Wie der Zen William James von den Füssen auf den Kopf stellt

  • Ein Beispiel für den Veränderungsprozess, den verschiedene asiatische Formen des Buddhismus beginnen, wenn sie mit dem Westen in Berührung kommen, ist der japanische Zen. Dieser hat ab dem Ende des 19. Jahrhunderts eine völlige Neuprägung erhalten, die einem Wechselspiel exo- und endogener Einflüsse unterliegt. Trotz dieser Interaktion gibt es bei uns bis heute den Mythos vom Zen als einer uralten und reinen Tradition der Bilderstürmerei, die akademisches Lernen und das Ritual verneine und stattdessen Natürlichkeit, Spontanität und Freiheit bevorzugt. Zen soll die „reine Erfahrung“ sein, eine ahistorische und transkulturelle Erfahrung „reiner Subjektivität“ die diskursives Denken völlig transzendiert. Zen soll die ultimative und unmittelbare Erfahrung des Lebens sein, ohne dabei von kulturellen Artefakten beeinträchtigt zu werden. Darüber hinaus soll Zen die ursprünglich Quelle aller religiösen Erfahrung sein, westlicher wie östlicher. (vgl. ZN, 107)


    Tatsächlich jedoch lässt sich feststellen, dass dieser Zen ein Konstrukt ist, das seit dem ausgegehenden 19. Jhdt. entstand. Die bekannteste Person in diesem Zusammenhang ist der Autor D.T. Suzuki. Dieser neue Zen ist gekennzeichnet durch folgendes Axiom: „Zen zu studieren heisst, Zen zu erfahren, denn ohne die Erfahrung gibt es keinen Zen den man studieren könnte.“ (ZN, 127) Man wird diese Grundsatzaussage endlos variiert in jeder Zengruppe hören. Die Betonung der Erfahrung ist jedoch neu für den japanischen Zen und geht zurück aufSuzukis persönlichen Freund Nishida Kitarō. Von ihm geht in Zusammenarbeit mit Suzuki eine „neue Buddhismusexegese aus, die die reine und unmittelbare Erfahrung gegenüber Ritual und Studium privilegiert.“ (ZN, 123) Die Einflüsse für diese Entwicklung kommen aus dem Westen und lassen sich bis auf das besondere und neue Interesse an religiöser Erfahrung bei Friedrich Schleiermacher zurück verfolgen, wobei aber besonders der amerikanische Philosoph William James auf Nishida einen wichtigen Einfluss ausübte. Nishida wurde von Suzuki mit James bekannt gemacht, wobei man wissen muss, dass Suzuki Anfang des 20. Jahrhunderts wiederum eine jahrelange ‚Lehrzeit‘ in den USA durchmachte, während der er mit dortigen zeitgenössischen philosophischen Strömungen bekannt wurde. Nishida lernt über Suzuki James’ Erfahrungsbegriff kennen, der dann für den Zen des 20. Jahrhunderts von grösster Bedeutung wird – ohne dass er vorher im Zen eine solche jemals gehabt hätte. Kurios ist dabei, dass Nishida den von James importierten Begriff von der Erfahrung entgegen James’ Intention auslegt. Für James ist „in der psychologischen Introspektion einzig die Tatsache gegeben, daß Denk- und Erfahrungsprozesse vor sich gehen. Mit dieser Vorstellung folgt James der Tradition Humes, der die Existenz einer unveränderlichen substantiellen Seele oder eines reinen, identischen Selbst als Gegenstand der Introspektion bestritten und statt dessen behauptet hatte, es gebe lediglich die wahrgenommenen wechselnden Bewußtseinsepisoden. Für James und Hume gilt gleichermaßen: Bei der Introspektion müssen wir feststellen, daß sich uns kein „reines Selbst“ offenbart, das außerhalb der Empirie stehend die einzelnen Erfahrungsepisoden koordinieren würde.“ (PE, 6 f.)


