Theravada/Pali-Kanon als Grundlagenfahrzeug?

  • Hallo,


    In "Die neun Yanas und Ein essentieller Rat für die Praxis" von Sogyal Rinpoche steht:

    Sogyal Rinpoche - Seiten 3-4:

    Im Allgemeinen unterscheidet man drei Yanas oder Fahrzeuge buddhistischer Lehren: Hinayana, Mahayana und Vajrayana. Mit dem Hinayana als Grundlage oder Ausgangspunkt für den Weg eröffnet das Mahayana eine umfassende Sichtweise hinsichtlich der Reise zur Erleuchtung. Das Vajrayana ist ein spezielles Fahrzeug des Mahayana, das den Zustand der Erleuchtung in die eigene gegenwärtige Erfahrung bringt.


    Das Hinayana, im Dzogchen häufig als das grundlegende Fahrzeug bezeichnet, ist ein Pfad, der auf dem Wunsch nach individueller Befreiung beruht. Die wichtigste Praxis im Hinayana ist die Erkenntnis der vier edlen Wahrheiten: der Wahrheit des Leidens, des Urspungs des Leidens, der Beendigung des Leidens und der Wege, die zur Beendigung des Leidens führen. Alle Wesen streben nach Glück und wollen Leid vermeiden. Um die Ursachen für Glück zu schaffen und Leid zu beseitigen, übt man sich in drei Dingen: Disziplin (Shila), meditativer Konzentration (Samadhi) und unterscheidendem Gewahrsein (prajna).
    [...]
    Die meditative Erfahrung des Hinayana ist somit die Grundlage für die Praxis aller Yanas.


    Anmerkung: Im kürzlichen Berlin-Retreat bemerkte Sogyal Rinpoche das man den Begriff "Hinayana" besser nicht verwenden solle.


    Ich denke es geht beim im obigem Zitat erwähnten "Hinayana" um den Theravada, der sich ja ausschließlich auf den Pali-Kanon und Kommentarliteratur als Grundlage stützt.


    Ich habe angefangen in einem tibetischen Zentrum zu meditieren. Als weiterer Weg stehen mir in Zukunft das Ngöndro sowie die verschiedenen Tantra-Klassen offen.
    Derzeit befinde ich mich also gem. obigem Zitat "im Grundlagenfahrzeug" sprich Theravada, oder?


    Ich habe mir vorgenommen die mittlere Sammlung des Pali-Kanon als auch Visuddhimagga zu studieren und die entsprechenden Lehren zu verinnerlichen und praktizieren.
    Ich denke das ist der richtige Weg, da "Grundlagenfahrzeug". Zumal die Lehrreden des Buddha auch in Tibet in Form des Kanjur vorliegen.


    Merkwürdigerweise wird das Studium der Lehrreden des Buddha in keinem der tibetischen Zentren die ich bislang aufgesucht habe erwähnt.
    Ein Instruktor meinte sogar es sei nicht gut die Literatur verschiedener Schulen zu studieren, da ich meinen Geist damit nur verwirre.


    Gibt es Unterschiede zwischen den Lehren des Pali-Kanon und den Grundlagen im Vajrayana?

  • Das ist eine Frage, die schnell die Gemüter erregen kann. ;) Ich bitte daher schonmal vorbeugend um ein Höchstmaß an Bemühung um Sachlichkeit...


    Ich denke es gibt Unterschiede in der Interpretation der Grundlagentexte, je nachdem aus welchem Blickwinkel man sie anschaut. Von daher wäre es für den Vajrayana m.E. sinnvoll, von Belehrungsebenen zu reden, weniger Wege zu unterscheiden v.a. wenn es um die Wege anderer geht. So gesehen ist "Hinayana" wirklich ein unglücklicher Begriff, weil sich die meisten Schulen die nicht dem Mahayana angehören (Theravada ist auch lediglich eine Schule) davon herabgesetzt fühlen. Man kann ja statt dessen anderen einfach ihren Weg unkommentiert lassen und das eigene Spektrum dem Einzelnen jeweils passend anbieten.


    kilaya

  • Thomas23:

    Ich denke es geht beim im obigem Zitat erwähnten "Hinayana" um den Theravada, der sich ja ausschließlich auf den Pali-Kanon und Kommentarliteratur als Grundlage stützt.


    Es gab auch im "Hinayana" mehrere verschiedene Schulen. Die einzige, die überlebt hat und heute noch praktiziert wird, ist die Theravada Schule.

