Einsam und Verlassen

  • Ein Mönch namens Jui sagte: " Ich bin einsam und verlassen.Helft mir, Meister!"
    Der Meister sagte: " Lehrer Jui ! Kommt näher !"
    Der Mönch trat vor den Meister, und dieser sprach: "Ein Mann hat drei Schalen Wein getrunken und sagt, seine Lippen seien nicht nass geworden."
    (Tsau Schan)


    Gütige Geister, wie interpretiert ihr das ?

  • Scheint als wärst du mit der Antwort ziemlich einsam und verlassen *schmunzel*

  • Hallo Onyx,


    das ist eine chinesische Geschichte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich viele der Anekdoten nicht verstehen kann, egal wie sehr ich denke oder nicht-denke, da ich die chinesische Kultur und deshalb die Anspielungen nicht verstehen kann. Deshalb würde ich mich an einen Chan-Meister wenden, der sich mit der Kultur auskennt oder gar Chinese ist. Sonst kommt es zu den haarsträubenden Interpretationen, die so kursieren. Oder völliger Ratlosigkeit, die nichts mit Konzeptlosigkeit zu tun hat. Ich selbst knabbere viel an Changeschichten herum und frage immer wieder nach, um Details und Anspielungen zu verstehen. Es gibt wohl noch keine Chan-Erzähltradition, die unserer Kultur entstammt und für uns verständlicher ist. Aber vielleicht kennst Du da was? Würde mich interessieren.


    Liebe Grüße
    Knochensack

  • Scheint so, als würdest du damit auch ziemlich einsam und verlassen sein. *schmunzel*

  • Vielleicht ist das ja ein Hinweis darauf, dass da niemand ist, der einsam und verlassen sein könnte, deshalb auch keine nassen Lippen existieren ... :doubt:

  • Onyx9:

    ... "Ein Mann hat drei Schalen Wein getrunken und sagt, seine Lippen seien nicht nass geworden."
    (Tsau Schan)


    Gütige Geister, wie interpretiert ihr das ?


    "Er hat nichts gemerkt.", würd ich denken.

    :rainbow: Gute Wünsche für jede und jeden. :tee:


  • Ich kann es dem Mönch Jui gut nachempfinden, dass er sich einsam und verlassen fühlt. Je weiter ich auf dem Pfad gehe (12 gliedrige Kette des bedingten Entstehens) , je einsamer fühle ich mich auf der Welt.


    Früher war "meine Welt" schliesslich noch in Ordnung. Da waren Eltern die mich beschützten, Antworten hatten auf Fragen, mich führten, nährten, anleiteten und formten. Als ich älter wurde befreite ich mich von den Eltern, wurde Selbstständig und für mich selber verantwortlich.
    Nun fand und suchte ich in "Anhaftungen" Geborgenheit, Schutz, Führung und Anleitung wie ich sie von meinen Eltern her kannte. Mit der Zeit tauchten aber Fragen auf, Durst nach Wissen, Erklärungen, Sinn. Durst nach etwas "Höherem" zu suchen, Wahrheit, die Bedeutung oder wie immer man das nennen möchte zu finden.


    Durch den Gang des Buddhadhamma entlang der zwölfgliedrigen Kette wichen Anhaftungen von mir und mit ihnen das Gefühl von Geborgenheit, Schutz, Anleitung. Ein Gefühl der Einsamkeit taucht auf. Allein zu sein im Universum, bedeutungslos zu sein. Es ist etwa so wie wenn man alleine aufs offene Meer schwimmen würde und plötzlich kein Ufer mehr sieht (auch eine Art Gefühl der Leere).
    Man fühlt sich frei und unbeschwert. Und auch der Durst nimmt ab etwas "höheres zu finden" und mit der Zeit auch das Gefühl einsam und verlassen zu sein.


    Der Meister meinte:
    Was beklagst du Dich über die Einsamkeit, hast Du nicht bemerkt dass dadurch Dein Durst schwindet, deine Lippen feucht sind ? Dies ist doch sicher wertvoller als die eventuell auftretende temporäre Verwirrung (hier ausgelöst durch den Wein) des Geistes.


