Liebe Wegübende,
wie war Euer Weg zu den Geboten, und wie übt Ihr mit den Geboten?
Gibt es ein Gebot, das für Euch besonders wichtig ist?
Ich möchte hier nicht diskutieren, was die Gebote "eigentlich" bedeuten, wie man sie "richtig" praktiziert, oder „welches das wichtigste Gebot ist“.
Schön wäre es, Dönekes aus Eurer alltäglichen Praxis zu hören, und über Eure ganz individuelle „karmisch bedingte“ Weise, mit den Geboten zu üben. Quasi als Inspiration.
Ein Schlauer verkaufte mir die Gebote mal so: „Die mühelose Verwirklichung der Gebote ist ein Kennzeichen der Erleuchtung". Das war für mich der Einstieg in die Frage, wo habe ich Mühe, die Gebote zu verwirklichen, so, wie ich sie im Augenblick ganz simpel verstehe?
Das Gebot „nicht kritisieren“ sprang mich da geradezu an. Karmisch bedingt, sozusagen
Mir fiel unmittelbar auf, wie kritisierend mein Geist war (im Sinne von giftig, destruktiv; nicht zu verwechseln mit "kritisch" im Sinne von aufmerksam und fähig zur Unterscheidung).
Jedes, jedes, aber auch jedes (!) Sinnesobjekt wurde von meinem Geist ganz ausführlich benörgelt. Auch mich selbst geißelte mein lieber Geist für einfach alles: fürs Handeln, fürs Nichthandeln, für alle Aspekte meines Seins, für meine bloße Existenz.
Meine erste konsequente Übung mit diesem Gebot war, morgens beim Aufstehen die Aufmerksamkeit von den automatisierten Selbstbeschimpfungstiraden meines Geistes auf das Empfinden des Atems zu lenken.
Dabei benutzte ich als Mantren "Identifiziere dich nicht mit Deinen Gedanken" von einem Lehrer, der mir unterwegs begegnet war, und von Ayya Khema "Erkennen, nicht tadeln, ändern". Erkennen, nicht tadeln, ändern ist immer noch ein wichtiges Mantra für mich
Irgendwann mal kam ich auf die drei Reinen Gebote. Das zweite und dritte ist zu schwer für mich, aber das erste kann ich fast immer anwenden. Auch wieder in einem ganz simplen Sinne, ohne große Recherchen, was denn genau „das Schlechte“ nun ist.
Das ist jetzt ein paar Jahre her. Seither weitet sich meine Praxis von „nicht-kritisieren“ immer weiter aus. Nachdem der Fokus auf diesem Gebot war, kam alles Weitere mit dem Sitzen irgendwie von selber.
Wie das meinen Umgang mit anderen verändern würde, hätte ich mir nicht vorstellen können. Langsam fange ich sogar an, Metta zu üben. Und das ich als alte Metta-Übungs-Hasserin. Was haben mich die Metta-Meditationen von Ayya Khema abgenervt. Mögen alle Wesen glücklich sein, so Sprüche mit Hass und Ablehnung im Herzen, sowas erschien mir krank. Diese verkrampfte „Gut-Sein“, dieses gruselige, abgetrennte Zombie-Gelächel in manchen buddhistischen Zirkeln. Was habe ich das gehasst. Das Wort Großmuttergeist mag ich immer noch lieber.
Zu Anfang von "nicht kritisieren" war ich oft hilflos, manchmal sogar verzweifelt. Das waren schlicht Koans für mich. Sozialkoans. Völlig undurchdringliche Situationen. Der Klang einer klatschenden Hand ist ein Furz dagegen.
Wie übe ich Kritik, ohne zu kritisieren? Wie drücke ich einen berechtigten Wunsch nach Veränderung aus? Wie unterscheide ich berechtigte und unberechtigte Wünsche? Wo ist der Unterschied zwischen Annahme und Unterwerfung? Was brauchen andere von mir, damit sie sich Veränderungen erlauben können, ohne das Gefühl zu haben, sie müssten sich mir unterwerfen? Wann ist aushalten heilsam, wann destruktiv? Was mache ich, wenn der Gaul mit mir durchgegangen ist und ich doch kritisiert habe? Was folgt aus meiner Kritisiererei für mich und für andere?
Sitzen, sitzen, sitzen. Und Forschungsarbeit, Alltags-Experimente ohne Ende. Manchmal interessant, manchmal einfach nur ermüdend, manchmal rappelt die Erkenntnis nur so. Und mühelose Verwirklichung ist noch was anderes, würde ich sagen.
Und immer, wenn ich denke, ich bin jetzt durch damit, kommt was Neues. Vor einigen Wochen bin ich auf eine andere Liste der Gebote gestoßen, die klar macht, wie eng „nicht-kritisieren“ verknüpft ist mit „sich-nicht-bewundern“: „Sich und andere nicht erniedrigen. Sich und andere nicht erhöhen.“ Fucking Koan.
Und weiter geht´s