  • Thomas23:

    Ich habe mir vorgenommen die mittlere Sammlung des Pali-Kanon als auch Visuddhimagga zu studieren und die entsprechenden Lehren zu verinnerlichen und praktizieren.
    Ich denke das ist der richtige Weg, da "Grundlagenfahrzeug". Zumal die Lehrreden des Buddha auch in Tibet in Form des Kanjur vorliegen.


    ich empfehle, Vissuddhi-Magga wegzulassen, weil es nicht zum Palikanon/Tipitaka gehört. Es ist lediglich ein Kommentar ehemaliger hinduistischer Mönchsgelehrter, wenn auch ein weit verbreiteter.


    Gruß

  • kilaya:

    Das ist eine Frage, die schnell die Gemüter erregen kann. ;) Ich bitte daher schonmal vorbeugend um ein Höchstmaß an Bemühung um Sachlichkeit...


    Die Frage ist rein sachlich gemeint und soll nicht im geringsten provozieren!
    Fakt ist nunmal das im Vajrayana vom "Grundlagenfahrzeug Hinayana" gesprochen wird/wurde. Ich konnte nun bereits des öfteren von tibetischen Meistern hören das man sich von dem Begriff distanziert und keine Herabsetzung vornehmen möchte.
    Auch mir liegt das absolut fern.. im Gegenteil! Ich erreiche durch den Vergleich meiner derzeitigen reinen Sitzpraxis mit der vollwertigen, ältesten buddhistischen Schule Theravada ein gesteigertes Maß an Befriedigung. Fühle ich mich dadurch doch nicht als gerade mal mit den Basics beschäftigter Neuling sondern als den Dhamma studierender, dem Dhamma und der Sangha vertrauender Praktizierender auf dem Weg zum Stromeintritt und Anwender einer Praxis die für sich alleine schon zur Erleuchtung führen kann.


    Sherab Yönten:

    Es gab auch im "Hinayana" mehrere verschiedene Schulen. Die einzige, die überlebt hat und heute noch praktiziert wird, ist die Theravada Schule.


    Vielleicht ist es irrelevant ob Hinayana oder Theravada.. letztlich geht es mir um den Pali-Kanon und die Kommentarliteratur... das ist die eigentlich zentrale Fragestellung.


    Wenn ich könnte würde ich glatt den tibetischen Kanjur lesen, aber soweit ich weiß existiert davon gar keine deutsche Übersetzung, oder?
    Existiert überhaupt eine deutsche Übersetzung des Sanskrit-Kanons?


    Mirco:

    ich empfehle, Vissuddhi-Magga wegzulassen, weil es nicht zum Palikanon/Tipitaka gehört. Es ist lediglich ein Kommentar ehemaliger hinduistischer Mönchsgelehrter, wenn auch ein weit verbreiteter.


    "Die größte und älteste systematische Darstellung des Buddhismus" weglassen? Soweit ich informiert bin bezieht sich dieses Werk sehr wohl auf den Pali-Kanon.

    Visuddhi-Magga - Vorwort XI:

    Der Visuddhi-Magga ist also, wie be­reits hier angedeutet, als ein systematisch geordneter Gesamtkommentar des ganzen Tipitaka zu betrachten, und er wird auch stets als Anhakathä, d. i. Kommentar, bezeichnet. Hier finden sich die bedeutendsten Stellen aus fast allen Büchern des Pali-Kanons, und zwar teils als Belege, teils als Ausgangspunkte der Darlegungen.


    Wikipedia:

    Der Visuddhi-Magga gliedert sich in drei große Abschnitte:
    1. Sila (Tugend) – eine Darstellung der buddhistischen Ethik
    2. Samādhi (Sammlung) – Beschreibungen von mehr als 40 Meditationsobjekten
    3. Pañña (p.) bzw. Prajña (skt.) (Weisheit) – eine Exegese des Abhidhamma-Pitaka


    (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Visuddhimagga)


    ... das klingt sehr gewinnbringend für den "Grundlagenpfad" wie ich meine.


    Mirco:

    da hat er Dana unterschlagen. :)


    Obiger Wiki-Artikel und damit der Visuddhi-Magga wohl auch.

