Dalai Lama und Einfluss der Wissenschaften

  • Der Dalai Lama äußert sich bereits seit einigen Jahrzehnten dahingehend, dass der Buddhismus sich anzupassen hat, wenn die Wissenschaften etwas als falsch anerkennen: "wenn die Wissenschaft etwas als nicht-existent erkennt, muß dies auch ein Buddhist zwangsläufig als nicht-existent anerkennen".


    Ich will jetzt nicht darüber diskutieren, welchen oder wessen Buddhismus, welche Wissenschaften und wie das Falsche bewiesen wurde.


    Was mich interessiert, gibt es eine "Streichliste"? Welche doktrinären Aussagen des Buddhismus hat der Dalai Lama aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mittlerweile abgelehnt, zurückgenommen etc.

    • Offizieller Beitrag

    Die Idee dass die Erde flach ist und in ihrer Mitte der Berg Sumeru steht, gilt als wissenschaftlich wiederlegt.


      The current Dalai Lama, who has flown about the round world several times, seems to have put an end to flat earthism among Tibetans by saying the historical Buddha was wrong about the shape of the earth. However, "The purpose of the Buddha coming to this world was not to measure the circumference of the world and the distance between the earth and the moon, but rather to teach the Dharma, to liberate sentient beings, to relieve sentient beings of their sufferings."


    Also eine ganz klare Ansage, wobei er es wirklich nicht leicht hat:


      Even so, Donald Lopez recalls meeting a lama in 1977 who still held onto a belief in Mount Meru. The stubbornness of such literal beliefs in mythology is not uncommon among the religiously devout of any religion.


    Mount Meru In Buddhist Mythology


    In dem angesprochenen Buch "Buddhism and Science: a Guide for the Perplexed" scheint es genau um das von dir besprochene Thema zu gehen:


      The title is misleading. Buddhism and Science simply aims ‘to document some of the ways that Buddhism has been represented as compatible with science over the past 150 years.’
      Review


    Das Buch als PDF

  • Im Buch "Rückkehr zur Menschlichkeit" beschreibt der Dalai Lama sinngemäß, dass er Gebete zwar für "sinnvoll hält", aber bei seiner jüngsten Operation doch mehr auf die "moderne technische Leistungsfähigkeit des medizinischen Equipments vom Krankenhaus bzw. auf die Fähigkeit der Ärzte" vertraut hat als auf Gebete.

  • In der Einleitung zu Die Welt in einem einzigen Atom fasst er zusammen:


    (...) Welche persönlichen Ansichten der oder die Einzelne im Hinblick auf die Wissenschaft auch hegen mag, kein glaubwürdiges Verständnis der Natur und der Existenz des Menschen (...) kann sich der grundlegenden Einsichten solcher zentralen Theorien wie der Evolutionstheorie, der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik entziehen. (...) Ganz sicher jedoch müssen gewissen Aspekte des buddhistischen Denkens - seine alten kosmologischen Theorien zum Beispiel, aber auch seine unausgereifte Physik - im Lichte zeitgenössischer wissenschaftlicher Erkenntnisse neu formuliert werden.

  • Dalai Lama:

    In der Einleitung zu Die Welt in einem einzigen Atom fasst er zusammen:


    (...) Ganz sicher jedoch müssen gewissen Aspekte des buddhistischen Denkens - seine alten kosmologischen Theorien zum Beispiel, aber auch seine unausgereifte Physik - im Lichte zeitgenössischer wissenschaftlicher Erkenntnisse neu formuliert werden.


    Wird das in dem Buch spezifiziert? Was beinhalten die "alten kosmologischen Theorien"? Ist da nur Berg Meru gemeint oder aber auch die Höllen- und Götterwelten, die Buddhaländer usw. und damit die Verkürzung auf Mensch und Tier?

  • pamokkha:
    Dalai Lama:

    In der Einleitung zu Die Welt in einem einzigen Atom fasst er zusammen:


    (...) Ganz sicher jedoch müssen gewissen Aspekte des buddhistischen Denkens - seine alten kosmologischen Theorien zum Beispiel, aber auch seine unausgereifte Physik - im Lichte zeitgenössischer wissenschaftlicher Erkenntnisse neu formuliert werden.


