Überall Allgegenwärtig

  • Grüßt Euch ganz recht herzlich,


    Vor sehr langer Zeit lebte in Indien eine Frau mit Namen Kisa. Sie wuchs in einem kleinen Dorf auf. Sie war arm, weil ihre Familie nicht viel Geld besaß. Als sie noch recht jung war, wurde sie verheiratet und zog so in eine Stadt namens Kapilavattu um dort bei der Familie ihres Mannes zu leben.


    Schon ganz zu Anfang, als sie zu ihnen zog, war die Situation schwierig. Sie vermisste ihr Heimatdorf mit den Bauernhöfen und Tieren ; sie vermisste ihre Familie – ihre Brüder und Schwestern – und sie vermisste ihre Freunde. Und es gab so viel zu tun, nun da sie verheiratet und erwachsen war. Sie verstand sich nicht gut mit der Familie ihres Mannes; sie meinte, dass sie niemand mochte – dass sie im Weg stand, und dass sie alles falsch machte – sie war nicht sehr glücklich.


    Als jedoch ihr Sohn zur Welt kam, waren alle sehr erfreut und ihr Leben verbesserte sich. Ihr Kind war hinreißend. Alle mochten ihn gerne und Kisa war darüber glücklich.


    Aber als ihr Kind noch sehr klein war, starb ihr Mann. Kisa war sehr bestürzt. „ Wenigstens bleibt mir noch mein kleiner Sohn“, dachte sie.


    Aber eines traurigen Tages wurde auch das Baby sehr krank und starb.


    Kisa war darüber so verzweifelt, dass sie nicht begreifen konnte, was geschehen war. Sie konnte sich einfach nicht damit abfinden, dass ihr Baby nicht mehr lebte. Sie war so verstört, dass sie sich einbildete, er schliefe. Sie wollte eine besondere Medizin finden, die ihm zur Genesung verhelfen, die alles wieder in Ordnung bringen würde.


    So beschloss sie alle Bekannten um diese besondere Medizin zu bitten. Mit ihrem Kind auf dem Arm machte sie sich auf den Weg. Zuerst fragte sie ihre Nachbarnin.


    „ Kannst Du mir bitte helfen“, flehte sie, „ ich brauche eine besondere Medizin für mein Kind.“


    „ Es tut mir Leid, Kisa,“, antwortete die Frau, „ ich bin gerade beschäftigt, ich muss das Abendessen zubereiten. Warum fragst Du nicht den Ladenbesitzer?“


    Kisa dankte ihr mit traurigen Herzen und suchte den Ladenbesitzer auf. „ Bitte, kannst Du mir helfen?“, bat sie, „ ich brauche eine besondere Medizin für mein Kind!“


    „ Es Tut mir Leid Kisa,“, sagte der Ladenbesitzer, „ ich bin gerade dabei meine Kunden zu bedienen. Warum gehst Du nicht zum Arzt?“


    Die Leute sahen, dass das Baby tot war und wußten nicht, was sie ihr sagen sollten.


    Kisa dankte dem Ladenbesitzer und suchte den Arzt auf.


    „ Bitte“, sagte sie, „ kannst Du mir helfen? Ich brauche eine besondere Medizin für mein Kind.“


    Der Arzt betrachtete das Baby in ihren Armen. Er konnte sehen, dass es tot war.


    „Es tut mir Leid, Kisa“, sagte er, „ ich habe nicht die Medizin, die Du benötigst.“


    Gibt es da irgendjemand, der Kisa helfen könnte, fragte er sich. Da kam ihm in den Sinn, dass der Buddha in der Gegend verweilte. Der Buddha war sehr weise und gütig. Vielleicht wußte er, wie man Kisa helfen könnte.


    „ Kisa, warum gehst Du nicht zum Buddha und fragst ihn um Rat.“, schlug er vor. Und so tat sie es auch.


    Der Buddha saß im Schatten eines Baumes und unterhielt sich mit seinen Freunden, als Kisa auf ihn zueilte. Er konnte sah sofort , wie verstört sie war. Der Buddha wandte sich an Kisa: „ Wie kann ich Dir helfen, meine Liebe?“, fragte er, „ und wie ist Dein Name?“


    „Ich heiße Kisa“, antwortete sie , „ heute ist mein kleiner Sohn erkrankt. Ich habe überall nach der richtigen Medizin gesucht, aber niemand konnte mir helfen.“


    Der Buddha blickte auf das kleine Bündel in Kisas Armen. Das Baby war eindeutig tot.


    „ Bitte sagt nicht, dass er tot ist,“ , sagte sie, „ er braucht nur die richtige Medizin, die ihn heilt.“


    Wie konnte Kisa geholfen werden? Was musste geschehen, damit sie die Tatsache annahm, dass ihr kleiner Junge wirklich von ihr gegangen war?


    „Kisa, wenn Du die Medizin herstellen willst, „ sagte der Buddha, „ brauchst Du Senfkörner. Gehe in die Stadt und frage an jeder Tür. Aber Du darfst nur Senfkörner aus einen Haus verwenden, in dem noch niemand gestorben ist.“


    „ Ist das wirklich alles?“, sagte Kisa, während sie ihre Tränen trocknete.


    „ Ja, das ist alles.“, entgegnete der Buddha, „ Ich warte auf Deine Rückkehr.“


    So eilte Kisa zurück in die Stadt um die Senfkörner zu besorgen. Am ersten Haus, an dem sie vorbei kam, machte sie halt und klopfte an . Eine junge Frau öffnete.


    „ Könnte ich einige Senfkörner haben um ein Heilmittel herzustellen?“, fragte Kisa.