    Das Kuriosum ist, dass Suzuki und Nishida Kitarō eine ihrer Quellen, was den überaus wichtigen Erfahrungsbegriff im neuen Zen angeht, schlicht völlig entgegen deren Intention verstehen: James kritisiert die Introspektion als verlässliche Quelle des Wissens, Nishida und Suzuki machen daraus eine Quelle reiner Erfahrung transhistorischer Wahrheit.


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    Litertaur:


    PE: William James: Zwischen Psychologie und Erfahrungsmetaphysik, Felicitas
    Krämer, in: e-Journal Philosophie der Psychologie, 2007, Internet: http://
    http://www.jp.philo.at/texte/KraemerF1.pdf (15.1.2015)


    ZN: The Zen of Japanese Nationalism, Robert H. Sharf, in: Curators of the Buddha, Donald S. Lopez, Jr. (Ed.), Chicago, 1995.

  • Komisch, ich erlebe Zen ganz anders als du das beschreibst. Wäre vielleicht sogar schön, wenn es so wäre, ist es aber nicht. Gehe ich in ein Dojo, sind da kulturelle Verweise, meistens auf Japan. Bodhidharma soll schon mit einer Schrift, dem Lankavatarasutra, in China angekommen sein, so nicht-akademisch war das also nicht. Dann hat der Buddhismus sich mit dem Taoismus verbunden, also auch hier wieder die historisch und kulturell bedingten Gegebenheiten angenommen. Das ist alles bekannt und dürfte von den meisten auch so gesehen werden.


    Der wesentliche Einfluss auf D. T. Suzuki dürfte von Soen Shaku ausgegangen sein, der sein Zenlehrer war. Ich habe den Artikel von Sharf nicht und kann nicht sagen, inwiefern er diesen Punkt reflektiert. Diesen Satz „neue Buddhismusexegese, die die reine und unmittelbare Erfahrung gegenüber Ritual und Studium privilegiert“ kann man nach meiner Ansicht aber nicht halten. Das Konzept "unmittelbare Übertragung außerhalb der Schriften" ist viel älter und kann durch viele Zitate von Zen-Meistern belegt werden, die lange vor Suzuki lebten. In der südlichen Zenschule wurde schon wu-nien, Nicht-Gedanke, als Ideal angesehen (das "diskurvises Denken transzendiert", um deinen Ausdruck aufzugreifen), und Erwachen war kein Akt, dem man durch graduelle Studien oder Ritualausübung erwarb, sondern spontan. Diese Idee beruhte darauf, dass man von Geburt an Buddhanatur habe, und die Vorläufer dieses Gedankens finden sich schon bei Tao-sheng und anderen. Es ist jedenfalls nicht verwunderlich, das bei dieser These jegliche Einflüsse von Schriften, Ritualen, historischem und lokalem Kontext zurücktreten mussten, denn "von Geburt an" heißt ja immer und überall, egal unter welchen Umständen.


    Mir scheint, Sharf liegt hier vollkommen daneben, oder du hast ihn etwas verkürzt zitiert.

  • Ich denke, dass Beatrice Erskine Lane einen viel größeren Einfluss auf Suzuki hatte. Er ist ja dann auch Mitglied der Theosophischen Gesellschaft geworden und war aktiver Theosoph. Das wiederum passte gut zu seinem Shin-Buddhismus. Was hier keiner so richtig realisiert, ist der ganz normale Synkretismus japanischer Religion.

  • Monday:

    Was hier keiner so richtig realisiert, ist der ganz normale Synkretismus japanischer Religion.


    Was genau meinst du?

  • JazzOderNie:
    Monday:

    Was hier keiner so richtig realisiert, ist der ganz normale Synkretismus japanischer Religion.


    Was genau meinst du?


