nicht um Rechthabenwollen, sondern um den Schutz eines Schutzbedürftigen. Diese Mutter würde ich auch nicht weiter überzeugen wollen, wenn sie es denn nicht einsieht, sondern mich mit Fachleuten beraten oder sogar schlimmstenfalls ihre Misshandlungen zur Anzeige bringen.
    LG Monika

  • Danke euch allen für den umfangreichen und weiterhelfenden Input.


    Dann arbeite ich mal weiter am Throughput, damit ein guter Output rauskommt... oder so ähnlich. :lol:

  • monikamarie:

    Hallo mirco,
    vielen Dank für den schönen Beitrag. Ich kann ihn nur unterstützen. Mir hat irgendwann einmal die Einsicht geholfen, keine festen Vorstellungen mehr zu haben. Diese habe ich dann überprüft und festgestellt, dass sie nur hinderlich sind. Natürlich brauche ich eine Richtlinie und diese vertrete ich auch, aber ich kämpfe nicht mehr um ihren Erhalt oder um Bestätigung dafür.
    Aber noch eimal, Deine Offenheit gefällt mir sehr :D
    Monika


    Hallo Monika,
    das freut mich. Offenheit, Ehrlichkeit und Loslassen sind momentan meine heilsamsten Begleiter. Ich wünsch Dir auch solche.
    Alles Gute, Mirco :)

  • Ja, mirco, das gilt auch für mich. Sie sind wirklich sehr heilsam, hätte ich nur schon eher auf sie vertraut ;) .
    MM