Mitleiden und Mitfühlenr

  • Meine Mutter ist seit kurzem dement und lebt seit 4 Wochen in einem Pflegeheim. Sie ist noch relativ "gut drauf", vergisst aber immer mehr und fühlt sich in dem Heim - verständlicherweise - nicht wohl. Sie will immer "nach hause". Und das tut mir sehr weh. Ich leide richtig mit ihr, da ich mich sehr gut in ihre Gefühlswelt hinein versetzen kann. Wie kann ich das Mitleiden in Mitfühlen umwandeln? Der Zustand des Leidens tut mir nicht gut! Wer kann mir da helfen? Ich möchte doch für sie da sein.

  • Hallo Gitti und herzlich Willkommen,
    Du leidest mit, vielleicht aus Schuldgefühlen?
    Mitgefühl entsteht, wenn keine anderen Emotionen mehr diese Energie behindern.
    Es wird nicht leicht sein, sich von Mit-Leiden zu befreien, denn einer Mutter gegenüber ist es nicht ungewöhnlich, sich schuldig zu fühlen. Was hat sie alles für Dich getan?


    Auch ich musste meine Mutter in einem Heim unterbringen lassen. Das ist jetzt 38 Jahre her, aber ich leide noch immer darunter, dass ich ihr nicht anders hatte helfen können - sobald ich daran denke!


    Meine Empfehlung, akzeptiere, dass es Dir nicht gut damit geht, lass es zu, akzeptiere, dass Du keine andere Möglichkeit hast, das Leiden Deiner Mutter zu mildern - außer so oft wie möglich bei ihr zu sein.
    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Das ist zwar jetzt ein blöder Vergleich, aber im Prinzip geht es mir ähnlich. Meine Frau hat zur Zeit total viel beruflichen Stress (sie muss ab Sonntag 9 Tage lang durcharbeiten ohne einen freien Tag, da Schichtdienst). Ich kann versuchen, sie im Rahmen meiner Möglichkeiten zu unterstützen, aber es liegt nicht in meiner Möglichkeit, qualifiziertes Personal herbei zu zaubern, das ihr in ihrer Situation sofort helfen würde. Ich versuche zwar, Mitgefühl zu praktizieren und Mitleid nicht aufkommen zu lassen (Mitleid wirkt für mich eher lähmend, es führt zur Anhaftung, ohne dass ich wirklich etwas ändern kann), das klappt aber auch nicht immer. Wichtig wäre für mich, eine gewisse "Durchlässigkeit" (Distanz wahren, Achtsamkeit auf meine eigenen Gefühle, Mitgefühl mit mir selbst!) zu praktizieren, ohne dabei die Empathie zu vernachlässigen. Das ist manchmal eine Gradwanderung!

  • Hallo Gitti,
    denke es wurde alles geprüft für Deine Mutter, dass Sie nicht in ein Pflegeheim kommt - wenn es
    keine wirkliche alternative gibt dann ist es so.
    Einen alten Baum verpflanzt man nicht - so wie schon Monika geschrieben hat, im Leben muß man nicht nur Freude ertragen.

  • Um Einwänden vorzubeugen - Der Körper befindet sich grundsätzlich immer in der Gegenwart, geht nicht anders :) "Im jetzt leben" taugt bei Demenz nicht.


    Mach Spiele mit ihr, Text-Memories zum Beispiel. Schreib auf die Karten was gestern war, vorgestern, was vor 20 Jahren war. Damit sie das nicht vergisst. Wenn sie selbst noch schreiben kann soll sie anfangen ein Tagebuch zu führen das sie regelmässig abends schreibt. Rede mit ihr über ihre Vergangenheit. Hilf ihr sich zu erinnern und es nicht dauernd zu vergessen. Das Gehirn lässt sich selbst mit Demenz noch genug umstrukturieren. Regelmässige Textspiele mit Karten oder Geschichten erzählen..