    Wird das in dem Buch spezifiziert? Was beinhalten die "alten kosmologischen Theorien"? Ist da nur Berg Meru gemeint oder aber auch die Höllen- und Götterwelten, die Buddhaländer usw. und damit die Verkürzung auf Mensch und Tier?


    Nach meiner Erinnerung wird das in diesem Buch nicht näher ausgeführt. Das Buch handelt viel von Physik. Kapitel 4 titelt: Der Urknall und das anfanglose Universum des Buddhismus...

  • Vielleicht kommt ja noch etwas, aber ist es fair, als Zwischenfazit zu sagen: viel ist das nicht. Da sind die Vorstellung einer Scheibenwelt mit tollem Berg und vielleicht noch Gebete revidiert worden.


    Bereits 1981 in seinen Harvard-Vorlesungen hat der Dalai Lama den Berg Meru als Beispiel angeführt. Hat sich in den 36 Jahren seitdem nichts getan?


    Mögliche Schlüsse daraus sind:


    1. Buddhismus ist im hohen Maße nicht nur kompatibel, sondern in Übereinstimmung mit der Wissenschaft,
    2. Buddhismus und Wissenschaft haben sich nicht viel zu sagen,
    3. es ist nicht mehr als ein netter Marketingspruch.


    Ich selber halte (1) für Quatsch, woraus sich für mich ableitet, Buddhismus und Wissenschaft haben sich tatsächlich nicht viel zu sagen. Aber der Dalai Lama führt solche Gespräche ja weiter, was demnach (2) für ihn widerlegt.


    Gibt's da noch etwas? Ist der Stand der Dinge für euch zufriedenstellend?

  • Es geht. Also in der Formulierung würde ich mich dem nicht anschliessen, aber es ist ja DEIN Fazit nicht das Fazit des Threads :) Ich tendiere zu 1. ;)


  • 4. Buddhismus und Wissenschaft sind verschiedene Wege zum Gewinn von Erkenntnis. In Bereichen, in denen beide widersprechende, sich ausschließende Aussagen vorlegen ist diejenige Aussage zu bevorzugen, die in einem Peer-Review Prozeß erfolgreich überprüft wurde und die Falsifikationskriterien anbietet.


    Soweit man das akzeptiert, ergibt sich 1. zwangsläufig. 2. ist sicher davon abhängig, in welchem Bereich man sich bevorzugt bewegt.


    3. Naja, auch der DL muß seine Brötchen verdienen und ein paar Bücher mehr schaden da nicht :rofl:


    Nein, ich sehe es definitiv nicht als Marketingspruch. Wer besorgt beobachtet, wie in der Welt in weiten Bereichen die offene Wissenschaftsfeindlichkeit Raum gewinnt, muß solche Fragen deutlich ansprechen.



    Wenn Du weiter Beispiele suchst, wo es Probleme zwischen Wissenschaft und Buddha Lehre gibt - grundsätzliche Kosmologie Ideen. BL geht hier in Richtung zyklische Kosmologie (das asiatische Prinzip), in der Physik wird momentan eher eine lineare Entwicklung bevorzugt (Big Freeze).


    Die ganzen Wunder Geschichten, durch Berge gehen, ohne technische Hilfsmittel Dinge in riesiger Entfernung hören etc.
    Ich habe (als hartnäckig Säkularer) mit solchen Dingen null Probleme, wenn man sie als Metaphern nimmt. Reine Naturwissenschaftler sind da nüchterner.


    Im Prinzip könnten wir hier die ganze Diskussion sB wieder aufrollen. Wenn der DL bei sich selbst suchen möchte (Du hast das Thema bei den Tibetern reingestellt) Horoskope, Orakel, Beschwörungen. Keine Ahnung, wie weit das heute eine Rolle spielt, aber historisch hatte es Bedeutung.