    Dass es sowas wie eine "reine Lehre" als Religion in Japan nicht gibt. Da mixt man alles zusammen - ganz kreativ auch. Mit unserem Maßstab geht das dann auch völlig daneben.
    Hier noch ein Hinweis:
    http://edoc.hu-berlin.de/japon…rg-b.-251/PDF/quenzer.pdf

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  • :D Ich meinte, welche Richtungen es dort gibt. Ich hab zwar iwelche Papers gelesen, aber kA wie es dort vor Ort ist und was dort relevant ist, darum wollte ich mal nachfragen (du warst doch ma da, ne?). Und dann hab ich noch ne Frage undzwar inwiefern das nicht zu "unserem" Maßstab passt, bezieht sich das auf den Glauben an eine "reine" Lehre als solches oder noch auf iwas anderes?

  • JazzOderNie:

    :D Ich meinte, welche Richtungen es dort gibt.


    Es gibt sowas wie Konfession nicht. Es gibt bezogen auf den Wohnort und die Familie einen "Familientempel" und bezogen auf religiöse Dienste die beiden Formen: Shinto und Buddhismus, die für Riten zuständig sind.

    Zitat


    Ich hab zwar iwelche Papers gelesen, aber kA wie es dort vor Ort ist und was dort relevant ist, darum wollte ich mal nachfragen.


    Vor Ort löst sich das auf - wie das in modernen, mobilen Gesellschaften ist. Und dann gibt es international tätige Sekten, die politischen Einfluss in Japan sich durch eine breite Spendenbasis sichern wollen.

    Zitat


    Und dann hab ich noch ne Frage undzwar inwiefern das nicht zu "unserem" Maßstab passt.


    Weil es nach unserem Maßstab eine konfessionelle Tradition gibt und man sich auch heute noch gern zu irgendeinem Glauben bekennt - allerdings ist das wie in Japan dann eher so ein Kult. Die einen treffen sich in Leipzig beim Gothic, die anderen machen eine Wallfahrt und wieder andere treffen sich als Zen-Buddhisten kostümiert bei irgendeiner rituellen Veranstaltung, genannt Zazen.


    Um das nochmal auf Suzuki und James zu bringen: für alte Männer mag das interessant sein, sich mit solcherart Fragen zu befassen. Aber es sind alte Zöpfe.

  • Macht's plastischer - so in der Vorstellung. Danke.

  • Selbst:
    Zitat

    für alte Männer mag das interessant sein


    :lol:
    Robert Sharf sieht aber noch ganz frisch aus: http://buddhiststudies.berkeley.edu/people/faculty/sharf/


    Klar. Aber ihn meinte ich nicht.


    Sharf schreibt in seinem Aufsatz in "Curators ..." S.140, dass das Zen, das hier so großen Anklang gefunden hat, ein Produkt des New Buddhism der Meiji-Periode ist. Dem stimme ich zu.

  • Der Unbuddhist:


    Das Kuriosum ist, dass Suzuki und Nishida Kitarō eine ihrer Quellen, was den überaus wichtigen Erfahrungsbegriff im neuen Zen angeht, schlicht völlig entgegen deren Intention verstehen: James kritisiert die Introspektion als verlässliche Quelle des Wissens, Nishida und Suzuki machen daraus eine Quelle reiner Erfahrung transhistorischer Wahrheit.


    Das Kuriosum besteht eher darin, dass diese Ansicht von Sharf auf Dilworth zurück geht, der allerdings hierin Nishida UND James falsch verstanden hat, was die intellektuellen Relationen anbetrifft. Vgl. Maximiliane Demmel, Der Begriff der reinen Erfahrung bei Nishida Kitaro und William James und sein Einfluss auf Nishidas Begriff der religiösen Erfahrung. München 2004, S. 115 ff - insb. S.125.



    ZN: The Zen of Japanese Nationalism, Robert H. Sharf, in: Curators of the Buddha, Donald S. Lopez, Jr. (Ed.), Chicago, 1995.[/quote]

  • Monday:

    Das Kuriosum besteht eher darin, dass diese Ansicht von Sharf auf Dilworth zurück geht, der allerdings hierin Nishida UND James falsch verstanden hat, was die intellektuellen Relationen anbetrifft. Vgl. Maximiliane Demmel, Der Begriff der reinen Erfahrung bei Nishida Kitaro und William James und sein Einfluss auf Nishidas Begriff der religiösen Erfahrung. München 2004, S. 115 ff - insb. S.125.


