H. P. Blavatsky und Theravada Buddhismus

  • Es geht um die Frage „ewige Individualität des Menschen“: Ja oder Nein?
    H. P. Blavatsky (1831-1891) unterscheidet in ihrem Buch „Der Schlüssel zur Theosophie“ einen exoterischen Buddhismus und einen esoterischen Budhismus (nicht mit d-dh, sondern nur mit dh geschrieben). Auf S. 91 der soeben erschienenen Neuauflage (Grafing 2015) wird unter der Überschrift „Die buddhistischen Lehren über die Seele“ von dem ungenannten, fiktiven Frager nach der Herkunft des Konzeptes der jeweils „gleichen Individualität (nicht die gleiche Persönlichkeit)“ innerhalb des Buddha Dharma gefragt, nach dem Konzept der Individualität, die in einer Wiedergeburt die gleiche ist, „wie in der vorhergehenden“ (S. 90). Sodann wird diese Frage konkretisiert: „Aber es wird doch ausdrücklich gesagt, dass die meisten Buddhisten nicht an die Unsterblichkeit der Seele glauben.“ (S. 91) – Die Autorin, H. P. Blavatsky, antwortet nun: „Ebenso wenig wie wir, wenn Sie unter Seele das persönliche Ego, die Lebens-Seele, das Nephesh, verstehen. Aber jeder gebildete Buddhist glaubt an das individuelle oder göttliche Ego.“ – Etwas später (S. 92) wendet der Frager ein: „Buddha hat sicherlich auch die Unsterblichkeit der Seele abgelehnt, wenn alle Orientalisten und seine eigenen Priester dies sagen!“ – Darauf erfolgt die erstaunliche Antwort der Blavatsky: „Die Arhats begannen dem Werk ihres Meisters zu folgen, aber die Mehrheit der später folgenden Priester war nicht eingeweiht, genau wie im Christentum. So kam es, dass die großen esoterischen Wahrheiten langsam fast verloren gingen. Ein Beweis dafür sind die zwei siamesischen Schulen in Ceylon. Eine davon glaubt, dass der Tod die völlige Vernichtung der Individualität und der Persönlichkeit ist, während die andere Nirvana so erklärt, wie wir Theosophen es tun.“ – Wer kann mir jetzt helfen recht zu verstehen, was es mit diesen beiden Auffassungen resp. Schulen auf sich hat? Kann jemand unter den Kennern des Theravada in Sri Lanka die Existenz solcher zwei Schulen bestätigen, von denen in der einen – im Gegensatz zu der anderen – gelehrt wird, dass dem Menschen eine fortbestehende Individualität bzw. ein „göttliches Ego“ eignet?
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    • Offizieller Beitrag

    Als christliche Missionare versuchten Sri Lanka zu missionieren geschah es, dass auf einmal buddhitische Prediger auftauchten, die in Streitgesprächen erschreckend fundiert auf ihre Argumente antworteten. Das berühmteste dieser christlich-buddhitischen Streitgespäche war die "Debatte von Pandura" im Jahr 1873, wo der Mönch Gunananda auf die Argumente des methodistischen Missionars David de Silva antwortete und seine Argumente ziemlich auseinander nahm. Die Publikation dieser Debatte wurde von den Thesophen Olcott und Balvatsky mit Begeisterung gelesen, die daraufhin 1880 persönlich nach Sri Lanka reisten und sich demonstrativ öffentlich als Buddhisten bekannten.


    Die Debatten gingen weiter, aber es waren eben keine interbuddhitischen Debatten sondern es ging darum, eine budhitische Antwort auf die Rhetorik christlicher Missionare zu geben. Also sowohl dem Argument "Ihr leugnet die Seele" als auch dem Argument "Ihr glaubt ja auch an die Seele" zu entgehen. Natürlich lässt sich das buddhitische Denken weder durch die eine noch die andere Kategorie einfangen, aber jedes Argument dass der einen einseitigen Kategorie widerspricht kann als Argument für die andere einseitige Kategorie gewertet werden. "Seele" ist einfach keine buddhitische Begrifflichkeit, sondern etwas was dem Diskurs von den Missionaren aufgezwungen wurde. (Das ist vielleicht so, als stellt man Fledermäusen die absolut unpassende Frage, sich zu positionieren, ob sie jetzt Vögel oder Mäuse sind. Um dann nach viel Untrschall-Gestammel festzustellen, dass es da wohl zwei Fraktionen gibt. )