  • Buddhismus ist in erster Linie eine "Wissenschaft des Geistes".
    Wir haben in diesem Forum allerdings häufig genug erlebt, dass es "den" Buddhismus nicht gibt, sondern viele verschiedene Ausprägungen des Buddhismus.
    Genauso ist es mit der Wissenschaft. "Die" Wissenschaft schlechthin gibt es nicht.
    Geisteswissenschaften "funktionieren" per se schon anders wie Naturwissenschaften.
    Ich glaube, wenn der Dalai Lama sich auf Wissenschaften bezieht, dann meint er (vermutlich) vor allem die Neurowissenschaften und die Psychologie. Dazu wäre es mal interessant, tiefer in die beiden Wissenschaftswelten einzutauchen und eine vergleichende Analyse mit der "buddhistischen Wissenschaft" anzustellen.


    fotost:

    Naja, auch der DL muß seine Brötchen verdienen und ein paar Bücher mehr schaden da nicht


    Wie meinst Du das?
    Meinst Du der Dalai Lama veröffentlicht Bücher, um sein Leben zu finanzieren?

  • Der Dalai Lama hat gerade das Istituto Lama Tzongkhapa besucht.
    Das ist der übliche Rahmen in dem er sich weltweit bewegt, wenn er nicht "gerade mal" mit Wissenschaftlern spricht. "Die Tibeter" sind nicht plöd. Buddhisten sind nicht plöd. Die Mönche und Nonnen sind nicht plöd. Sie "beschäftigen" sich einfach mit anderen Dingen und gehen einen anderen Weg. Und was sie dabei "über Board werfen" ist allein ihre Sache.


  • Ein spannendes Thema! Danke dafür! Ich glaube ja, dass du mehr den asketischen Weg schätzt (der sich bezeichnenderweise als Rezept im lebenslustigen Südasien durchgesetzt hat), wogegen der DL für Mäßigung, aber nicht für Verzicht eintritt. Vielleicht rede ich auch im Folgenden an deiner Frage vorbei...


    Sicher ist die Quantenphysik für den DL im Sinne einer Bestätigung der Metaphysik der Leerheit wichtig.


    Entscheidend scheint mir jedoch die Evolutionstheorie. Nun ist es aber nicht so, dass der DL seine Überzeugung dem Buddhismus überstülpt. Viel mehr hat er sie als säkulare Ethik formuliert. Diese stimmt mit dem Buddhismus überein, insofern Mitgefühl im Zentrum steht. Um Mitgefühl in seiner Bedeutung für unser Menschsein herauszustellen, benutzt der DL jedoch keine religiöse Argumentation, sondern vorrangig eine biologische. Die Entwicklung von Säugetieren, die für ihren Nachwuchs Nähe empfinden und sorgen, über Primaten, die fürsorgliche Eigenschaften zeigen, hin zu altruistischen menschlichen Verhaltensweisen, scheint dem DL eine tiefe Bestätigung zu geben. Im Zentrum seiner Ethik steht die meditative Vertiefung, Intensivierung evolutionär angelegter Empfindungen.


    Buddhismus ist ja keine zentral gesteuerte Religion wie der Katholizismus, wo Synoden Werte neu definieren und Kompromisse suchen. Dennoch scheint mir die Botschaft für den Buddhismus eindeutig, die Evolutionstheorie uneingeschränkt anzuerkennen.


    Die spannende Frage ist jene nach der Bedeutung seiner Ethik für das Weltbild der Menschheit.

  • Sherab Yönten:

    Buddhismus ist in erster Linie eine "Wissenschaft des Geistes".
    Wir haben in diesem Forum allerdings häufig genug erlebt, dass es "den" Buddhismus nicht gibt, sondern viele verschiedene Ausprägungen des Buddhismus.
    Genauso ist es mit der Wissenschaft. "Die" Wissenschaft schlechthin gibt es nicht.
    Geisteswissenschaften "funktionieren" per se schon anders wie Naturwissenschaften.
    Ich glaube, wenn der Dalai Lama sich auf Wissenschaften bezieht, dann meint er (vermutlich) vor allem die Neurowissenschaften und die Psychologie. Dazu wäre es mal interessant, tiefer in die beiden Wissenschaftswelten einzutauchen und eine vergleichende Analyse mit der "buddhistischen Wissenschaft" anzustellen.


