Ich wollte das lieber aus einem anderen Thread abtrennen, aber ich finde das wichtig zu diskutieren. In einigen Tantras und Pujas geht es, wortwörtlich übersetzt, darum, dass man Feinde des Dharma zerstören soll oder die Schützer bittet, diese zu zerstören. Natürlich geht es in den Tantras und Pujas um die inneren Feinde, also um eine rein esoterische Bedeutung und Bilder für etwas, das im übertragenen Sinne innerlich passiert. Ich persönlich finde auch da eine weniger martialische Sprache und Umgangsweise besser, wie sie z.B. eben in "Den Dämonen Nahrung geben" von Tsültrim Allione beschrieben wird.
Aber darum geht es mir hier jetzt gar nicht. Viele haben eine Idealvorstellung von einem Shangrila oder einer buddhistischen Kultur, die völlig friedfertig ist. Auf der Erde gibt und gab es keine mir bekannte Gesellschaft, die diesem Ideal auch nur annähernd nahe kommt. Aber nehmen wir mal so eine fiktionale oder utopische Gesellschaft und setzen sie auf die Erde, so wie es in Aldous Huxleys "Eiland" beschrieben wird. Wenn die Vorstellung von einer friedfertigen Kultur keinerlei Aspekte der (Selbst)verteidigung vorsieht, ist sie dann nicht gefährdet, durch die Umwelt geschluckt zu werden, wie es in "Eiland" letztlich passiert? Buddhistische Klöster waren z.B. in China immer wieder durch Plünderungen und Raubüberfälle bedroht. Daraus ist die Tradition der "Kampfmönche" entstanden, die durch Kung Fu für den Schutz der Klöster zuständig waren.
In einem größeren Rahmen ist mir keine buddhistischen Kultur bekannt, die sich kriegerisch ausgedehnt hätte, oder "Feinde" unprovoziert angegriffen oder getötet hätte. Umgekehrt ist aber der Buddhismus in der Geschichte immer wieder bedroht und teilweise in einigen Regionen sogar völlig verdrängt worden.
Obwohl es in Tibet eine martialisch klingende Esoterik-Tradition gab, hatten die Tibeter dem chinesischen Übergriff so gut wie nichts entgegen zu setzen. Tatsächlich waren sie lange Zeit so naiv, dass sie geglaubt haben, den Konflikt friedlich lösen zu können. Die offizielle Haltung der Exilregierung ist trotz des Genozids immer noch, eine gütliche Einigung mit den Chinesen zu finden.
Spricht das alles für die Lesweise einiger Kritiker, es gäbe in den Tantras Hinweise auf eine exoterische, auf feindliche Menschen bezogene Tötungsabsicht? Gibt es in der Geschichte der Welt irgendwelche Hinweise, dass mit dem Kalachakra-Tantra (das nicht mal zu den originär buddhistischen Tantras gehört) einen exoterische Weltherrschaftsabsicht verbunden sein könnte und keine esoterische Umwandlung der inneren Welt des Praktizierenden? Kennt irgend jemand von Euch einen praktizierenden (tibetischen) Buddhisten, der andersdenkenden wirklich massiv Schaden zufügen will?
Man kann sich eine Menge Erhirnen, wenn man die Dinge unbedingt so sehen will. Aber letztendlich braucht man sich nur die Früchte der Praxis und das reale Geschehen in der Welt anzusehen, um solche Lesweisen zu entkräften. Selbst da, wo kritikwürdige Dinge geschehen, muss man doch immer feststellen, dass diese nicht wegen der buddhistischen Lehren passiert sind, sondern trotz dieser - sonst hätte das ganz anders ausgesehen...
Ich würde sogar sagen, dass es mehr Buddhisten geben müsste, die bereit und in der Lage sind, sich selbst und eine friedliebende, Frieden liebende, Kultur und Gesellschaft (ob buddhistisch oder säkular geprägt) gegen unprovozierte Angreifer zu verteidigen. Die Tantras geben Hinweise darauf, wie man es schaffen kann, das zu tun, ohne buddhistische Gelübde zu verletzen und den eigenen Weg zur Erleuchtung zu blockieren oder zu zerstören. Buddhisten, die alle wegrennen, sobald es schwierig wird, kann die Welt nicht gebrauchen und das könnte auch dazu führen, dass der Buddhismus verloren geht. In unserer Lebenszeit brauchen wir dann nicht mehr damit rechnen, dass uns wieder ein Buddha den Dharma bringt. Dann brechen erst einmal sehr dunkle Zeiten an.
Wie seht ihr das?