    Einmal editiert, zuletzt von 123XYZ ()


  • Der achtfache Grundlagenpfad aus dem Palikanon ist da etwas minimalistischer:



    Viele Grüße
    Elliot

    Viele Grüße

    Elliot

  • Elliot:

    Der achtfache Grundlagenpfad aus dem Palikanon ist da etwas minimalistischer


    Nunja, sagen wir es ist eine minimalistische Darstellung.
    Wenn ich mich nun dran mache den edlen achtfachen Pfad zu beschreiten werde ich mich wohl etwas breitgefächerter mit den einzelnen Aspekten beschäftigen müssen es sei denn ich bin ein überdurchschnittlich befähigter Genius der sowas nicht braucht ;)


    Wichtig!

    kilaya:

    Ich denke es gibt Unterschiede in der Interpretation der Grundlagentexte, je nachdem aus welchem Blickwinkel man sie anschaut.


    Genau das ist der springende Punkt meiner Frage!
    Welche Unterschiede wären das denn konkret?
    Ich möchte diese Unterschiede kennen um mich vor dem Studium vor etwaigen "Verwirrungen" zu wappnen!

  • Was mir bislang zu meiner letzten Frage einfällt: Bodhicitta.
    Allerdings wird der Mahayana ja als zweites Fahrzeug nach dem Hinayana vorgestellt. Das Studium der "Grundlagen" sollte also idealerweise den Samen für das Beschreiten des zweiten Yanas (Bodhicitta) legen.
    Hierzu las ich erst heute folgendes in "In den Worten des Buddha" von Bikkhu Bodhi:

    Bikkhu Bodhi - Seiten 360-361:

    Die polemische Literatur des späteren Buddhismus schildert den Buddha manchmal als von großem Mitgefühl motiviert, seine Arahant-Schüler jedoch als kühl und unnahbar, den Nöten ihrer Mitwesen gegenüber gleichgültig. Als ob er dieser Kritik hätte zuvorkommen wollen, stellt der Text Itivuttaka 84; 78-79 fest, dass nicht nur der Buddha, sondern auch die Arahants, sowie die noch übenden gelehrten und tugendhaften Schüler, zum Wohl der vielen Menschen erscheinen und ihr Leben aus Mitgefühl für die Welt leben, um den Dhamma für das Gute, für das Wohl und Glück ihrer Mitwesen - den Devas und Menschen - zu lehren. So kann nicht behauptet werden, dass - betrachtet man diesen Text als maßgebend - Mitgefühl und altruistisches Handeln Qualitäten sind, die Buddhas von Arahants unterscheiden.


    Doch der Text Samyutta Nikāya 47:12; V 159-51 bietet uns in Bezug auf die Frage eine andere Perspektive.
    [...]
    Darüber hinaus besitzen die Buddhas bestimmte Qualitäten, mit denen sie selbst über die führenden Arahants hinausragen. Den Nikayas zufolge scheint ihre Überlegenheit auf zwei Hauptsäulen zu ruhen:
    Erstens, ihr Dasein dient im Wesentlichen den "anderen", insofern als selbst der altruistischste Arahant-Schüler den Buddha nur nachahmen, ihn aber niemals erreichen kann; und zweitens, sowohl das Wissen als auch die spirituellen Kräfte der Buddhas sind viel mächtiger als jene der Arahant-Schüler.


    Arahants werden also im Pali-Kanon durchaus als altruistisch, von Mitgefühl gegenüber allen Wesen erfüllt, beschrieben. Sie werden jedoch von den Buddhas unterschieden, deren Altruismus ungleich stärker ausgeprägt ist.
    Ich finde das harmoniert ganz gut mit dem weiteren Weg zum Mahayana/Bodhicitta und ist kein Widerspruch!


    Weiterer Unterschied:

    Wikipedia:

    Der buddhistische Kanjur soll formal gesehen eine Übersetzung des Pali-Kanon beinhalten, weicht jedoch von diesem ab, da Inhalt und Aufbau sich unterscheiden. Es fehlt zum Beispiel der Abidharmapitaka des Pali-Kanons, dafür sind andere Schriften hinzugekommen.


    (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kanjur_und_Tanjur)


    Der Abidharmapitaka des Pali-Kanon fehlt also im Kanjur!
    Dafür sind andere Schriften hinzugekommen --> Wüsste ja zu gerne welche das sind und was das für einen Unterschied macht! ;)
    Gibt es dazu "schon" irgendwelche Arbeiten?


