Sind Samatha und Vipassana das selbe?

  • Das Standardobjekt für Samatha ist der Atem.


    Man spürt wie er kommt und geht -> Anicca
    Man spürt das jeder Atemzug aus mehreren Schritten besteht -> Anatta
    Man spürt das jeder Atemzug anders ist -> Dukkha


    Ist es nicht eigentlich das Ziel von Vipassana, eben genau diese 3 Daseinsmerkmale zu erkennen?



    Diese Frage stelle ich mir jetzt schon seit längerem. Mir ist auch klar, dass man sich i.d.R. bei Vipassana nicht nur auf ein Objekt fixiert, sondern auf alles was einem gerade in den Sinn kommt. Bisher dachte ich also, dass Vipassana im Prinzip Samatha ist, nur mit mehreren Meditationsobjekten. Gestern habe ich allerdings von einem Mönch gehört, dass allein die Betrachtung der Bauchdecke ausreichen kann, um Erleuchtung zu erlangen, eben weil die 3 Daseinsmerkmale da so gut erkennbar sind.


    Kann mich jemand aufklären?

  • sascha_108:

    ....
    Man spürt wie er kommt und geht -> Anicca
    Man spürt das jeder Atemzug aus mehreren Schritten besteht -> Anatta
    Man spürt das jeder Atemzug anders ist -> Dukkha


    Meinem Verständnis nach bist Du hier vom Shamata (Objekt: Atem) in Vipassana (Objekt: Betrachtung von Anicca, Anatta, Dukkha) hinübergerutscht, was ich allerdings für positiv und konstruktiv halte. Nur von der Benennung her ist dieses nicht mehr Shamata - und es ist vielleicht auch ganz gut, sich dessen bewusst zu sein. Denn eine Abwendung vom Meditationsobjekt ist ja gegeben. Eine bewusste Grenzlinie zwischen Stillem Verweilen und Analyse halte ich aber für hilfreich, eher als ein unbewusstes Hinübergleiten von einer Methode in die nächste.


    Zitat

    Ist es nicht eigentlich das Ziel von Vipassana, eben genau diese 3 Daseinsmerkmale zu erkennen?


    Ich weiß nicht, wie es im Theravada ist. Im tibetischen Buddhismus setzt man sich das Ziel von Vipassana vor der Meditation selbst. Es kann auch Themen wie "Leerheit erkennen" oder "Abhängiges Entstehen" oder ähnliches behandeln. Hängt ja aber auch wiederum alles zusammen.



    Zitat

    Gestern habe ich allerdings von einem Mönch gehört, dass allein die Betrachtung der Bauchdecke ausreichen kann, um Erleuchtung zu erlangen, eben weil die 3 Daseinsmerkmale da so gut erkennbar sind.


    Sowas höre ich zum ersten Mal, aber ich kann mir schon vorstellen, wie es wohl gemeint ist.

    :rainbow: Gute Wünsche für jede und jeden. :tee:


  • Sascha:

    Zitat

    Gestern habe ich allerdings von einem Mönch gehört, dass allein die Betrachtung der Bauchdecke ausreichen kann, um Erleuchtung zu erlangen, eben weil die 3 Daseinsmerkmale da so gut erkennbar sind.


    Es ist ein intuitives, hellsichtiges Verstehen. Erleuchtung. Es ist nicht " zu machen". Vipassana ist nicht " zu tun". Jeder der dir was anderes erzählt ist ne Pfeife. Theoretiker.

    Honen Shonin: "Weil es den Übenden in der heutigen Zeit aber gut geht, finden sie Einschränkungen schwer."

  • Ich danke euch allen für eure Antworten.


    Lebenslos's Link zu Ajahn Chahs FAQ landet in meinen Lesezeichen, da er meine Frage perfekt beantwortet. Danke dafür!


    Zitat

    Frage: Du hast gesagt, daß Samatha und Vipassanā oder Sammlung und Einsicht dasselbe sind. Kannst du das etwas näher erklären?


    Antwort: Es ist ganz einfach. Sammlung (samatha) und Weisheit oder Klarsicht (vipassanā) arbeiten Hand in Hand. Zuerst wird der Geist still, indem er sich an das Meditationsobjekt hält. Er ist nur ruhig, wenn du mit geschlossenen Augen sitzt. Das ist Samatha; doch schließlich ist diese Grundlage an Sammlung zugleich die Ursache für das Entstehen von Weisheit oder Vipassanā. Dann ist der Geist still, ob du mit geschlossenen Augen dasitzt oder in einer geschäftigen Stadt umhergehst. So ist es. Einst warst du ein Kind. Jetzt bist du ein Erwachsener. Sind das Kind und der Erwachsene dieselbe Person? Du kannst sagen, daß sie es sind, aber aus einer anderen Sichtweise kannst du sagen, daß sie verschieden sind. In diesem Sinne können Samatha und Vipassanā auch als getrennt angesehen werden. Oder es ist wie mit Nahrung und Exkrementen. Auch Nahrung und Exkremente können als gleich oder als verschieden bezeichnet werden. - Glaub nicht einfach, was ich sage, führe deine Übung fort und sieh selbst; es braucht nichts Besonderes. Wenn du untersuchst, wie Sammlung und Weisheit entstehen, wirst du die Wahrheit selbst herausfinden. Heutzutage haften viele Leute an Worten. Sie nennen ihre Übung Vipassanā. Auf Samatha blicken sie herab. Oder sie nennen ihre Übung Samatha. Es ist unerläßlich, Samatha vor Vipassanā zu üben, sagen sie. Das ist alles albern. Halte dich nicht damit auf, so zu denken. Mach einfach weiter mit deiner Übung, und du wirst selbst sehen.


