"1
Den Buddhas und Bodhisattvas bezeuge ich Verehrung! Den Sugatas, die Macht über den Dharmakaya haben, und ihren Nachfolgern und ebenso allen der Ehre Würdigen erweise
ich respektvoll Verehrung!
Wie die Gelübde der Nachfolger der Sugatas zu verstehen sind, soll im Folgenden in Kürze zusamengefasst werden.
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Hier wird nichts zum Ausdruck gebracht, was nicht zuvor schon gesagt wurde. Zudem mangelt es mir an Geschick in der Kunst der Rede. Da auch meine Motivation nicht auf das Wohl der anderen gerichtet ist, habe ich dieses hier verfasst, um meinen eigenen Geist damit vertraut zu machen,
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Durch Gewöhnen an Gutes (entsteht) die Stärke meines Glaubens. Auch wenn sie durch (das Verfassen des Werkes) nur für eine Weile zunimmt, so entsteht jedoch für andere, gleich mir Begünstigte, wenn sie dies lesen, ein Nutzen.
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Die Freiheiten und Bedingungen menschlichen Daseins sind schwer zu erlangen. Falls man diese Gelegenheit, die Ziele eines höheren Wesens anzustreben, aber nicht nutzt, wo wird es dann später möglich sein, sie in richtiger Weise zu verfolgen?
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Wie die Schwärze der Nacht die Wolken verfinstert und wie ein Blitz für einen Augenblick in hellstem Licht alles zeigt, ebenso entsteht in einem kurzen Augenblick durch die Kraft der Buddhas bisweilen ein verdienstvoller Geist auf dieser Welt.
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Von daher hat Gutes immer nur geringe Stärke. Das Böse ist von großer Kraft und äußerst unerträglich. Wenn nicht der vollendete Erleuchtungsgeist, welches andere Gute könnte es ausstechen?
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Während vieler Zeitalter machten sich die Buddhas höchste Gedanken darüber und haben dessen Nutzen geschaut. Der Erleuchtungsgeist lässt zahllose Wesen auf leichte Weise höchste Freude erlangen.
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Hat man den Wunsch, hunderte von Leiden des Daseins zu überwinden, das Unglück der Wesen zu beseitigen und viele hunderte Freuden zu genießen, sollte man den Erleuchtungsgeist niemals aufgeben.
9
Ist der Erleuchtungsgeist entstanden, werden die Gequälten, die im Gefängnis des Dasenskreislaufs festgehalten sind,
augenblicklich als Nachfolger der Sugatas bezeichnet. Dadurch wird ihnen in der Welt der Götter und Menschen Ehrung zuteil.
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Wie die höchste Art der Elixiere Dinge in Gold verwandelt, so macht die Geisteshaltung, die auf Erleuchtung gerichtet ist, aus diesem unreinen Körper den unschätzbar kostbaren Körper des Siegreichen. Darum bewahre diesen so genannten Erleuchtungsgeist ganz fest!
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Da der einzige Führer der Wesen mit seinem unermesslichen Verstand den kostbaren Erleuchtungsgeist gut und gründlich untersucht und seinen großen Wert erkannt hat,
sollten die (Wesen), die sich vom (Leidens-)Zustand des Umherwanderns (in den sechs Daseinsbereichen) zu befreien wünschen, ihn gut und fest verinnerlichen.
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Alles andere Gute ist wie ein Bananenbaum, der nach dem Ausreifen der Früchte verfällt. Der Baum des Erleuchtungsgeistes jedoch, (den Buddhakaya) als Frucht beständig hervorbringend, verfällt nicht, sondern wächst.
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So wie große Furcht im Zusammensein mit einem Mutigen sich löst, ist man augenblicklich befreit, baut man auf den Erleuchtungsgeist, selbst nach ganz und gar unerträglich üblem Tun. Warum bauen die Achtsamen nicht auf ihn?
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Wie das Feuer am Ende der Zeit verbrennt der Erleuchtungsgeist mit Gewissheit in einem einzigen Augenblick alle großen Übel.
Seine unschätzbaren Vorzüge legte der Weise Schützer Maitreya seinem Schüler Sudhana (anhand von 230 Illustrationen) dar.
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Der Erleuchtungsgeist, kurz zusammengefasst, ist als zwei Arten bekannt: die Erleuchtung anstrebende Geisteshaltung (Bodhicitta des Strebens) und die Erleuchtung anwendende Geisteshaltung (Bodhicitta des Anwendens).
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Genauso wie man den Unterschied zwischen dem Wunsch zu gehen und dem Gehen selbst kennt, sollten Kluge den stufenweisen Unterschied zwischen diesen beiden (Arten des Bodhicitta) kennen.