    Ich kann hier zu der konkreten Meinung des DL nichts beitragen. Für mich wäre im Zusammenhang der Ausgangsfrage auch eher das ganz grundsätzliche wissenschaftliche Prinzip interessant, interessanter als einzelne Zweige oder Ergebnisse von Teilwissenschaften.


    Wissenschaftliches Denken beinhaltet tief im Kern etwas, das einen Schutz gegen die Fessel 'Hängen an Regeln und Riten' bedeutet.


    Was mir zum Thema noch einfällt wäre die Frage nach intensiven 'Wirksamkeitsstudien' zu einzelnen Momenten der Praxis.
    Welche Kriterien für 'Wirksamkeit' gibt es innerhalb der Lehre? Wie wird diese Wirksamkeit gegen vergleichbare Wirkungen vollkommen fremder (dem System Buddhismus fremd) Methoden, Anwendungen, you name it bewertet?
    Könnte sich hier ein Schutz gegen 'Dünkel' verstecken?

  • fotost:

    Im Prinzip könnten wir hier die ganze Diskussion sB wieder aufrollen. Wenn der DL bei sich selbst suchen möchte (Du hast das Thema bei den Tibetern reingestellt) Horoskope, Orakel, Beschwörungen. Keine Ahnung, wie weit das heute eine Rolle spielt, aber historisch hatte es Bedeutung.


    Das "könnten wir hier die ganze Diskussion sB wieder aufrollen" will ich hier tatsächlich vermeiden. An seine Orakel usw. habe ich auch gedacht.

  • Ich möchte ein paar Überlegungen zu einem Spezialthema anstellen. Es ist ein Thema, das für viele nicht so interessant ist, fürchte ich. Um die Frage zu untersuchen, welchen Einfluss der DL auf die Ethik nimmt, möchte ich zunächst die Richtungen philosophischer Ethik skizzieren. Dies soll zeigen, in welcher Situation ich diese Ethik in heutiger Zeit sehe und welche Relevanz darum der Ethik des DL zukommt.


    Die deutsche akademische Ethik stand lange unter dem Einfluss Kants und seiner Idee einer reinen Vernunft, welche im Sinne der Aufklärung menschliches Tun bestimmen soll. Dem gegenüber fand sich der englische Utilitarismus. Der englische Utilitarismus setzt ebenso auf die Vernunft, doch ist sein Grundsatz etwas anders als derjenige der Kant Richtung. Was der richtige Grundsatz für vernünftiges Handeln sei, war also lange Zeit ein wichtiges Streitthema philosophischer Ethik.


    Nach meiner Ansicht verfolgen auch modernere Ethiker wie Habermas oder John Rawls diesen Glauben an eine moralische Vernunft und verteidigen ihn gegenüber postmoderner Skepsis an der menschlichen Vernunft, indem sie von der individuellen Vernunft auf die Gruppenvernunft ausweichen. Dennoch ist die postmoderne Kritik an der Idee einer moralischen Vernunft maßgeblich und wirkt sehr überzeugend.


    Daher geriet diese hauptsächliche Auseinandersetzung in den letzten 20 Jahren zunehmend ins Hintertreffen zugunsten von zwei ehemals weniger bedeutenden Richtungen der Ethik, deren Haltung gegenüber der Vernunft wesentlich distanzierter ist.


    Dominant wurde einerseits die Metaethik, die den Anspruch stellt, besonders wissenschaftlich zu sein. Sie hat ihren Ursprung in Positivismus und Wiener Kreis. Der Anspruch der Metaethik ist es, aus einem übergeordneten Blickwinkel philosophische Theorien zu beurteilen. Metaethiker treffen also keine Aussagen darüber, wie Menschen leben und entscheiden sollen, sondern systematisieren vorhandene Philosophien (etwa Kant und Utilitarismus) unter dem wissenschaftlichen Anspruch, dies wertfrei zu tun.


    In gewisser Hinsicht verabschiedet sich die Metaethik also davon, Ethik sein zu wollen. Die kritische Haltung der Metaethik gegenüber der Vernunft der Aufklärung liegt ein bisschen im Verborgenen. Sie besteht in der Überzeugung, dass es gar nicht möglich sei, wissenschaftlich über menschliches Verhalten zu befinden.