    Danke für den Lit.-Hinweis. Würde mich übrigens nicht wundern, wenn derartige Komplikationen auftauchen, dass nun Sharf sich auf etwas bezieht was seine Quelle wiederum falsch verstanden hat....


    P.S. das mit dem bedingten Entstehen ist halt alles ein schreckliches duichAnanda.

  • Selbst:

    ....kulturell bedingten Gegebenheiten... […] . Das ist alles bekannt und dürfte von den meisten auch so gesehen werden.


    Es gibt im Westlichen Buddhismus vielerorts einen 'Kult des Originals'. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn die Leute daraus nicht Autoritätsansprüche ableiten würden. Das vermeintliche Original (im Zen, im tibet. Buddhismus, im sog. Theravada etc. pp.) ist aber, wie du sagst, bedingt durch "kulturell bedingte Gegebenheiten" – und zwar von Anfang an. D.h. der Meister selbst war bedingt. Das wird leider von den meisten nicht so gesehen. Weder Lehrer, und noch weniger ihre Schüler, sind meistens in der Lage, sich wirklich eine Bild zu machen über kulturelle Bedingtheiten. Ironischer Weise macht spätestens Madhymaika selbst mit diesem Kult des Originals Schluss.

  • Der Unbuddhist:
    Selbst:

    ....kulturell bedingten Gegebenheiten... […] . Das ist alles bekannt und dürfte von den meisten auch so gesehen werden.


    Es gibt im Westlichen Buddhismus vielerorts einen 'Kult des Originals'. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn die Leute daraus nicht Autoritätsansprüche ableiten würden. Das vermeintliche Original (im Zen, im tibet. Buddhismus, im sog. Theravada etc. pp.) ist aber, wie du sagst, bedingt durch "kulturell bedingte Gegebenheiten" – und zwar von Anfang an. D.h. der Meister selbst war bedingt. Das wird leider von den meisten nicht so gesehen. Weder Lehrer, und noch weniger ihre Schüler, sind meistens in der Lage, sich wirklich eine Bild zu machen über kulturelle Bedingtheiten. Ironischer Weise macht spätestens Madhymaika selbst mit diesem Kult des Originals Schluss.


    Dieser Kult des Originals mit Autoritätsansprüchen ist doch überall zu findenen..nicht nur im westlichen Buddhismus, sondern überall wo sich Menschen an etwas klammern um " halt" zu finden... Der Mittlere Weg führt weg vom Kult des Originals....aber das kann je nach dem ein langer Weg sein...und irgendwo befindet sich abhängig vom jeweiligen Standpunkt ein Anfang.....

  • Zitat

    Tatsächlich jedoch lässt sich feststellen, dass dieser Zen ein Konstrukt ist, das seit dem ausgegehenden 19. Jhdt. entstand. Die bekannteste Person in diesem Zusammenhang ist der Autor D.T. Suzuki. Dieser neue Zen ist gekennzeichnet durch folgendes Axiom: „Zen zu studieren heisst, Zen zu erfahren, denn ohne die Erfahrung gibt es keinen Zen den man studieren könnte.“


    Suzuki spricht aber nicht für die ganze Zen Gemeinde.


    Schon immer gab es vielerlei Zen Sekten mit ganz verschiedenen Herangehensweisen. Dies ist im Westen nicht anders. Hier im Text wird das jedoch so dargestellt, dass Suzuki DER Mann sei, der Zen im Westen geprägt hat - dem ist nicht so.


    Ich kenn eigtl. keinen, der sich an den "neuen Autoren" orientiert.


    Die klassischen Meister stehen auch immer noch für das aktuelle Zen - Bodhidharma, Rinzai, Dogen usw.