    Nachtrag:
    Konnte folgendes finden:
    Übersetzungen aus dem tibetischen Kanjur
    Übersetzungen aus dem tibetischen Kanjur (google-books Leseprobe)
    Übersetzungen aus dem tibetischen Kanjur - Leseprobe


    Im englischen Wiki steht zum Inhalt:

    Wiki:

    The Kangyur is divided into sections on Vinaya, Perfection of Wisdom Sutras, other sutras (75% Mahayana, 25% Hinayana), and tantras. It includes texts on the Vinaya, monastic discipline, metaphysics, the Tantras, etc. Some describe the prajñāpāramitā philosophy, others extol the virtues of the various Bodhisattvas, while others expound the Trikāya and the Ālaya-Vijñāna doctrines.


    (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Kangyur)


    25% Hinayana klingt zunächst etwas mager, wenn man jedoch berücksichtigt das sich in den Pali-Kanon Lehrreden vieles in jeweils etwas anderen Worten x-mal wiederholt muss das jedoch kein Problem sein denke ich.
    Interessant finde ich das der Abidharmapitaka des Pali-Kanon im Kanjur fehlt. Macht das einen Unterschied oder wird die Abidharma-Philosophie durch anderweitige Schriften wiedergegeben? *Grübel*

  • Danke Jazz :)
    5 Seiten auch noch.. werde mich mal durcharbeiten.


    Wobei es mir streng genommen gar nicht um den Unterschied Theravada-Mahayana geht sondern um die Frage ob es eine Verwirrung/ein Problem darstellt den Pali-Kanon + Kommentarliteratur als "Grundlagenfahrzeug" im Vajrayana zu verwenden.
    Ein wichtiges Augenmerk ist mir beim Lesen des Threads bereits gekommen: Negativität vs Positivität --> Nicht verwirren lassen, der Inhalt ist letztlich der Gleiche!

    • Offizieller Beitrag
    Thomas23:

    Gibt es Unterschiede zwischen den Lehren des Pali-Kanon und den Grundlagen im Vajrayana?


    Es gab eine starke Verschiebung der Herabgehensweise.


    Im Pali-Kanon herrscht eine Logik der Entsagung vor. Man betrachtet die menschliche Situation, mit all ihren diversen Strebungen und sieht darin vor allem etwas zu Überwindendes. Indem die Absonderung von der Gesellschaft in die Hauslosigkeit, betont wird, hat der frühe Buddhismus ein anti-soziales, eremitisches Element. Die gesellschaftlichen Bindungen wurden als etwas betrachtet, was man hinter sich zu lassen hat.


    Aber eigenlich ändert sich das schon zu Lebzeiten des Buddhas. Die Idee, von seinem Dorf wegzugehen und sich "irgendwo in den Wald zu hocken" geht villeicht für einen einzelnen, wenn es aber um tausende Mönche geht wird es zum logistischen Problem. Winterquartiere für die Regenzeit müssen gefunden werden und aus einer "Idee von Hauslosigkeit" werden straff und raffiniert geordente Gemeinschaften. Während es zu Buddhas Lebzeiten klar war, dass sich diese Gemeinschaft um die Gründergestalt organisiert, stellt sich spätestens mit dessen Tod die Frage, was den Platz des Buddha einnehmen solle. Währen der Buddha selbst Rezitationen und Statuen wenig bis nichts abgewinnen konnte, wurde nach und nach sichtbar, das solche Symbole eine wichtige Funktion für den Zusammenhalt der Sangha zu spielen konnten.


    Um zu bestehen wurde der Buddhismus immer "sozialer" was dann letzendlich zur Entstehung des Mahayana beitrug. Eine Entwicklung die nicht unwidersprochen blieb: Das soziale, menschliche Bedürnisse mobilisert wurden, ermöglichte einerseits einen Volksbuddhimus, andere sahen die aber als eine Korrumpierung, die den Entsagungs-Gedanken ad absurdum führte und den Buddhismus "an den Mainstream verkauft". So entstand die Spaltung zwischen dem konservativen,traditionellen Buddhismus (Theravada) und dem offenen, volksnahen Buddhismus (Mahayana)


    Und gerade das, was aus der Sicht des Theravada als ein Abirren und ein Anbiedern an die Normalität rüberkommt, empfindet man im Mahayana als ein Nutzbarmachen menschlicher Gegebenheiten für den Buddha-Weg. Das fing bei der Nurtbarmachung des Sozialen, der Statuen, der Rezitationen an, aber gerade im Vajrayana werden yogische Techniken bis hin zur Sexualität nutzbar gemacht. Ein Gedanke bei, dem es den Thervadin wortwörtlich schüttelt. Weil für ihn Buddhismus eine Entsagung von Begierde ist, und Buddha sich gerade deswegen von seinen Yogi-Asketen-Kumpels loslöste, um einen mittleren Weg einzuschlagen.