    Der zweite Strang kommt von Aristoteles und wird als Tugendethik bezeichnet. Diese Richtung fand über Thomas von Aquin Eingang ins Christentum und wurde zur christlichen Ethik, deren Einfluss auf die philosophische Ethik dann aber mit der Aufklärung verschwand. Akademisch geriet die Tugendethik als religiöse Ethik mit Einsetzen der Aufklärung für den Bereich der Philosophie eher in Vergessenheit.


    Anders als in der Metaethik ist die Ablehnung reiner Vernunft in der christlichen Ethik offenkundig. Denn das Leitbild christlicher Ethik gilt weniger der Vernunft und viel mehr dem Gefühl - also der Nächstenliebe, die menschliches Handeln prägen soll. Philosophen wie Kant wendeten sich noch entschieden gegen das Gefühl als Bestimmungsgrund und misstrauten ihm.


    Betrachten wir diese Entwicklung philosophischer Ethik mit einigem Abstand, zeigt sich Folgendes. Die ehemals ganzheitliche Tugendethik eines Aristoteles, die den menschlichen Charakter und das menschliche Leben in allen Belangen anvisierte, wurde zur christlichen Ethik und erfuhr als solche in der Aufklärung eine deutliche Verengung. Thema, worüber in den folgenden Jahrhunderten philosophisch gestritten wurde, war nunmehr allein und ausschließlich das moralische Urteil.


    Die postmoderne Kritik, dass ein solches Urteil gar nicht möglich sei, weil es gar keine reine und moralische Vernunft gibt, sägte dann der philosophischen Ethik quasi den Ast ab. Die philosophische Ethik wurde zur Metaethik, die "nur mehr" sich selbst und ihre Geschichte und Sprache untersucht, nicht aber menschliches Verhalten.


    Quo vadis, Ethik?


    Mag ja sein, dass der eine oder andere Lehrer noch immer "seinen" Kant usw. referiert, weil sich dies so schön unterrichten lässt. Überzeugen wird er damit kaum. Beachtete Beiträge zum menschlichen Verhalten speisen sich demgegenüber aus Biologie und Evolutionstheorie, Psychoanalyse und Neurowissenschaft, Ökonomie und Politikwissenschaft. (Mag auch sein, dass dies immer schon so war.)


    Genauso gibt es ein eher zeitloses Interesse an christlicher Tugendethik. Dieses steht jedoch in engem Zusammenhang mit dem christlichen Glauben und bezieht seine Argumentation aus dem Glauben. In Kurzform meint diese Argumentation: Gott hat gesagt, dass wir alle lieb sein sollen. (Christliche Ethiker formulieren das natürlich anspruchsvoller.)


    Dabei bestimmt das Christentum den Motivationsgrund für moralisches Handeln aus meiner Sicht völlig richtig: Er liegt im Gefühl, dem Mitgefühl und der Nächstenliebe, und nicht in jener (scheinheiligen) Vernunft, die die Philosophen der Aufklärung erträumten.


    Wenn man die These teilt, dass die Vermittlung von Tugenden gesellschaftlich sinnvoll ist, aus diesem Grund Ethik-Unterricht (etwa für Flüchtlinge) sogar vorschreibt, zeigt sich also aus meiner Sicht
    • eine philosophische Ethik, die dazu nicht in der Lage ist,
    • sowie eine religiöse Ethik, die für anders religiöse Menschen und nichtreligiöse Gesellschaftsgruppen überhaupt nicht nachvollziehbar ist.


    Um eine für eine moderne Gesellschaft sinnvolle Tugendethik zu leisten, braucht es daher zwei Zutaten: Diese Ethik sollte auf den Erkenntnissen echter Wissenschaften beruhen und zweitens sollte sie menschliche Beweggründe wie Empathie, Nächstenliebe, Solidarität usw. in ihr Zentrum stellen.