    Gruss Bakram

  • Bakram, beachte die Ansprache "Lehrer". Sie ist auch noch fett gedruckt. Wer belehrt also wen?

  • Vielleicht bedeutet es auch, dass jemand der es nicht versteht, so lange einsam bleibt bis er es versteht *schmunzel*


    Nicht ergreifen und Nichanhaften wollen ist halt nicht gleich, beim einen werden die Lippen immer nass. Wer im Regen steht wird nass.

  • GaliDa68:

    Bakram, beachte die Ansprache "Lehrer". Sie ist auch noch fett gedruckt. Wer belehrt also wen?


    Ist ein Mönch nicht immer zugleich auch Lehrer ? Ich dachte man kann einen Mönch auch als Lehrer ansprechen ? Du meinst Jui würde den Meister belehren ? Das sehe ich nicht so, ich müsste etwas hineinkonstruieren um es "scheinbar" zu verstehen.


    Ich denke diese Koans muss jeder für sich spüren, erfühlen. Es gibt glaube ich keine universelle Lösung, so wie es keine universelle Wahrheit gibt. Entweder man wird sofort angesprochen und erfasst eine mögliche Bedeutung intuitiv oder man ist halt noch nicht so weit oder schon weiter.
    Sobald man mit dem Verstand versucht etwas hineinzukonstruieren besteht die Gefahr, dass man auf Abwege kommt.


    Womit ich nicht sagen will "meine" Interpretation sei richtig, sie entspricht halt meinem gegenwärtigen Stand der Erfahrung. Andere Interpretationen sind genauso richtig, vielleicht weiter(mehr Erfahrung), vielleicht weniger weit(weniger Erfahrung). Je nach eigener Erfahrung interpretiert man eben anders.


    @Hanzze: Verstehst Du es ? Oder was verstehst Du ? Oder besser was assozierst Du ?

    • Offizieller Beitrag
    Onyx9:

    Ein Mönch namens Jui sagte: " Ich bin einsam und verlassen.Helft mir, Meister!"
    Der Meister sagte: " Lehrer Jui ! Kommt näher !"
    Der Mönch trat vor den Meister, und dieser sprach: "Ein Mann hat drei Schalen Wein getrunken und sagt, seine Lippen seien nicht nass geworden."
    (Tsau Schan)


    Gütige Geister, wie interpretiert ihr das ?


    Wenn jemand etwas getrunken hat und nachher, behauptet seine Lippen seien dabei nicht nass geworden, dann hat er wohl etwas ganz Offensichtliches übersehen. Vielleicht weil er beim Trinken an ganz was anderes gedacht hat und sich null seiner Lippen bewusst war.


    Genauso ist der Mönch Jui immer schon ganz mit allem verbunden gewesen. Das er sich so allein und verlassen ist, ist nur eine Einbildung. Seine Einsamkeit entspringt mangelnde Achtsamkeit.

  • Ich finde übrigens sehr intressant das "Einsam" bei vielen eine negative behaftung hat. Wobei bei einsam warscheinlich oft ein großes Ego vorrausgesetzt ist das sich von allem anderen abgetrennt fühlt. Wenn das Ego schwindet bedeutet Ein-sam nur das keine anderen Personen im Umkreis sind bzw sich die Person auch in Einsamkeit nicht verlassen fühlt, sondern immer Verbunden mit allem.
    Wenn man die Verbundenheit aller Erscheinungen erkennt, ist man auch in der Einsamkeit nicht verlassen.

    "Nur eines verkünde ich heute, wie immerdar: Leiden und seine Vernichtung."
    Buddha

  • Erstmal danke für eure sehr interessanten Erläuterungen, Erfahrungen und Anregungen !


    Kann es sein, daß mit Lehrer nicht tatsächlich ein Lehrer gemeint ist ? schließlich kamen die Schüler ja aus allen möglichen Berufssparten.
    Oder/Und könnte damit ein ausgesprochener Kopfmensch gemeint sein ? Einer, der nicht nur viel denkt, sondern als Ausgleich auch viel fantasiert ?
    Wein berauscht.


    Ich glaube schon, daß man Chan-Geschichten ein bischen aufdröseln kann.