    Und für dich als Buddhist - such mal ob da jemand ist der leidet, finde den Leider. Mach kontinuierlich Einsichtsmeditation.


    Es gibt Leiden, aber keinen Leidenden
    Taten existieren, obwohl es keinen Täter gibt
    Verlöschen gibt es, aber keine verlöschende Person
    Obwohl es einen Pfad gibt, gibt es niemanden, der ihn geht.
    Visuddhi magga


    Alles gute für dich und deine Mutter. :clown:


    Ps.: Bei Mitleid befindet sich der Leider wieder mitten drin ;)

  • Gitti:

    Meine Mutter ist seit kurzem dement und lebt seit 4 Wochen in einem Pflegeheim. Sie ist noch relativ "gut drauf", vergisst aber immer mehr und fühlt sich in dem Heim - verständlicherweise - nicht wohl. Sie will immer "nach hause". Und das tut mir sehr weh. Ich leide richtig mit ihr, da ich mich sehr gut in ihre Gefühlswelt hinein versetzen kann. Wie kann ich das Mitleiden in Mitfühlen umwandeln? Der Zustand des Leidens tut mir nicht gut! Wer kann mir da helfen? Ich möchte doch für sie da sein.


    Hallo!


    Um der eigenen Mutter die so wichtige Unterstützung zu geben, darf man sich nicht vom Leid überwältigen lassen. Ich kann die Ratschläge, die der Dalai Lama gibt, weitergeben. Dabei geht es in erster Linie darum, dass wir etwas tun wollen, um anderen zu helfen. So erklärt der Dalai Lama ganz allgemein: Dieser Wunsch zu helfen zieht uns keineswegs auch noch selbst tiefer ins Unglück, sondern gibt uns im Gegenteil Kraft, Orientierung und Zielstrebigkeit. Wenn wir aus einer solchen Motivation heraus handeln, wirkt sich dies positiv für uns selbst und für die Menschen um uns herum aus. Entscheidend ist daher, sich die Fähigkeit deutlich zu machen, helfen zu können. Eine Fähigkeit, die wiederum positive Emotionen verlangt.


    Wie kann man Mitleiden in Mitfühlen verwandeln? Mitgefühl bedeutet nicht nur Mitleid und damit den starken Fokus auf das Leiden des anderen. Mitgefühl meint genauso liebevolle Güte. Liebevolle Güte konzentriert sich auf den Wunsch, dass die anderen glücklich sind. Damit beinhaltet sie auch eine Form der Mitfreude mit dem Glück der anderen. Dies ist keineswegs eine nur theoretische Unterscheidung, die sich aus dem Begriff Mitgefühl gewinnen lässt. So schreibt der Dalai Lama: Zwischen Mitgefühl und liebevoller Güte gibt es keine Abfolge; sie gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille. Obgleich ich selbst keine Erfahrung mit einer so belastenden Situation besitze, meine ich, dass die positive Emotion der einfühlsamen Mitfreude, für die es vielleicht auch Gelegenheiten gibt, ein hilfreiches Mittel darstellen kann, um die eigene Betroffenheit zu mildern. Vielleicht findest Du in der bewussten Mitfreude eine Unterstützung für den Umgang mit dem Leid deiner Mutter?


    Auch gibt es das eigene Leid um den sich abzeichnenden Verlust der kognitiven Fähigkeiten deiner Mutter. Ich weiß natürlich nicht, was dies für dich bedeutet. Ich glaube aber, dass wir den Gefühlen von Einsamkeit und Verzweiflung so begegnen sollten, dass sie uns schließlich helfen, das Gefühl der Verbundenheit mit den Menschen in unserem Umfeld zu vertiefen und Verständnis für deren Nöte zu entwickeln. Wenn das schließlich, nach einer Phase des großen Leides, gelingt, so bedeutet dies zweifellos einen Gewinn an Bewusstheit, Einfühlungsvermögen und innerem Reichtum, zu dem die belastende Situation verholfen hat.