    Wobei natürlich auch Olcott und Balvatsky ihrer eignen Interessen hatten, nämlich nachzuweisen, dass alle Religionen im Prinzip auf die gleiche Wahrheit verweisen. Was ja einerseits heldenenhaft ist und gerade im damaligen kolonialen Kontext eine ziemliche Provokation darstellte. Auf der anderen Seite ist es auch selbst leicht chauvinistisch indem es das unbekannte Andere ( in dem Fall den Buddhismus) zum Derivat des schon bekannten ( der ewigen Waheit) reduziert, das nur durch irgendwelche Missverständnisse zur eigenständigern Religion entartete.


    Aber gleichzeig wurde gerade diese Sicht auch wider zum Anstoss für Neues. Dadurch, dass da Westler auftauchten, die bereit waren den Buddhismus als irgendwie gleichwertig und potentiell modern anzusehen, fühlte man sich sehr bestätigt. Das führte dann dazu, dass Anagarika Dharmapala versuchte einen modernistischen Buddhismus zu schaffen und die buddhitische Tradition mit den europäischen Werten der Aufklärung zu versöhnen. Das was Balvatsky in de Buddhismus reinprojizierte hatte also selbst wieder eine Wirkung auf den Buddhismus. Und Balavatky konnte erfreut zur Kentniss nehemen, dass da jemand die Dinge so sieht "wie wir Theosophen es tun".


    Der „Der Schlüssel zur Theosophie“ wurde 1889 publiziert. Ab 1895 gab es von der Pali Text Society Übersetzungen des Palikanon ins Englische, was es den Westlern erlaubte sich intensiver mit der buddhitschen Begrifflichkeiten auseinanderzusetzten und nicht mehr so sehr die eigenen, unpassenden Begrifflichkeiten (Seele ja nein) anzuwenden.

  • Ausgezeichnet void, mit interessanten Links zur Lage des Buddhismus während der englischen Besatzung und der Rolle der theosophischen Gesellschaft. Und die Flüchtigkeits/Rechtschreibfehler werden auch immer weniger ;)

  • void:

    Olcott und Blavatsky


    Vielleicht ist dies auch interessant.


    Zwar ist der "Redner" bei diesem Workshop der Ben Gurion Universität, Nirmal Ranjith Dewasiri, nicht extrem redebegabt, aber den Beitrag fand ich aufschlussreich: Olcott &. Co, der Buddhismus, der wahre Buddhismus und die Entwicklung des mit dem (Theravada-) Buddhismus verbundenen Sinhala-Nationalbewußtseins (sehr negativ gesagt: des "Nationalismus").