    • Offizieller Beitrag

    Im SZ Magazin war vor kurzem ein Artikel über einen Mann der für Monate ganz alleine in einer Hütte in der Wildnis lebte. Er beschrieb aber, dass er sich nach einiger Zeit keinswegs einsam fühlt sondern sich im Gegenteil immer mehr für die Umgebung und die Tiere öffnete. Er stellte seinen inneren Dialog ein und war ganz offen.


    So schätze ich mal, dass Einsamkeit als "Gefühl der Verlassenheit" vor allem mit dem Grad der Verschlossenheit und dem Gesondertsein zu tun hat. So kann man sich ja, wenn man das Gefühl hat "niemand versteht einen" auch inmitten von Massen einsam fühlen.

  • GaliDa68:

    Hallo Onyx,


    das ist eine chinesische Geschichte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich viele der Anekdoten nicht verstehen kann, egal wie sehr ich denke oder nicht-denke, da ich die chinesische Kultur und deshalb die Anspielungen nicht verstehen kann.


    Ich finde es für das Verständnis von diesen Geschichten des Ch'an aber auch für das Verständnis des Shin-Buddhismus (und natürlich auch für Zhuangzi) z.B. durchaus spannend mich mit dem chinesischen Denken auseinanderzusetzen. Für mein Verständnis war z.B. Marcel Granet - Das chinesische Denken aber auch die Schriften von Francois Jullien sehr aufschlussreich.

  • Onyx9:

    Ein Mönch namens Jui sagte: " Ich bin einsam und verlassen.Helft mir, Meister!"
    Der Meister sagte: " Lehrer Jui ! Kommt näher !"
    Der Mönch trat vor den Meister, und dieser sprach: "Ein Mann hat drei Schalen Wein getrunken und sagt, seine Lippen seien nicht nass geworden."
    (Tsau Schan)


    Gütige Geister, wie interpretiert ihr das ?


    Ich versuche das mal mit den drei Sätzen des Buddha.

    Das ist nicht mein. Das einsam und verlassen.
    Das ist nicht mein Selbst. Helft mir , Meister!
    Das bin nicht ich. Lehrer, Jui!
    Das ist nicht mein, wede die Schale noch der Wein, noch das Trinken, die Lippen. Wie können sie nass werden.
    Das bin nicht ich, ein Mann.
    Das ist nicht mein Selbst, ich kann nicht sagen das Lippen nicht nass werden vom getrunkenen Wein.
    Da gibt es nichts zu denken, sich Bewusst werden.
    Da ist nur sein mit einem anderen der auch nur ist.

  • void:

    Im SZ Magazin war vor kurzem ein Artikel über einen Mann der für Monate ganz alleine in einer Hütte in der Wildnis lebte. Er beschrieb aber, dass er sich nach einiger Zeit keinswegs einsam fühlt sondern sich im Gegenteil immer mehr für die Umgebung und die Tiere öffnete. Er stellte seinen inneren Dialog ein und war ganz offen.


    So schätze ich mal, dass Einsamkeit als "Gefühl der Verlassenheit" vor allem mit dem Grad der Verschlossenheit und dem Gesondertsein zu tun hat. So kann man sich ja, wenn man das Gefühl hat "niemand versteht einen" auch inmitten von Massen einsam fühlen.


    Ja, so sehe ich das auch, Void.
    Es hat für mich auch eine Zeit gegeben, in der ich mich sehr einsam fühlte (mit meinem (UN)-Wissen), weil ich mich nicht mehr richtig mitteilen konnte, ohne mich ständig abzugrenzen gegen die "Andersdenkenden". So tauchte dann plötzlich auch auf, dass es eben immer einsamer wird, desto näher ich dem Gipfel komme. Heute weiß ich, dass ich einsam war (und das gehört wohl auf dem Weg mit dazu ;) ), weil ich mich äußerlich absonderte, aber innerlich auf Verstehen hoffte bzw. sogar "Andersdenkende" missionieren wollte. Obwohl ich das schon früh erkannte, dauerte es dennoch Jahre, bis ich meinen Missionarshut endlich endgültig an den Nagel hängen konnte. Seither ist meine Kommunikation besser, ich bin freier und niemals einsam, weil ich mit innerlich erfüllt (oder leer von Träumen) und getragen fühle.
    _()_ Monika

  • Onyx9:

    Ein Mönch namens Jui sagte: " Ich bin einsam und verlassen.Helft mir, Meister!"
    Der Meister sagte: " Lehrer Jui ! Kommt näher !"
    Der Mönch trat vor den Meister, und dieser sprach: "Ein Mann hat drei Schalen Wein getrunken und sagt, seine Lippen seien nicht nass geworden."
    (Tsau Schan)
    Gütige Geister, wie interpretiert ihr das ?


