Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten. Wie alle spirituellen Lehren birgt auch der Buddhismus Stolperfallen. Eine kleine Sammlung:
1) Ich, mir, mein - die Tücken Nicht-Ich-Lehre (anatta)
Die Nicht-Ich-Lehre wird immer wieder dahingehend missverstanden, als existiere überhaupt kein Ich.
Dabei gibt es sehr wohl ein Ich, wir haben lediglich ein falsches Bild von diesem Subjekt unserer Wahrnehmung. Wir halten es für autonom (getrennt) und dauerhaft, während es allverbunden ("leer") und vergänglich ist. Eine missverstandene anatta-Lehre kann dazu führen, den Wert des individuellen Lebens geringzuschätzen und die Notwendigkeit der Kultivierung von individuellen Qualitäten aus dem Blick zu verlieren.
2) In den Fängen des Bedingten Entstehens (pratītya-samutpada;)
Die Lehre vom Bedingten Entstehen ist äußerst komplex und kann auf vielfache Weise missverstanden werden. Eine mögliche Fehlinterpretation etwa ist die Ansicht, Ziel der buddhistischen Praxis sei es, langfristig das Entstehen menschlichen Lebens zu verhindern. Das menschliche Leben sei etwas, was besser nicht wäre. Habe man erst einmal die Unwissenheit als prima causa alles Seienden an der Wurzel ausgerodet, stehe das Rad still.
3) Weltverachtung, Miesepeterei und Überbetonung des Leidens
Schenkt man manchen Buddhisten Glauben, so ist das menschliche Leben etwas, was man am besten an der Wurzel ausrottet. Da der Selbstmord als wirksame Option ausscheidet (-> Wiedergeburt), bleibt nur das Fernziel Erleuchtung als dauerhafter Edel-Suizid. Es gibt im Buddhismus einen eklatanten Mangel an Wertschätzung für den Reichtums und die Schönheit des irdischen Lebens. In dieser Hinsicht hat das Christentum dem Buddhismus einiges voraus...
4) Irdisches Glückes adé!
Die Befriedigung von Bedürfnissen ist eine der fundamentalen Voraussetzungen für Glück. Indem der Buddhismus überall das Schreckensgespenst der Anhaftung (Begierde!) an die Wand malt, negiert er vielfach die Legitimität von Bedürfnisbefriedigung. Und indem er die Legitimität des Genießes grundsätzlich in Frage stellt und ein freudloses Leben in Askese propagiert, generiert er genau das Leiden, was er vorgibt abzuschaffen. Die Tatsache, dass der Buddhismus ursprünglich eine monastische Bewegung war, hat sicherlich zur Geringschätzung weltlicher "Haushälter"-Freuden beigetragen.
4) Ritus als Fetisch
Schon der Buddha hatte vor dem Anhaften an Riten gewarnt. Er wusste warum. Leider stieß seine Warnung auch bei seinen Nachfolgern vielfach auf taube Ohren. So machen Praktizierende einen Fetisch aus ihren Ritualen und verlieren über oberflächlicher Traditionspflege den Blick für den Kern der Lehre.
5) Alles Karma - Ein hinduistisches Relikt.
Das Karma-Konzept ist älter als der Buddhismus. Im Hinduismus diente es unter anderem der Rechtfertigung des Kastensystems (Jeder lebt aktuell das Leben, für das er im vorherigen Leben die Voraussetzungen geschaffen hat) und fungiert dort als moralisches Druckmittel und als Rechtfertigung gesellschaftlicher Ungerechtigkeit. Beim Transfer dieses Konzeptes in den Buddhismus sind einige ursprünglich hinduistische Aspekte der Karma-Lehre übernommen worden (insbesondere auch Elemente der Wiedergeburtslehre), die sich nicht einfach in Einklang bringen lassen mit anderen buddhistischen Konzepten (-->"anatta"-Lehre). Unproblematisch ist ein Karma-Verständnis, das primär auf dem Gesetz von Ursache und Wirkung fußt (was du sähst, wirst du ernten). Problematisch sind die deterministischen Aspekte der Karmalehre und die Vorstellung eines über das individuelle Leben hinaus Bestand habenden "Kontos der Taten". Karma light: An allem, was dir geschieht, bist du selber schuld. (Auch die "Wiedergeburt" ist ein hinduistisches Relikt, aber dieses Fass muss hier nicht aufgemacht werden).
6) Himmel und Hölle - Wörtliches Verständnis symbolischer Begriffe
In jeder spirituellen Tradition gibt es symbolische Aussagen. Und in jeder jeder spirituellen Tradition geschieht es, dass die diese symbolischen Aussagen wortwörtlich genommen werden und damit ihr Sinn verfehlt wird. So glaubt man dann zu Anfang des 21. Jh. an eine reale Hölle, reale Geister, reale Gottwesen… als hätte es niemals eine Aufklärung gegeben.
7) Kritik-Resistenz: "Alles deine Projektionen"
Buddhisten (und buddhistische Gemeinschaften) haben eine wundervolle Strategie, um Kritik an sich abprallen zu lassen: sie erklären gerne Kritik zum alleinigen Problem des Kritikers: "Alles deine Projektionen". So vermeidet man es geschickt (upaya), sich mit dem eigenen Verhalten auseinanderzusetzen.
Die Text-Gläubigen - Pali-Kanon als "Buddha-Bibel."
Die Textgläubigen (ein Merkmal aller Fundamentalisten) stellen den Palikanon ins Zentrum ihrer Praxis. Sie pflegen die Fiktion, der Palikanon enthalte den getreulichen O-Ton des Buddhas. Sie übersehen die historische Bedingtheit, der alle Texte unterliegen und die Verfälschungen, Modifikationen und Verzerrungen, denen das Wort in jeder Tradierungskette über die Jahrhunderte und Jahrtausende stets unterliegt.