    Vorausgesetzt ich es richtig verstehe, stimmt also beides. Vipassana entsteht aus Samatha, genau wie man die Daseinsmerkmale im selben Meditationsobjekt sehen kann, welches man für die Geistesruhe verwendet hat.



    Ich habe aber auch noch etwas anderes gefunden, bei dem ich ziemlich Grinsen musste. Diese Weisheit will ich euch nicht vorenthalten :D


    Zitat

    Frage: Warum haben wir nicht täglich Gespräche mit dem Lehrer?


    Antwort: Wenn ihr Fragen habt, seid ihr jederzeit willkommen diese zu stellen. Tägliche Gespräche brauchen wir hier jedoch nicht. Wenn ich jede kleine Frage von euch beantworte, werdet ihr nie den Prozeß des Zweifelns in eurem Geist verstehen lernen. Es ist wesentlich, daß ihr euch selbst erforscht, euch selbst befragt. Hört den Darlegungen, die alle paar Tage stattfinden, sorgfältig zu; dann benutzt diese Lehren, um sie mit der Erfahrung aus eurer eigenen Übung zu vergleichen. Ist sie genauso? Ist sie anders? Warum habt ihr Zweifel? Wer ist es, der zweifelt? Nur durch Selbstprüfung könnt ihr verstehen.


    Das beantwortet meine Frage (und unzählige andere) sogar noch viel besser.

  • Sascha:

    Zitat

    Vipassana entsteht aus Samatha,


    Vipassana ist ein Geistesfaktor von Samatha. Schon recht. Die Übung von Shamatha ist absolut wesentlich, möglichst über ein recht stabiles, unbewegliches Objekt. Satipatthana, also bewegliche, sich verändernde Formation als Samathaobjekt( gleichzeitig als Vipassanaobjekt ) sein lassen zu können, ist schon die Med "der Edlen", die Raum,-und Zeitlos und Eins verweilen.

    Honen Shonin: "Weil es den Übenden in der heutigen Zeit aber gut geht, finden sie Einschränkungen schwer."

  • al-Nuri:

    Sascha:

    Zitat

    Vipassana entsteht aus Samatha,


    Vipassana ist ein Geistesfaktor von Samatha. Schon recht. Die Übung von Shamatha ist absolut wesentlich, möglichst über ein recht stabiles, unbewegliches Objekt. Satipatthana, also bewegliche, sich verändernde Formation als Samathaobjekt( gleichzeitig als Vipassanaobjekt ) sein lassen zu können, ist schon die Med "der Edlen", die Raum,-und Zeitlos und Eins verweilen.



    Das finde ich interessant. Hälst du den Atem also für ungeeignet, weil der ja eigentlich recht instabil ist? Das verwundert mich jetzt etwas, da der Atem eigentlich (zumindest im Theravada) der Standard ist.

  • Hallo,


    samatha und vipassana sind ja zuerst Früchte der Geistesentwicklung (bhavana), daher wird auch von samatha-bhavana und vipassana-bhavana gesprochen. Dies ist die Aufgabe - Entwicklung von Gemütsruhe und Einsicht - und so wird auch der Weg, die Meditation dahin entsprechend als Vipassana-Meditation und Samatha-Meditation benannt.


    Diese Früchte sind abhängig von Objekten, Techniken, Methoden etc. Die Satipatthana-Meditation entwickelt sowohl samatha als auch vipassana. Einige buddhistische Meditationsmethoden als auch (alle) nicht-buddhistischen entwickeln jedoch nur Gemütsruhe.


    Als Geistesfaktoren jedoch sind samatha und vipassana klar getrennt und dies "Vipassana ist ein Geistesfaktor von Samatha" (von al-Nuri) halte ich für falsch.


    Gruß
    Florian

  • sascha_108:

    Hälst du den Atem also für ungeeignet, weil der ja eigentlich recht instabil ist?



    Aber nein.
    Die Atembetrachtung ist in allen Traditonen üblich. Nicht grundlos.


    Buddhagosa:

    Zitat

    "Vipassana ist ein Geistesfaktor von Samatha" (von al-Nuri) halte ich für falsch.