    Wenn wir nach einer solchen Ethik suchen, dann ist die säkulare Ethik des DL nicht bloß Nischenprodukt. Ganz im Gegenteil würde ich aufgrund der Qualität seiner Werke und der immensen Popularität des DL sogar sagen, dass der DL der Platzhirsch auf diesem Gebiet der Ethik ist, der Aristoteles unserer Zeit. :)

  • Sherab Yönten:

    Ich glaube, wenn der Dalai Lama sich auf Wissenschaften bezieht, dann meint er (vermutlich) vor allem die Neurowissenschaften und die Psychologie...


    Du würdest demnach die Eingangsaussage des Dalai Lama "wenn die Wissenschaft etwas als nicht-existent erkennt, muß dies auch ein Buddhist zwangsläufig als nicht-existent anerkennen" lesen als "wenn die Neurowissenschaften und die Psychologie..."?


    Die Fragestellung bezüglich Berg Meru ist ja eher etwas für Geographen als für Neurowissenschaftler.


    Du leitest deinen Satz ja ein mit "Ich glaube...", also hast du nichts Handfestes, wie ein Dalai Lama-Zitat o.ä.? Wäre nämlich interessant, ob der Dalai Lama tatsächlich die Wissenschaften, die einen Einfluss auf den Buddhismus nehmen können/sollen eingeengt hat.

  • Danke für die philosophische Einordnung :)


    Karnataka:

    Nach meiner Ansicht verfolgen auch modernere Ethiker wie Habermas oder John Rawls diesen Glauben an eine moralische Vernunft und verteidigen ihn gegenüber postmoderner Skepsis an der menschlichen Vernunft, indem sie von der individuellen Vernunft auf die Gruppenvernunft ausweichen. Dennoch ist die postmoderne Kritik an der Idee einer moralischen Vernunft maßgeblich und wirkt sehr überzeugend.


    Meinst Du z.B. so was wie Zygmunt Baumanns "Postmodern Ethics"?

  • pamokkha:

    Du leitest deinen Satz ja ein mit "Ich glaube...", also hast du nichts Handfestes, wie ein Dalai Lama-Zitat o.ä.? Wäre nämlich interessant, ob der Dalai Lama tatsächlich die Wissenschaften, die einen Einfluss auf den Buddhismus nehmen können/sollen eingeengt hat.


    Hat er nicht.


  • Hier im Forum ist es ja so, dass alles was man nicht mit Zitaten belegen kann als Vermutung gilt. Daher habe ich von vornherein von einer Vermutung ("ich glaube") gesprochen. Ich bin mir allerdings sehr sicher, dass ich es tatsächlich irgendwo in (mindestens) einem seiner Bücher gelesen/gehört habe. Da ich recht viele Bücher vom Dalai Lama habe, bitte ich um Verständnis, dass ich sie nicht extra nach einem Zitat durchsuche. Wenn ich zufällig ein solches finden würde, dann würde ich es hier einstellen.


    Im Übrigen habe ich die Quantenphysik vergessen. Der Dalai Lama interessiert sich sehr für diese wissenschaftliche Disziplin. Neuere Kenntnisse der Quantenphysik und der Neurowissenschaften sollen, so habe ich gehört, allerdings eher den Buddhismus bestätigt haben. Sorry, wieder kein Zitat.

  • kilaya:


    Meinst Du z.B. so was wie Zygmunt Baumanns "Postmodern Ethics"?


    Kenne ich leider nicht (da ich nicht sonderlich belesen bin). Dialektik der Aufklärung (Adorno/Horkheimer) gilt als Standardwerk der Kritik am Vernunftbegriff der Aufklärung.

  • Sherab Yönten:

    Da ich recht viele Bücher vom Dalai Lama habe, bitte ich um Verständnis, dass ich sie nicht extra nach einem Zitat durchsuche. Wenn ich zufällig ein solches finden würde, dann würde ich es hier einstellen.


    Das ist ja vollkommen in Ordnung.


    Sherab Yönten:

    Neuere Kenntnisse der Quantenphysik und der Neurowissenschaften sollen, so habe ich gehört, allerdings eher den Buddhismus bestätigt haben. Sorry, wieder kein Zitat.


    Damit, und mit früheren Bemerkungen hier im Thread, kommt man über die Eingangsfrage hinaus und muss dann anfangen zu definieren, was mit Buddhismus usw. gemeint ist.