    Olcott Buddhism vs. True Buddhism': Revival of Buddhism in Sri Lanka


    https://www.youtube.com/watch?v=wjz2s6s15Wo


    Kongjiazhong

  • Also hat es diese zwei angeblichen Schulen auf Sri Lanka nicht gegeben.
    Oder (frei nach Nagarjuna): weder zwei Schulen noch nicht zwei Schulen?
    Dass Olcott und H. P. Blavatsky spezielle Interessen verfolgten, kann ich gut nachvollziehen.
    Ken Wilber aber machte womöglich einen ähnlichen Versuch - natürlich viel ausgefeilter als Madame.
    In "Eros, Kosmos, Logos" lese man die Fußnote 1 zum 14. Kapitel nach (29 Buchseiten; ein eigener Essay). Ein Freund meinte hier herauslesen zu können, dass Ken Wilber in diesem Text eine Art individuelles "ewiges Selbst" für mit dem Buddha Dharma kompatibel erklären wollte.
    Dieser 29-Seiten-Essay hat meinem Verständnis nach drei Hauptteile.
    Im ersten Teil geht es um die Überwindung der frühbuddhistischen Abhidharma-Sichtweise, insbesondere gestützt auf Nagarjuna. Die Essenz: "Weder Selbst – noch Nicht-Selbst; weder beides – noch keins von beidem" ist jedoch nicht geeignet, eine buddhistische Rede von einem ewigen oder transzendenten Selbst zu begründen. Die Leerheit bleibt – allen Spitzfindigkeiten Nagarjunas und Wilbers zum Trotz – anātman.
    Im zweiten Teil wird vornehmlich Mahamudra bzw. Ati Yoga bzw. Dzogchen fokussiert. Die Diamant-Natur ist und bleibt Leerheit. Das, was als ewiges Selbst angesprochen werden könnte, ein Unvergänglich-Unzerstörbares, erweist sich hier an keiner Stelle als ein in-di-vi-du-el-les ewiges Selbst, welches sonst von erhöhtem Interesse wäre. Es entspricht dem Dharmakaya des Adi-Buddha und ist weder Selbst – noch Nicht-Selbst; weder beides – noch keins von beidem. Eine positive Setzung, wie etwa bei Fichte, würde für Wilber ein Zurückfallen hinter die Dialektik Nagarjunas oder – später – des Ati Yogas bedeuten.
    Im dritten Teil geht es um Schnittmengen zwischen dem Buddha Dharma und westlicher Psychologie und Kognitionswissenschaft. Hier spricht Wilber als Empiriker, der mit diagnostisch-therapeutisch geübtem Blick vor Borderline-affinen Sichtweisen warnt, die zumeist in Verbindung mit bestimmten Pathologien der Psyche auftreten (Borderliner könnten u.U. in der Anātman-Lehre einen Stimulus und eine Rechtfertigung dafür finden, sich Ich-schwach aus der Welt zurückzuziehen). Demgegenüber macht Wilber eine gewisse Nützlichkeit des empirischen Umgangs mit dem menschlichen Ich geltend, ohne müde zu werden, dessen Relativität zu betonen. Das Ich hat einen bloß relativen Stellenwert, ganz im Sine seiner Rede von den Prä-/Trans-Verhältnissen.
    Auch, wenn der Terminus “ewiges Selbst” von Wilber verwendet wird, habe ich hier keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, das es ihm um eine wahrhafte Individualisierung des Geistes, des Ewigen geht – wie sie im Integralen Yoga oder westlichen Schulen der Spiritualität ins Auge gefasst wird.
    Interessant in dieser Hinsicht wird Wilber da, wo er seine primär buddhistische Orientierung (selbst-)kritisch in Frage stellt und sogar von Spielarten eines “buddhistischen Imperialismus” spricht. Zitat:
    “Die auf die Welt der Phänomene bezogene ‘Nicht-Selbst’-Lehre hat alle Versuche, östliches und westliches Denken zu integrieren, ungeheuer erschwert. Vielleicht ist es an der Zeit, einen gewissen buddhistischen Imperialismus über Bord zu werfen und unser Netz zum Zwecke einer Synthese ein wenig weiter auszuwerfen, ein wenig großzügiger. Wenn es tatsächlich die Buddha-Natur gibt, so hat sie sicherlich auch in anderen Kulturen, an anderen Orten und zu anderen Zeiten ihre Spuren hinterlassen. Und sie scheint weitaus häufiger Äquivalente für ‘Mahātman’ in die Ohren sensibler Männer und Frauen geflüstert zu haben als für ‘Anātman’.” (“Eros, Komos, Logos”. 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1996, Ss. 770/71 - die oben erwähnte Fußnote in dieser Ausgabe auf den Seiten 750-779)
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    • Offizieller Beitrag
    ""KenWilber":

    “Die auf die Welt der Phänomene bezogene ‘Nicht-Selbst’-Lehre hat alle Versuche, östliches und westliches Denken zu integrieren, ungeheuer erschwert. Vielleicht ist es an der Zeit, einen gewissen buddhistischen Imperialismus über Bord zu werfen und unser Netz zum Zwecke einer Synthese ein wenig weiter auszuwerfen, ein wenig großzügiger. Wenn es tatsächlich die Buddha-Natur gibt, so hat sie sicherlich auch in anderen Kulturen, an anderen Orten und zu anderen Zeiten ihre Spuren hinterlassen. Und sie scheint weitaus häufiger Äquivalente für ‘Mahātman’ in die Ohren sensibler Männer und Frauen geflüstert zu haben als für ‘Anātman’.”