    Hab ich mir nicht ausgedacht.
    Der folgende Text ist in meinen Augen die beste Erläuterung zu diesem Thema - und damit war es für mich abgeschlossen.
    Könnte das selber nicht so klar in dieser Kürze formulieren.
    Nach all dem was ich aber sonst noch so gelesen, sinniert , mit Usern hier "gesprochen" und praktizierte, empfinde ich diese Erläuterung als völlig richtig.
    Das ist aus dem Berzinarchiv, also der tibetischen Enzyklopädie. Einen Theravadakommentar habe ich nicht vorliegen.
    Bitte das zu entschuldigen. In diesem Unterforum.




    Honen Shonin: "Weil es den Übenden in der heutigen Zeit aber gut geht, finden sie Einschränkungen schwer."

  • Hallo al-Nuri,


    al-Nuri:

    Buddhagosa:

    Zitat

    "Vipassana ist ein Geistesfaktor von Samatha" (von al-Nuri) halte ich für falsch.


    Hab ich mir nicht ausgedacht.
    Der folgende Text ist in meinen Augen die beste Erläuterung zu diesem Thema


    dann verstehe ich deinen Satz ganz anders als du. Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen deinem Satz und dem Zitat.


    Gruß
    Florian

  • al-Nuri:

    Es ist ein intuitives, hellsichtiges Verstehen. Erleuchtung. Es ist nicht " zu machen". Vipassana ist nicht " zu tun". Jeder der dir was anderes erzählt ist ne Pfeife. Theoretiker.


    Davon muß es ja beim Zen jede Menge geben, scheinen sie
    doch die grüßte Angst davor zu haben eine "Pfeife" zu sein.
    Nach dem Motto: "wer andere eine "Pfeife" nennt ist es meist selber."


    Übrigens:vipassanam = Klarblick bzw. Durchschauung.
    "samathapubbangamam" = Klarblick bzw. Durchschauung mit vorangehender Geistesruhe
    und "yathābhūta-ñānadassana" ist: Der der Wirklichkeit gemäße Erkenntnisblick, einer
    der 18 Klarblickarten (vipassanā)
    Die in in Vis. XX beschriebenen 18 Hauptarten des Klarblicks (mahā-vipassan) sind:
    1.Betrachtung der Vergänglichkeit (aniccānupassanā)
    2.Betrachtung des Leidens (dukkhānupassanā)
    3.Betrachtung der Unpersönlichkeit (anattānupassanā)
    4.Betrachtung der Abwendung (nibbidānupassanā)
    5.Betrachtung der Loslösung (virāgānupassanā)
    6.Betrachtung der Erlöschung (nirodhānupassanā)
    7.Betrachtung des Fahrenlassens (patinissagānupassanā)
    8.Betrachtung des Versiegens (khayānupassanā)
    9.Betrachtung des Hinschwindens (vayānupassanā)
    10.Betrachtung der Veränderung (viparināmānupassanā)
    11.Betrachtung des Bedingungslosen (animittānupassanā)
    12.Betrachtung des Wunschlosen (appanihitānupassana)
    13.Betrachtung der Leerheit (suññatānupassanā)
    14.der Hohe Wissenshellblick (adhipaññā-dhamma-vipassanā)
    15.der der Wirklichkeit gemäße Klarblick (yathābhūta-ñānadassana)
    16.Betrachtung des Elends (ādínavānupassanā)
    17.Nachdenkende Betrachtung (patisankhānupassanā)
    18.Betrachtung des Sichabwendens (vivattanānupassanā-ñāna)


    Durch diese Übungen werden die entgegengesetzten Dinge überwunden, und
    diese Überwindung gilt daher als die 'Überwindung durchs Gegenteil' (tad-anga-pahāna, siehe pahāna).


    1.nämlich überwindet den Unvergänlichkeitsglauben
    2.den Glücksglauben
    3.den Persönlichkeitsglauben
    4.die Lust,
    5.die Gier,
    6.die Daseinsentstehung,
    7.das Festhalten,
    8.die Festigkeitsvorstellung,
    9.das karmische Anhäufen,
    10.die Beständigkeitsvorstellung,
    11.die Unvergänglichkeitsvorstellung,
    12.das Verlangen nach Glück,
    13.den Gedanken an eine Persönlichkeit
    14.das Sichanklammern an die fixe Idee einer Wesenheit
    15.das Sichanklammern an das verblendete Denken über das Ich und die Welt
    16.das Sichanklammern an die Lust
    17.die Gedankenlosigkeit
    18.die Fortdauer der Leidenschaften

  • Zitat

    Davon muß es ja beim Zen jede Menge geben, scheinen sie
    doch die grüßte Angst davor zu haben eine "Pfeife" zu sein.
    Nach dem Motto: "wer andere eine "Pfeife" nennt ist es meist selber."

    :P



    Ein gesundes und friedvolles neues Jahr !
    :)