    Da ist ein so tiefr Spalt, dass Kilaya zu Recht davor warnt, dass hier unüberwindliche Konflikte aufbrechen. Es ist schwer ein Bild zu finden, das beidem gerecht wird. Wenn von dem minderen und dem schnelleren Vajra-Fahrzeug die Rede ist, muss ich immer an das alte Amiga-Spiel Test Drive denken, wo man in enormer Geschwindigkeit, zwischen Abgrund und Berg unterwegs ist. Begierden für den Weg zu benutzten, erscheint mir so ein Spiel. Etwas, was wenn es gelingt unendlich viel schneller zum Ziel führt, wo aber der Abrund -in den Begierde führen kann - stets präsent ist. Während das Thervada-Fahrzeug kein schnelles Fahrzeug sondern ein lagsames ist, das durchaus mehrer Leben einplanend Schritt für Schritt vorwärts geduldig kommt. Ohne Tricks und doppelten Boden aber eben auch ohne das Risiko, sich ganz unendlich grob zu täuschen.


    Ich denke mit dem Pali-Kanon macht man nie was verkehrt.

  • 123XYZ, zu Aussagen aus verschiedenen Beiträgen:
    (Ich hatte nicht angenommen, dass Du provozieren wolltest oder die Frage stellst, um etwas anzustossen ausser einer Antwort auf Deine Frage; meine vorbeugende Bitte war allgemein darauf bezogen, dass das nicht nur hier im Forum ein potentielles Thema für Streitigkeiten ist....)


    Ob Dich das verwirrt kommt vielleicht darauf an, wie Du es interpretierst bzw. welcher Interpretationsmöglichkeit Du Dich anschliesst. Widersprüche gibt es immer, wenn man sich nicht ganz streng an eine Schule hält. Und selbst dann gibt es vermutlich fast immer welche. Aber man kann an der Lösung solcher Widersprüche wachsen, oder sich davon verwirren lassen.


    Das Konzept von Bodhicitta ist auf jeden Fall schon in den alten Schriften enthalten. Im Mahayana wird es zur Grundlage des Wegs gemacht, und die Rolle der Bodhisattvas, als Helfer und Vorbilder, wird ins Zentrum gestellt. Es gibt ausserdem neue Forschung die zu zeigen scheint, dass Mahayana wesentlich älter ist, als bisher angenommen, so dass es sich schon lange parallel zu den anderen Strömungen entwickelt hat. Sicherlich gab es auch immer gegenseitig Einflüsse. Die Darstellung aus Sicht des Mahayana, wo dieser sozusagen eine "höhere Stufe" sei, die auf einem "Grundlagenweg" aufbaue, verliert als Mythe langsam an Kraft. Warum also nicht die Wege einfach als verschiedene Wege sehen, ohne jede Bewertung des Ziels?


    Ich habe lange angenommen, dass die Ziele eigentlich in den gleichen Ozean münden. Ich habe mich überzeugen lassen, dass das nicht ganz stimmt. Aber das heisst nicht, dass die Ziele, seien sie auch verschieden, nicht letztendlich vollkommen gleichwertig sind.


    kilaya

  • void:
    Ich halte die Kombination aus der entsagenden, eher welt-abgewandten Lehre des Pali-Kanon als auch der "volksnahen"-Lehre des Mahayana/Vajrayana für sehr sinnvoll und gewinnbringend!
    Ich lerne daraus das der Weg des Buddha ein Ideal darstellt dem realistisch betrachtet kaum noch jemand entsprechen kann. Aber es ist das Ideal welches man nicht aus dem Sinn verlieren sollte wenn man Buddhaschaft unter Einbezug individueller Eigenarten und weltlicher Begierden zu erreichen versucht. Auch hier gilt also die Lehre vom mittleren Weg zwischen diesen beiden Extremen.


    Ich denke Du hast den Unterschied etwas überspitzt dargestellt. Ist nicht Tibet ein Land jahrhundertelanger Yogi-Tradition.. einsam und zurückgezogen mit nichts als einer Robe bis zum Tod in den Bergen in einer Höhle lebend? Klingt mir nicht nach sonderlicher Anhaftung an Begierden und weltlichen Freuden!


    @kilaya:

    kilaya:

    Aber man kann an der Lösung solcher Widersprüche wachsen, oder sich davon verwirren lassen.