    Bevor ich die Beiträge aller User lese, poste ich mal... :P Der Fall ist klar wie Kloßbrühe, ich spinne die Geschichte mal weiter:


    Der Mönch sagt verdutzt: " Wie kann einer, der getrunken hat, annehmen, er habe seine Lippen nicht benäßt? Das ist die Sicht eines Betrunkenen." :oops:
    Der Meister antwortet: " Wie kann einer, der den Buddhaweg geht, annehmen, ein anderer könne ihm helfen? Das ist die Sicht eines Verblendeten..." :D
    ( Lehrer Jui= sei Dein eigener Meister, gehe den Weg, den 8-fachen Pfad selbst, um Dein Leiden - derzeit die Einsamkeit- zu überwinden...)


    _()_ c.d.

    Tag für Tag ein guter Tag

  • monikamarie:


    Obwohl ich das schon früh erkannte, dauerte es dennoch Jahre, bis ich meinen Missionarshut endlich endgültig an den Nagel hängen konnte. Seither ist meine Kommunikation besser, ich bin freier und niemals einsam, weil ich mit innerlich erfüllt (oder leer von Träumen) und getragen fühle.
    _()_ Monika


    Danke für das Teilen dieser persönlichen Erfahrung, ich kann sie sehr gut nachempfinden (oder setze sie zumindest mit meinen Erfahrungen gleich). Ab einem gewissen Punkt ist genug innerer Friede und innere Ruhe vorhanden, dass man ganz entspannt in das Leben als ein wunderbares Geschenk empfindet. Und man hat wahrlich einiges hinter sich und damit losgelassen.
    Wusheng

  • ich war auch mal eine ganze weile alleine, da ich schon meditieren konnte hielt ich es sehr lange ,also monatelang gut aus, irgendwann kehrte es dann aber gewaltig, und ich musste unbedingt unter die leute.


    lg zenbo

  • zenbo:

    ich war auch mal eine ganze weile alleine, da ich schon meditieren konnte hielt ich es sehr lange ,also monatelang gut aus, irgendwann kehrte es dann aber gewaltig, und ich musste unbedingt unter die leute.


    lg zenbo


    Meditation sollte halt keine Ablenkung sein



    Grüße
    TM

  • TMingyur:


    Meditation sollte halt keine Ablenkung sein



    Grüße
    TM


    nein, das war schon richtig, ich hab das gesucht, aber ich bin der soziale typ. trotzdem eine weile in der einsamkeit kann schon gut sein.


    lg zenbo

  • Hi zenbo,
    ich glaube nicht, dass es hier um Alleinsein mit dem Gefühl der Einsamkeit ging, s. Eingangspost, denn der Mönch hat ja offensichtlich jemanden, um das zu besprechen.
    Einsamkeit ist ein Gefühl der Verlassenheit und des Unverstandenseins oder Illusionen, die nicht erfüllt wurden. Sich absichtlich zurückzuziehen und alleine sein, hat für mich damit nichts zu tun. In unserer Welt sind Menschen u. a. auch deshalb einsam, weil sie sich gerade nicht um ihre Freundschaften, Familien oder Nachbarn gekümmert haben und dann im Alter erwarten, dass da jemand fröhlich zu Besuch kommt (natürlich abgesehen von Kranken und Behinderten).


    Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich je einsam sein könnte, weil ich mich bewusst zurückziehe oder ebenso bewusst auf Menschen zugehe, ganz abgesehen von Gleichgesinnten auf dem Weg. Die Türen stehen ja (noch) immer offen. ;)
    _()_ Monika