    Ich denke, Ken Wilber hat eine bestimmte Aufgabenstellung, nämlich die "östlches und westlches Denk zu integrieren".


    Das gegenseitige Verstäänis zu förderd und Missverständnissese auszuräumen ist sicherlich gut und man kann sicherlich viel voneinander lernen. Interreligiöser Dialog ist egnau wie der Dialog Religion-Kunst-Wissenschaft sicher wichtig.


    Die Gefahr bei Wilbers Ansatz sehe ich darain, dass man in seinem Eintreten für das Integrale so auf Harmoniserung bedacht sein kann, dass alle Unterschiede als Hindernis gesehen werden. Und da ist die Anatta Lehre natürlich etwas, was sich der Gleichschaltung widersetzt. Aber ist das schlimm? Es gibt doch viele Beispiels, wo Vielfalt etwas Gutes ist. Auch in der Demokratie ist die Existenz von Parteien ja kein Fehler, der sich im Zuge der "kommenden Einheitspartei" auflöst.


    Natürlich hat Ken Wilber recht damit, dass unterschiedlche Religionen unterscheidliche Facetten der Wahrheit abdecken. Aber muss man - weil es blaue, grüne und gelbe Knetmasse gibt - sie zu graubraunen Kompromisstönen vermischen? Und sich dann einbilden, dass diese mehr Wahrheit enthält, als all das bunte Zeugs? Eigentlich hat man ja auch nur eine weitere Farbe.

  • Hallo,


    ich kenne mich nicht gut mit dem sri lankischen Buddhismus aus. Aber mit Schulen innerhalb des Theravada ist eigentlich immer nikaya gemeint. Und in Sri Lanka gibt es 3 Hauptnikaya: 2 stammen aus Birma und nur der Siyam-nikaya aus Thailand. Zwischen allen 3 sollten die doktrinären Unterschiede eigentlich sehr gering sein. Von daher macht die beschriebene Einteilung für mich auf den ersten Blick keinen Sinn.


    Schaut man aber nach Thailand, dann sieht man, dass es innerhalb der thailändischen Waldtradition - die nikaya übergreifend ist - durchaus Vertreter von einer Ansicht gibt, die man vereinfacht gesagt als "ewige Seele" verstehen kann. Die thailändische Waldtradition ist gerade in doktrinären Punkten nicht unbedingt verlässlich orthodox. Ich kann mir vorstellen, dass dies auch für Sri Lanka gelten kann bzw. galt.


    Gruß
    Florian

  • Anzumerken wäre vielleicht noch, dass Helena Petrovna Blavatsky (gebürtig Helena Petrovna von Hahn-Rottenstern) sich wohl eher dem Spiritismus verschrieben hatte als wirklich dem Buddhismus, weshalb sie sich wohl auch eher dem tibetischen Buddhismus zuwandte, wobei Henry Steel Olcott sich eher für den Theravada Buddhismus interessierte. Zuerst beschäftigten sie sich in der Theosophischen Gesellschaft ja auch eher mit dem Spitismus in "Isis entschleichert" http://de.wikipedia.org/wiki/Isis_entschleiert und später mit dem Neo-Hinduismus, insbesondere mit Jiddu Krishnamurti http://de.wikipedia.org/wiki/Jiddu_Krishnamurti. Danach verlor die TG und ihre Lehren auch zunehmend an Bedeutung.
    Vieles was Frau Blavatsky schrieb, war wohl auch eher Fiktion als Realität http://de.wikipedia.org/wiki/Coulomb-Aff%C3%A4re


    Die unterschiedlichen Ansichten gab es auch schon im deutschen Buddhismus zwischen Georg Grimm und Paul Dahlke.
    http://www.zentrum-oekumene-ek…/Gesch.Dt.Buddh.Essay.pdf
    " Ab Mitte 1920er entwickelte sich dann eine Polarisierung zwischen Dahlkes Neubuddhismus und Grimms Altbuddhismus. Der Streit ging vor allem um das Verständnis dessen, ob die Seele substanzhaft oder prozesshaft zu verstehen sei. "