    Ich sehe es als verschiedene Methoden und Lehrstile um das Ziel zu verwirklichen. Der strenge - negativ anmutende - Weg der Entsagung kann durchaus bei manchen Hindernissen besser geeignet sein.. das Gleiche gilt für den eher freudigeren, humorvollen Weg.

    kilaya:

    Warum also nicht die Wege einfach als verschiedene Wege sehen, ohne jede Bewertung des Ziels?


    Ich schliesse mich an :)

  • kilaya:

    Das Konzept von Bodhicitta ist auf jeden Fall schon in den alten Schriften enthalten.


    Welche "alten Schriften" meinst Du ? Nach meinem Kenntnisstand findet man das "Konzept Bodhicita" nicht im Palikanon.

    • Offizieller Beitrag
    Thomas23:

    Ich denke Du hast den Unterschied etwas überspitzt dargestellt. Ist nicht Tibet ein Land jahrhundertelanger Yogi-Tradition.. einsam und zurückgezogen mit nichts als einer Robe bis zum Tod in den Bergen in einer Höhle lebend? Klingt mir nicht nach sonderlicher Anhaftung an Begierden und weltlichen Freuden!


    Ich denke nicht an die Anhaftung an weltliche Freuden sondern an die Anhaftung an religiöse Mittel. Und davon gibt es ja im tibetischen Buddhismus einen ganz grossen Reichtum. Das ausgeklügelte System von Buddhaspekten und tantrischen und yogischen Praktiken, an Pujas, Mantren, Yidams, an die ausgeprägte Idee vom Sakralen und die Rolle von Segen. Was ja alles sowohl als ein gutes Hilfsmittel gesehen werden kann aber andererseits als etwas, an dem man selber haften kann.


    Bevor Buddha erwachte, gehörte er einer Gruppe von Asketen an, die sich in extremen yogischen Praktiken übten. Diese wollten mit "weltlichen Freuden" aber auch gar nichts zu tun haben. Im Gegenteil unterstellten sie diese Motivation Shakyamuni, als er sie verlies um einen mittleren Weg zu praktizieren. Die Einsicht die Buddha aber dazu trieb, mit dem yogischen Asketentum aufzuhören, war jedoch die Erkenntnis, dass dies Praxis selber zum Objekt der Anhaftung werden konnte. Und man sich am eigenen Asketentum genauso berauschen konnte, wie am Erfolg in der Welt.


    Und hier geht dann die Interpretataion auseinander. Im Theravada geht man klassischerweise davon aus, dass der Buddha die Anhaftung an yogische und asketische Praktiken als ein so starkes Problem einstufte, dass er bei der Gestaltung seines Ordens besonderen Wert auf religiöse Schlichtheit legte und selbst der Idee von Rezitation und Statuen skeptisch gegenüber stand. Während man im Yajrayana das Geschehen nahezu konträr interpretiert: Shakyamuni wird ale ein Geheim-Yogi gesehen, der die yogischen Technik, als zu mächtig und deswegen zu hoch für den normalen Mönch eingestuft habe, weswegen er sie nur wenigen auserwählten Schülern im Geheimen mitteilte


    Das was für die einen eine Verbesserung ist, die für eine Version 2.0 und 3.0 der Drehung des Rades der Lehre aufgepart hat, ist für die anderen ein Rückfall in Brachmanentum und Asketenpraxis. Ein Anhaftung nicht an Sinnesfreuden sondern an die Mittel zu ihrer Überwindung.

  • Was ich sagen wollte war: die Grundgedanken dazu sind vorhanden, die Art wie diese als Methode ausgearbeitet wurden ist dann aber spezifisch für die Mahayanas.


    Zu void: ich wollte zunächst schreiben, dass Anhaftung auch an die symbolischen und rituellen Objekte eigentlich nicht vorgesehen ist. Das stimmt aber nur in Bezug auf die höchste Ebene der Betrachtung, die allerdings Bestandteil jeder "höheren" Praxis ist. Nämlich indem die Objekte immer in ihren Ursprung, die Leerheit, den Raum zurückgeführt werden. Eben um so einer Anhaftung entgegenzuwirken. Allerdings gibt es auch die Ebene des Volksbuddhismus, wo Meditationsformen und Lamas fast wie Götter verehrt werden, ohne irgendeine Vorstellung von Leerheit. Und bei den tantrisch Praktizierenden heisst es, dass es besser ist, die im Menschen nun mal vorhandene Neigung zur Anhaftung auf erleuchtende Objekte auszurichten statt auf weltliche Dinge, wo dann bereits die Zersetzung dieser Anhaftung beginnt.


    kilaya

  • mkka´:

    Hallo Thomas, vielleicht interessant für Dich: ....