    Wenn ich zitiere, der Buddha hat nur des Leidens Entstehung und Aufhebung gelehrt, dann wird das kaum durch die Quantenphysik bestätigt werden können.


    Falls man den Aufwand guter definitorischer Vorarbeit nicht scheut, könnte es eine gewinnbringende Diskussion werden. Sinnvollerweise aber wohl in einem neuen Thread in einem anderen Bereich.

  • pamokkha:
    fotost:

    Im Prinzip könnten wir hier die ganze Diskussion sB wieder aufrollen. Wenn der DL bei sich selbst suchen möchte (Du hast das Thema bei den Tibetern reingestellt) Horoskope, Orakel, Beschwörungen. Keine Ahnung, wie weit das heute eine Rolle spielt, aber historisch hatte es Bedeutung.


    Das "könnten wir hier die ganze Diskussion sB wieder aufrollen" will ich hier tatsächlich vermeiden. An seine Orakel usw. habe ich auch gedacht.

    Ich schließe mich an, weil es A) wenig bringt und B) im Tibeterbereich unpassend wäre.
    Man kann das Thema ausschließlich unter dem Blickwinkel des DL betrachten, trotzdem ist der Hinweis erlaubt, daß er damit schon recht mutig und offen über einen engen Horizont blickt und in diesem Teilbereich den Säkularen die Hand ausstreckt.


    Im Prinzip ist das wie in anderen Religionen auch - manchmal sind die oberen Kader weit eher bereit sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die einfachen Mitgliedern heilig (intern) oder suspekt (extern) sind.


    Daher weiter oben mein Hinweis darauf, daß die Führung der katholischen Kirche etwa die Evolutionstheorie absolut akzeptiert; auch wenn einige Mitglieder lieber an eine 7 Tage Schöpfung etc. glauben möchten. Big Bang ist nebenbei für die letzten Päpste auch kein Problem mehr gewesen.
    Manchmal verstehen die leitenden Organe, daß man besser keine Schlachten schlägt, die schon vor dem Beginn verloren sind..


    Beim DL würde ich dabei nebenbei keinen Opportunismus unterstellen, sondern zum großen Teil einfach eine oft beinahe völlige Offenheit und die Suche nach der Wahrheit auch über die Wahrheiten der tibetischen Lehre hinaus.

  • Ich finde die Exkurse in die "westliche" Ethikrelevant, da der DL sich 1. sehr stark damit befasst und 2. Philosophie eine der Wissenschaften ist, die auf besondere Weise von einem gegenseitigen Austausch profitiert.


    Karnataka:
    kilaya:


    Meinst Du z.B. so was wie Zygmunt Baumanns "Postmodern Ethics"?


    Kenne ich leider nicht (da ich nicht sonderlich belesen bin). Dialektik der Aufklärung (Adorno/Horkheimer) gilt als Standardwerk der Kritik am Vernunftbegriff der Aufklärung.


    Zygmunt Bauman (ein n) wendet sich gegen einen starren Ethikbegriff, der auf gesellschaftlichen Konventionen basiert. Statt dessen skizziert er einen Moralbegriff, der einen inneren Impuls meint, der aus dem innersten menschlichen "Gutsein" hervorgeht. Er definiert wie so manche Philosophen gebräuchliche Begriffe neu und sehr präzise, daher müsste man sich intensiver damit befassen. Ich wollte das nur anschneiden, weil es im Buddhismus beide Arten von Ethik gibt: die, die auf Regeln basiert, und die, die aus dem inneren Impuls hervorgeht. Was in der Philosophie teilweise als These und Antithese auftritt, findet sich im Buddhismus teilweise als Synthese.

  • fotost:

    Big Bang ist nebenbei für die letzten Päpste auch kein Problem mehr gewesen.


    Warum auch? Schließlich ist der Begründer der Urknall-Theorie ein Theologe (und Physiker): Georges Lemaître. Deshalb gab es ja auch Versuche, alternative Modelle zu entwickeln (z.B. Hoyle mit seiner Steady-State-Theorie).