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Wiewohl aus dem Bodhicitta des Strebens bereits während der Dauer des Samsara große Früchte erwachsen, entstehen jedochen daraus nicht die unaufhörlichen Verdienste, die dem Bodhicitta des Anwendens entsprechen.
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Sobald derjenige, der diese Geisteshaltung mit dem Vorsatz, sich nicht davon abzuwenden, in richtiger Weise eingenommen hat, um die grenzenlosen Bereiche der Lebewesen gänzlich zu befreien,
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werden unaufhörliche und vielfältige Kräfte seiner Verdienste von diesem Zeitpunkt an, ob er auch schläft oder unaufmerksam ist, dem Raume gleich und leicht entstehen.
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Dieses hat mit Nachdruck in dem Sutra >>Die Frage von Subahu<< zum Nutzen derer, die mit den niederen Fahrzeugen übereinstimmen, der Tathaga selbst gelehrt.
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Wenn schon allein der Gedanke, lediglich die Kopfschmerzen der Wesen aufzulösen, wenn diese heilsame Absicht, bereits unermessliche Verdienste bringt,
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müssen dann der Wunsch, das unermessliche Unglück jedes einzelnen Wesens aufzuheben, und der Wunsch, die Qualitäten eines jeden Einzelnen uneingeschränkt zu vollenden, noch erwähnt werden?
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Wer hat einen Vater oder eine Mutter, fähig zu einer derart nutzbringenden Geisteshaltung? Gibt es Götter und Weise, die dazu in der Lage sind? Hat Brahma diese Geisteshaltung?
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Wenn diesen Wesen früher nicht einmal im Traum eine solche Haltung um ihres eigenen Wohles willen einfiel, wie entstünde dann eine solche für das Wohl anderer?
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Diese Geisteshaltung, den Wesen zu nutzen, die in anderen nicht einmal um des eigenen Nutzens willen aufkommt, ist eine besondere Kostbarkeit des Geistes. Ihr Entstehen ist ein Wunder, das es zuvor nicht gab.
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Die Ursache der Freude aller Menschen, das Elixier gegen die Leiden der Wesen, das Verdienst dieser kostbaren Geisteshaltung, wie kann dies ermessen werden?
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Wenn der bloße Gedanke, anderen von Nutzen zu sein, den Buddhas zu opfern an Wert übersteigt, dann braucht das tatsächliche Wirken für das Glück ausnahmslos aller Wesen nicht erwähnt werden.
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Obwohl man wünscht, Leid loszuwerden, verrennt man sich offensichtlich in das Leiden selbst. Obwohl man Glück wünscht, vernichtet man aus Dummheit das eigenen Glück wie einen Feind.
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Diejenigen, die arm an Glück sind und viel leiden, stellt der Erleuchtungsgeist mit allen Freuden zufrieden, schneidet alle Leiden ab.
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Auch löst er Dumpfheit auf. Wo gibt es damit vergleichbares Gutes? Wo gibt es einen solchen Freund? Wo gibt es derartiges Verdienst?
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Wenn jemand einen Gefallen, der ihm geleistet wurde, erwidert
und daraufhin des Lobes wert erachtet wird, muss dann der Bodhisattva, der unaufgefordert Gutes tut, noch erwähnt werden?
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Wenn bereits jemand, der einigen Wesen ständig Nahrung reicht oder gar nur einmal Nahrung mit Verachtung gibt, die den Magen nur für einen halben Tag füllt, als ein Mensch geehrt wird, der Gutes tut,
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muss dann ein solcher erwähnt werden, der den zahllosen Wesen über lange Zeit die unübertreffliche Freude der Sugatas und
das Erfüllen all ihrer Wünsche gewährt?
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Wer immer einem solchen Bodhisattva gegenüber, einem Wohltäter,
schlechte Gedanken hegt, wird genauso viele Zeitalter wie die Zahl dieser Gedanken in Höllen verbringen. Dies sagte der Buddha.
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Weiterhin, wenn jemand seinen Geist gänzlich klärt, werden die Früchte daraus umso mehr wachsen. Sollten die Nachfolger des Siegreichen schlimmsten Umständen ausgesetzt sein, entsteht in ihnen doch nichts Übles, (denn ihnen erscheinen schlimme Umstände als Freunde), sondern Gutes wächst von selbst.
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Der Verkörperung, in der das echte Juwel des Geistes entstand, bezeuge ich Verehrung! Zu jenen, für die sogar ihnen zugefügter Schaden mit Freude verbunden ist, zu dieser Quelle des Glücks nehme ich Zuflucht."
Kapitel 1 aus "Die Lebensführung im Geiste der Erleuchtung" von Shantideva