    Auf jeden Fall interessant! Muchas Grazias für die tollen Links! :)
    Ich frage mich ernsthaft warum es bis heute keine deutsche Übersetzung des tibetischen Kanons gibt.
    In Zürich stehen 200 Bände die nur darauf warten übersetzt zu werden. Warum macht das keiner?
    Interesse ist mit Sicherheit vorhanden!
    Gibt es denn eine Übersetzung des chinesischen Kanons "San zang"? Der dürfte wenn ich richtig informiert bin die Quelle des tibetischen Kanjur und somit die älteste exisitierende Übersetzung des Sanskrit-Kanons sein.


    Ich habe vor einiger Zeit einen interessanten Fund bezüglich der ältesten buddhistischen Handschriften aus Gandhara gemacht (1. Jh. v. Chr. bis zum 4. Jh. n. Chr.) mit denen sich eine Forschungsgruppe derzeit und die nächsten Jahrzehnte beschäftigt: »Buddhistische Handschriften aus Gandhāra«


    Nachtrag:
    Der allseits bekannte und beliebte Rodrigo Gonzalez Zimmerling in seinen SamadhiSangha-Videos sagte in einem der Videos (weiß nicht mehr welches es war), dass die Pali- und die Sanskrit-Texte verglichen worden seien und man nahezu identische Lehrreden vorgefunden habe, die sich nur in div. Formulierungen unterscheiden aber essenziell gleichwertig seien. Daran sehe man wie gut die mündliche Übertragung bis zur schriftlichen Fixierung sowohl nach Norden als auch nach Süden über die jahrhunderte funktioniert habe.
    Daher ja auch meine Idee den Pali-Kanon als gleichwertig zu betrachten zumal es - wie bereits erwähnt - leider keine vollständige deutsche Übersetzung des San Zang oder Kanjur zu geben scheint.

  • Thomas23:

    Ich frage mich ernsthaft warum es bis heute keine deutsche Übersetzung des tibetischen Kanons gibt.In Zürich stehen 200 Bände die nur darauf warten übersetzt zu werden. Warum macht das keiner?


    Nach meinem Kenntnisstand gibt es keinen "tibetischen Kanon".
    Wenn ein "tibetischer Kanon" existieren würde, dann gäbe es sicher genügend Übersetzer, die bereit wären, das Tibetische zu übersetzen !
    Allerdings gibt es durchaus diverse tibetische Schriften, die bis heute noch nicht übersetzt worden sind.
    Ich bin gespannt welche verborgenen Schätze offen gelegt werden, wenn diese Schriften erstmalig in eine westliche Sprache übersetzt werden !

  • Der tibetische Kanon besteht aus Kangyur und Tengyur und beinhaltet eine grossen Teil des Pali Kanon. Einige Teile fehlen, andere kommen dazu. Es gibt verschiedene Sammlungen, es ist nicht ganz deckungsgleich was man dazu zählt und was nicht. Die Übersetzung verläuft trotz vieler Freiwilliger eher schleppend, es fehlt generell an Finanzmitteln, da es rein wirtschaftlich betrachtet kein ausreichendes Interesse gibt. Es geht also nur mit Spendengeldern und viel Idealismus.


    kilaya

  • mkha':

    Schau, (ich weiß, dass das nicht unbedingt jedem bekannt ist), auch im Theravada gibt es das Ideal des Bodhisattva, …


    Wo genau soll das im Palikanon stehen ?


    Ich habe dunkel im Gedächtnis, dass es den Begriff Bodhisattva auch im Theravada gibt, allerdings wird er dort keineswegs als Ideal betrachtet !

  • Thomas23:

    Ich frage mich ernsthaft warum es bis heute keine deutsche Übersetzung des tibetischen Kanons gibt.
    In Zürich stehen 200 Bände die nur darauf warten übersetzt zu werden. Warum macht das keiner?
    Interesse ist mit Sicherheit vorhanden!
    Gibt es denn eine Übersetzung des chinesischen Kanons "San zang"? Der dürfte wenn ich richtig informiert bin die Quelle des tibetischen Kanjur und somit die älteste exisitierende Übersetzung des Sanskrit-Kanons sein.


