Aus dem Berzin Archiv :
"Jegliche Aktivität in einen spirituellen Pfad verwandeln
Die Praxis der vorbereitenden Übungen ist nicht nur auf die anfänglichen Stadien unseres spirituellen Pfades beschränkt, und dann ist sie beendet. Wir müssen uns kontinuierlich von Hindernissen reinigen und positive Kraft ansammeln, den ganzen Pfad entlang. Wir setzen den Prozess fort, bis wir unser Ziel erreicht haben, völlig gereinigt und fähig zu sein, unser gesamtes Potential zum Wohle der anderen zu nutzen. Da dies solch ein langfristiger und zentraler Prozess ist, ist es wichtig zu erkennen, dass wir mit der richtigen Einstellung und Motivation jegliche sich wiederholende positive oder neutrale Handlung, die wir zu Hause oder im Büro ausführen, in eine vorbereitende Übung verwandeln können, die effektiv alle geistigen Blockaden abtragen und positive Kraft aufbauen kann.
Wir lesen in vielen buddhistischen Standardwerken, wie wir selbst die banalsten Handlungen in einen spirituellen Pfad verwandeln können. Wenn wir zum Beispiel einen Raum betreten, können wir uns vorstellen, dass wir von Samsara oder unkontrollierbar wiederholter Wiedergeburt frei werden und ins Nirvana eintreten, einen Zustand der Erlösung und Freiheit von Leid. Wir können uns dabei auch vorstellen, dass wir alle Wesen dabei mitnehmen. Wir müssen mit den Dharma-Belehrungen kreativ umgehen und dieses Prinzip auf unsere persönlichen Lebensumstände anwenden und alles, was wir tun, in eine vorbereitende Übung verwandeln.
Nehmen wir zum Beispiel an, wir würden in einem Büro arbeiten und den ganzen Tag seitenlange Papiere tippen. Wenn wir dies lediglich als unseren Job betrachten und es langweilig und bedeutungslos finden und es hassen, wird es uns kaum mehr als ein bisschen Geld, Kopfschmerzen und viel Frustration bringen. Das gleiche kann der Fall sein, wenn wir wiederholte Niederwerfungen machen. Wir haben nicht viel davon, wenn wir sie wie eine unangenehme Pflicht auf der Arbeit betrachten, die wir erledigen müssen. Wir bekommen nur Rückenschmerzen und noch nicht einmal Geld! Doch wenn wir das ganztägige Tippen mit der Einstellung betrachten: „Ich stelle Dinge klar, so dass jemand anderem etwas effektiv mitgeteilt werden kann”, stellen wir fest, dass es keinen Unterschied macht, wie trivial der Inhalt dessen ist, was wir tippen. Es ist der Prozess, der wichtig ist – wir stellen etwas klar und machen es verfügbar für die Kommunikation mit anderen. Mit solch einer Einstellung und Motivation dient unsere tägliche Büroroutine effektiv als vorbereitende Praxis.
Um mit den buddhistischen Lehren kreativ umzugehen, müssen wir alles, was wir gelernt haben, zusammenbringen. In diesem Beispiel, unsere Büroarbeit zu einer vorbereitenden Praxis zu machen, verbinden wir die Lehren über das Aufbauen und Reinigen mit der Mahamudra-Richtlinie, uns nicht im Inhalt unserer Erfahrung zu verfangen, sondern einfach beim Prozess zu bleiben. Dann bringen wir das mit dem Lojong zusammen – der Methode zur Reinigung unserer Einstellungen oder dem ,Geistestraining’, mit dem wir negative Situationen in positive und der Praxis förderliche verwandeln. Wenn wir unterschiedliche Teile der Lehren auf diese Weise zusammenfügen, können wir die Antwort darauf, wie wir den Dharma auf den Alltag anwenden können, selbst herausfinden. So lassen wir unsere buddhistische Praxis lebendig werden und unser Interesse frisch bleiben.
Das Etablieren und Stärken zweier erleuchtungsbildender Netzwerke
Ein weiterer möglicher Grund dafür, warum uns unsere vorbereitende Praxis und der Dharma im Allgemeinen irgendwann fade und wirkungslos erscheint, ist folgender: Wir gehen die Etablierung und Stärkung der zwei erleuchtungsbildenden Netzwerke von positiver Kraft und tiefem Gewahrsein so an, als würden wir Rabattmarken im Supermarkt sammeln. Wir sammeln mit jedem Einkauf mehr und mehr Rabattmarken an, die wir in ein Büchlein kleben, das wir in einer Schublade aufbewahren. Wenn wir am Ende genügend Büchlein vollgeklebt haben, können wir sie gegen ein Küchengerät eintauschen. Wenn wir also Zeit und Energie damit verbringen, wiederholt Niederwerfungen zu machen, fühlen wir uns, als würden wir im Supermarkt Geld ausgeben, um mehr Rabattmarken zu erhalten. Sie haben zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Relevanz für unser Leben, doch sie können später gegen den Gewinn eingelöst werden, die Erleuchtung.
Das, was wir im Laden kaufen, können wir essen; doch mit der eben genannten Geisteshaltung erkennen wir keinen unmittelbaren Effekt in unseren Niederwerfungen, abgesehen von wunden Knien und einem schmerzenden Rücken. Wenn wir jedoch alle Handlungen unseres Tages, besonders die wiederholten, in vorbereitende Übungen verwandeln, ziehen wir auch den sofortigen Nutzen daraus, dass jeder Moment unseres Tages bedeutungsvoll wird. Unsere Lebensqualität steigt dem entsprechend an und wir werden glücklicher, weil wir nie das Gefühl haben, unsere Zeit zu verschwenden. Dieses positive Selbstwertgefühl verstärkt unseren Enthusiasmus für die vorbereitenden Standardpraktiken wie das Ausführen von Niederwerfungen. Wenn wir auf diese Weise alle Lehren so zusammenbringen, dass wir sie auf unseren Alltag anwenden, wird unsere Praxis nicht fade und wirkungslos werden."