    Die Frau ging ins Haus und kehrte bald mit einer Hand voll Körner zurück.


    „ Bitteschön!“, sagte die Frau lächelnd.


    Kisa wollte gerade die Körner annehmen, als ihr die Worte des Buddhas wieder einfiehlen.


    „ Oh, ich hätte es fast vergessen“, sagte sie, „ Ist schon einmal jemand in diesem Haus gestorben?“


    „Ah, ja“, antwortete die junge Frau, „ vor ein paar Monaten ist meine Großmutter sehr friedlich gestorben. Sie war eine liebenswürdige alte Frau und wir erinnern uns in Liebe an sie. Aber warum fragst Du?“


    „ Danke, dass Du mir die Körner geholte hast, aber für meine besondere Medizin müssen sie aus einem Haus stammen, in dem noch niemand verstorben ist. Also fürchte ich, dass ich Deine Senfkörner nun doch nicht annehmen kann.“


    Und nachdem sie sich verabschiedet hatte, ging Kisa zum nächsten Haus, vor dem draußen ein alter Mann saß. Er lächelte, als Kisa näher kam. „ Und, was kann ich für Dich tun?“, sagte er.


    „ Bitte kannst Du einige Senfkörner entbehren?“, fragte sie.


    Langsam richtete sich der alte Mann auf und ging ins Haus. Bald erschien er wieder.


    „ Hier bitte, meine Liebe.“, sagte er und wollte ihr die Körner reichen.


    Abermals war Kisa kurz davor die Körner anzunehmen, als ihr wieder in den Sinn kam, was der Buddha gesagt hatte.


    „Ist jemand kürzlich in diesem Haus gestorben?“, fragte sie.


    „Ah“, antwortete der alte Mann traurig, „ erst letztes Jahr verschied die Hausherrin, meine Tochter, und hinterließ ihre beiden Kinder. Wir vermissen sie alle noch sehr.“


    „ Es tut mir Leid von Deinem traurigen Verlust zu hören.“, sagte Kisa. „ Vielen Dank, dass Du mir die Körner geholt hast, aber meine besondere Medizin darf nur aus Haushalten stammen, in denen noch keiner gestorben ist. Leider kann ich Deine Senfkörner nicht annehmen. Bitte entschuldige die Mühe.“


    Am nächsten Haus öffnete ein kleiner Junge die Tür.


    „ Bitte könnt ihr einige Senfkörner entbehren?“, fragte sie wieder.


    „ Sicher haben wir welche“, sagte der Junge, „ Warte hier, ich frage meine Mutter.“


    Bald kam der Junge mit den Körnern zurück: „ Hier hast Du sie.“


    Diese Mal hatte Kisa es nicht vergessen! Sie sagte: „ Kannst Du mir bitte sagen, ob jemals einer in diesem Haus gestorben ist?“


    „Ja“, antwortete der Junge leise, „ als ich noch ganz klein war, ist mein Vater gestorben. Ich kann mich nicht an ihn erinnern.“


    „Das tut mir Leid mit Deinem Vater“, sagte Kisa, „ und vielen Dank, dass Du die Körner geholt hast, aber für meine besondere Medizin kann ich sie nicht benutzen. „


    So ging Kisa von Tür zu Tür und erhielt doch immer wieder dieselbe Antwort. Jeder hatte einen geliebten Menschen verloren; wenn nicht letztes Jahr, dann schon vor längerer Zeit.


    Kisa hatte immer noch keine Senfkörner, aber nun verstand sie, warum sie nicht in der Lage sein würde, welche zu finden – denn es gab kein Haus in dem noch nie jemand gestorben war.


    Sie betrachtete das kleine Bündel in ihren Armen: „ Es tut mir Leid, mein Kleiner, Du bist in ein neues Leben hinübergegangen, obwohl ich Dich nicht gehen lassen wollte. Lass uns eine Ruhestätte für Dich finden.“


    Am Abend kehrte sie zum Buddha zurück, der immer noch auf sie wartete. Sie trug kein Bündel mehr auf dem Arm. Ihre Gesichtszüge waren nun viel ruhiger.


    „ War es Dir möglich die Senfkörner zu finden?“, fragte er.


    „ Nein“, antwortete sie. „ Ich verstehe jetzt, dass jeder Menschen verliert, die er liebt. Ich habe mein Kind zur letzten Ruhe gelegt und obwohl ich noch immer Trauer empfinde, habe ich meinen Frieden gefunden. Ich bin gekommen um Dir zu danken.“


    „ Du hast recht gehandelt, Kisa.“, sagte der Buddha „ denn es gibt nichts stärkeres in der Welt als die Liebe einer Mutter. Willst Du ein wenig bei uns bleiben?“


    Während die Sonne über Kapilavattu unterging, unterhielten sich der Buddha und Kisa. Sie erzählte ihm von ihrem Leben und ihrem Kind.


    Er hörte ihr freundlich zu. Der Buddha erinnerte Kisa daran, dass Pflanzen im Frühjahr sprießen, im Sommer blühen und im Winter sterben – und das neue Pflanzen im nächsten Jahr wieder heranwachsen. In ähnlicher Weise werden Menschen geboren und sterben.


    Kisa verstand nun, dass dies der Lauf der Dinge ist. Mit dem Buddha zu reden und seinen sanften Worten zu lauschen half Kisa ungemein. An diesem selben Abend entschied sie sich ihm als Anhängerin zu folgen.


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    Mit ganz freundlichen Dankeschön und herzlichen Grüßen
    Dorje Sema