    Vielleicht findest Du hier einen Einstieg:


    Zitat

    SuttaCentral includes detailed references, shows relationships between texts in diverse collections, and, where possible, provides original text and translations.


    Texts include the Pali canon of the Theravāda school, which we have in both modern translations and the original Pali. SuttaCentral also provides the early Āgama texts from the Taishō edition of the Chinese canon, as well as references for the Tibetan Kangyur, Sanskrit, and other languages, which are much smaller in number than the Pali and Chinese collections.


    (https://suttacentral.net/)


    Viele Grüße
    Elliot

    Viele Grüße

    Elliot

  • @mkha´ , Elliot: Besten Dank!
    Soweit ich das bislang überblicke sehe ich keinen Grund warum ich die Lehrreden des Buddha aus dem Pali-Kanon nicht als Grundlage des Vajrayana verwenden sollte.
    Dank Eurer Seiten bieten sich auch Vergleichsmöglichkeiten zu Kanjur und San-Zang.
    Beim Abidharma bin ich dann etwas vorsichtiger. Die Vinayas sind mir nicht wichtig.


    Zusätzlich zu den Pali-Lehrreden dann noch die Mahayana-Sutren sowie das Buch "Übersetzungen aus dem tibetischen Kanjur" und Bücher über die Lehren des Pathmasambhava dann kommt man dem Kanjur inhaltlich schon recht nahe denke ich.
    Und ich habe die nächsten Jahre genug zu tun während meiner Sitzpraxis :D

  • Kangyur und Tengyur: Je nach Tradition und Überlieferung gibt es vom Kangyur (Worte des Buddha) und Tengyur (Kommentare von Indischen Meistern) verschiedene Ausgaben, die beim Kangyur 101-120 Bände umfassen können und beim Tengyur zwischen 220-250 Bänden, d.h. in den unterschiedlichen Ausgaben befinden sich auch teilweise verschiedene Texte. Vom Kangyur gibt es z.B. folgende Ausgaben: Derge, Beijing, Lithang, Chone, Narthang, Urga und Lhasa. Vom Tengyur folgende Ausgaben: Chone, Narthang und Beijing.
    Der Kangyur beinhaltet allerdings keine Texte aus dem Palikanon. Einige Texte sind zwar ähnlich den Pali-Sutta, aber nie wirklich identisch! Von den ca. 1120 Texten des Kangyur sind erst knapp 40 Texte in englischer Sprache übersetzt worden. Von den ca. 4000 Texten des Tengyur auch nicht viel mehr.

    Der Kangyur umfasst folgende Inhalte
    Vinaya – behandelt hauptsächlich die klösterliche Disziplin;
    Prajnaparamita – die transzendente, vollkommene Weisheit;
    Avatamsaka – eine „Blumengirlande“-Sammlung zusammengehöriger Sutras;
    Ratnakuta – die Juwelenhaufen-Klasse der Sutras;
    diverse Sutras;
    Tantra – Texte, die zum Vajrayana gehören;
    Nyingma-Tantra – jene Texte, die in der frühen Übersetzungswelle nach Tibet gebracht wurden;
    Dharani – kurze Texte, die Mantra-Rezitationen oder Gebetsformeln sind;
    Kalachakra – Tantras, die zur Klasse des Kalachakra gehören.


    Der Tengyur umfasst folgende Inhalte
    Lobpreisungen;
    Tantra – Vajrayana-Abhandlungen;
    Prajnaparamita – Abhandlungen über die transzendente, vollkommene Weisheit;
    Madhyamaka – Abhandlungen, die auf Nagarjunas mittlerem Weg beruhen;
    Sutra-Kommentare – allgemeine Abhandlungen;
    Cittamatra – Abhandlungen der Nur-Geist-Schule bzw. einige von Asangas Schriften;
    Abhidharma – Zusammenfassungen und systematische Zusammenstellungen der Lehre;
    Vinaya – Abhandlungen, die von der klösterlichen Disziplin handeln;
    Jataka – Geschichten, die von Buddhas früheren Leben als Bodhisattva handeln;
    Briefe;
    Logik;
    Sprache;
    Medizin;
    Handwerk; und
    weltliche Abhandlungen.


    Quelltexte:
    https://www.tbrc.org/#!home
    http://84000.co/
    http://www.thlib.org/encyclopedias/literary/canons/kt/


    Links:
    https://enricokosmus.wordpress…tischer-dharma-schriften/